Rezension über:

Birgitta von Schweden: Werke I + II. Aus dem Lateinischen übersetzt von Apollonia Buchinger OSsS. Mit einer Einleitung von Wilhelm Liebhart, St. Ottilien: EOS Verlag 2021, 2 Bde., XXXX + 1269 S., 9 s/w-Abb., ISBN 978-3-8306-8088-8, EUR 69,95
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Rezension von:
Klaus Wollenberg
Hochschule München
Redaktionelle Betreuung:
Ralf Lützelschwab
Empfohlene Zitierweise:
Klaus Wollenberg: Rezension von: Birgitta von Schweden: Werke I + II. Aus dem Lateinischen übersetzt von Apollonia Buchinger OSsS. Mit einer Einleitung von Wilhelm Liebhart, St. Ottilien: EOS Verlag 2021, in: sehepunkte 22 (2022), Nr. 6 [15.06.2022], URL: https://www.sehepunkte.de
/2022/06/36541.html


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Birgitta von Schweden: Werke I + II

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Mit der 2016 durch die römische Ordenskongregation beschlossenen und 2017 vollzogenen Aufhebung des letzten Birgittenklosters des alten Zweiges im deutschen Raum, Altomünster bei München, verloren der auf zwei Schwestern zusammengeschmolzene Konvent und der Orden die Heimstatt. Die noch von drei Schwestern 2013 zur Priorin gewählte Apollonia (Ottilie) Buchinger hat sich nach ihrem Klostereintritt (1991) mit der hl. Birgitta von Schweden beschäftigt und es sich zur Aufgabe gemacht, die deutsche Übersetzung der lateinischen Offenbarungen zu erstellen. Birgitta wurde 1302 oder wahrscheinlicher 1303 (XVIII) im schwedischen Finstad als Birgitta Birgersdotter geboren und gehörte dem Hochadel an.

In Form von Visionen - Birgitta nennt sie Offenbarungen (revelaciones) - soll sie die "Stimme Gottes" und diverser Heiliger empfangen haben. Das Überraschende ist, dass es in den Offenbarungen nicht nur um Fragen des Glaubens und der Moral geht. Vielmehr bezog Birgitta auch Stellung zu den großen politischen Fragen ihrer Zeit, nicht nur im Heimatland Schweden, sondern auch in Frankreich, Italien und Zypern. Vergeblich versuchte sie zwischen England und Frankreich 1346 Frieden zu stiften. Sie brach 1349 von ihrer schwedischen Heimat auf, "um Sprachrohr Gottes in ganz Europa zu werden". (XXVIII) 1355 forderte sie Kaiser Karl IV. (1347-1378) zur Reform der Kirche auf, verwies auf Hochmut, Fleischeslust, Maßlosigkeit und Korruption und verlangte, der Demut, Enthaltsamkeit, Bescheidenheit und Nächstenliebe zur Herrschaft zu verhelfen. 1367 warb sie bei Papst Urban V. für die Gründung eines Doppelklosters in Vadstena und einen neuen Orden. Dieses Werben war mit dem Schlüsselerlebnis 1346 verbunden, als sie nach eigener Aussage in einer Vision von Jesus Christus den Auftrag erhielt, ein Kloster und einen neuen Orden für Frauen und Männer zu gründen.

Die päpstliche Approbation des neuen Ordens erfolgte 1370 nach der Regel des hl. Augustinus. Papst Urban VI. bestätigte 1378, fünf Jahre nach dem Ableben der Gründerin, den von ihr konzipierten neuen Typ des Doppel- oder Gesamtklosters und des Ordens des Allerheiligsten Erlösers (Ordo Sanctissimi Salvatoris), genannt Birgittenorden. Im 15. Jahrhundert entstanden im Ost- und Nordseeraum 27 Birgittenklöster. In Bayern bestanden in Gnadenberg bei Nürnberg (Oberpfalz), in Maihingen im Ries (Schwaben) und in Altomünster bei München (Oberbayern) Doppelklöster. Letzteres Haus bestand ohne Unterbrechung, trotz der Säkularisation, von 1497 bis 2017.

Der Landeshistoriker Wilhelm Liebhart, langjähriger Chronist und Geschichtsschreiber des Klosters Altomünster, riet Buchinger, für die Nachwelt die Druckfassung der Offenbarungen herauszubringen. Von Liebhart selbst stammt der informative und wunderbar lesbare Einführungstext in Leben und Werk der hl. Birgitta von Schweden (1303-1373). Am 1. Oktober 1999 erhob Papst Johannes Paul II. die schwedische Ordensgründerin, neben anderen, zur Mitpatronin Europas, um die "Rolle und Sendung der Frau anzuerkennen". (IX) Birgitta von Schweden sei "als Mystikerin und Gründerin des Ordens des Heiligsten Erlösers nicht nur Vorbild für Frauen des geistlichen Standes, sondern als Ehefrau und achtfache Mutter auch Vorbild für Frauen im Laienstand". (IX) Tatsächlich bewegte sich Birgitta von Schweden im 14. Jahrhundert mit ihren Visionen aber auf einem schmalen Grat zwischen Heiligkeit, Häresie und Hexerei. Erstmals 1391, erneut 1415 und 1419 zum dritten und letzten Mal, wurde Birgitta von Schweden heiliggesprochen.

Die erste deutsche Übersetzung der Offenbarungen, illustriert mit Holzschnitten, u.a. von Albrecht Dürer, druckte Anton Koberger 1502 in Nürnberg. Die letzte deutsche Ausgabe, erstellt von Ludwig Clarus, stammt von 1856 und wurde 1888 nachgedruckt. Eine Neuübersetzung, so Buchinger, drängte sich deshalb auf.

Der schwedisch-dänische Birgittenforscher Tore Nyberg (gestorben 2018) machte Buchinger mit der kritischen Neuausgabe der "Revelaciones" der königlich Schwedische Akademie, entstanden zwischen 1956-2002 bekannt, so dass sie diese Ausgabe ihrer neuen deutschen Übersetzung zugrunde legen konnte. Die Stockholmer Ausgabe der Offenbarungen basiert auf Handschriften, die in Darmstadt, Colmar, Oxford, New York, Palermo, Rom, Uppsala und Wien verwahrt werden. Erstmals im Druck erschienen die Offenbarungen 1492 in Lübeck in lateinischer Sprache und 1500 als Nachdruck in Nürnberg. Weitere Übersetzungen erfolgten in französischer, italienischer, spanischer, englischer und nieder- bzw. oberdeutscher Sprache.

Die Regel der hl. Birgitta steht in der Tradition der Benediktiner und Zisterzienser, ausgerichtet an der Augustinerregel. Ihre Prinzipien sind bis heute Demut (Gehorsam), Keuschheit und Armut in strenger Klausur. Neu war Birgittas Gedanke, dass Patres und nicht Weltpriester die Seelsorge der Nonnen übernehmen sollten. Birgitta schrieb ein Doppel- oder ein Gesamtkloster von 60 Schwestern oder Nonnen und 25 Brüdern oder Mönchen unter Leitung einer Äbtissin vor. Die beiden Konvente sollten in strengster Klausur und wirtschaftlicher Autarkie leben. Der Mönchskonvent zerfiel in die Gruppe Priester (13), Diakone (4) und Laienbrüder (8). Die Priester lasen täglich die Messe, pflegten wie die Nonnen das siebenmalige Stundengebet im Chor und versahen die Seelsorge. Einer der Priester, der von allen gewählte Generalbeichtvater oder Confessor generalis, besaß als geistliches Oberhaupt vom Bischof die volle Gewalt zu binden und zu lösen, zu bessern und zu reformieren. Alle, auch die Äbtissin, mussten ihm in geistlichen Dingen gehorsam sein. Die wirtschaftlichen und rechtlichen Angelegenheiten regelt die Äbtissin nach Rücksprache mit den Konventen allein.

Über zwanzig Jahre hinweg arbeitete Apollonia Buchinger an ihrer Übersetzung. Rund 660 Visionen in acht Büchern und weitere in einem 9. Buch, Extravagantes genannt, sind überliefert. Die hier zu besprechende Veröffentlichung enthält in Band I die acht Bücher der Offenbarungen der hl. Birgitta (erstes bis viertes Buch, 3-573), in Band II finden sich das fünfte bis achte Buch, weiterhin die Revelaciones extra vagantes (575-1152), sowie kleinere Werke mit der Regel des Erlösers (Birgittenregel), der Rede des Engels und vier Gebeten (1153-1248). Das Abkürzungs-, Quellen- und Literaturverzeichnis sowie ein Namensregister komplettieren die Edition.

Im Vorwort äußert Apollonia Buchinger die Hoffnung, "dass diese neue Ausgabe der Offenbarungen Birgittas in der Kirche unserer Zeit und darüber hinaus interessierte Aufnahme findet und damit bezeugt, dass die Schriften der Heiligen immer wieder und auch heute noch geistliche Wegweisung bieten". (VI) Als letzte Priorin von Altomünster lebt sie heute im Ruhestand bei den Barmherzigen Schwestern im bayerischen Adelholzen.

Die Druckfassung erfolgte in bewährter Weise im EOS-Verlag, St. Ottilien. Gefördert wurde das Projekt vom Erzbistum Köln, dem St. Ansgarius-Werk, der Bürgerstiftung und dem Museums- und Heimatverein Altomünster.

Apollonia Buchinger, Wilhelm Liebhart und allen Beteiligten an diesem zweibändigen Werk ist ein großer Dank auszusprechen und viel Beachtung in der einschlägigen Forschung und darüber hinaus zu wünschen. Dem interessierten Leser empfiehlt Buchinger "mit der Lektüre des 5. Buches der Offenbarungen zu beginnen, weil die dortigen Fragen eines Priesters an Jesus Christus auch in unserer Zeit aktuell und dem Leser vielleicht am nächsten stehen und überhaupt zeitlos sind." (VI)

Klaus Wollenberg