Judith M. Barringer: Olympia. A Cultural History, Princeton / Oxford: Princeton University Press 2021, XVII + 281 S., 2 Kt., 32 Farb-, 149 s/w-Abb., ISBN 978-0-691-21047-6, USD 35,00
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Olympia war nicht nur eines der wichtigsten Heiligtümer der antiken Welt, es war und ist auch einer der interessantesten Grabungsplätze in Griechenland. [1] In jüngerer Zeit haben sich die Aktivitäten vom Zentrum der Altis an die Peripherie verlagert, mit beeindruckenden neuen Ergebnissen: Zu nennen sind die Erforschung der "Festwiese" im Süden durch das Deutsche Archäologische Institut [2] und die Grabungen unter Leitung von Aliki Moustaka im Norden, die unter anderem eine Identifizierung der Kultplätze für Demeter Chamyne und für Eileithyia erbracht haben und damit verbunden neue Erkenntnisse über die Grenzen des Temenos (26-28. 40f.). Ein neues Buch über Olympia hat also, obwohl schon gute Überblickswerke zum Heiligtum existieren [3], seine volle Berechtigung. Die Edinburgher Archäologin Judith Barringer formuliert als Ziel, eine Gesamtgeschichte Olympias unter Berücksichtigung aller archäologischen, epigraphischen und literarischen Zeugnisse zu präsentieren, sie verspricht einen "new way of viewing Olympia", indem sie aufzeige, "how sculptural monuments (both architectural and free-standing) related and responded to each other". (5) Konsequenterweise konzentriert sie sich auf diejenigen Monumente, die in situ erhalten sind oder zuverlässig einem bestimmten Platz zugewiesen werden können.
Drei Kapitel bereiten die Grundlagen: In der "Introduction" (1-12) erläutert Barringer die Fragestellungen des Buches, ein "Prologue" (13-33) erläutert die Lage Olympias und seine Beziehung zu Elis, die Frühgeschichte des Heiligtums und die wichtigsten Kulte; Barringer folgt Ulrich Sinn, indem sie die Bedeutung des Orakels in der Geschichte des Heiligtums hoch veranschlagt. Das dritte Kapitel "The shape of the Altis and Practical Matters" (34-62) behandelt das - in der Olympia-Forschung kontrovers diskutierte - Verhältnis zwischen Pausanias und dem archäologischen Befund und allerlei praktische Fragen, z.B. die Wasserversorgung, die Unterbringung von Athleten und Zuschauern sowie die Zubereitung von Speisen.
Im Gegensatz zu anderen Büchern über Olympia, die nach Aspekten oder Denkmälergattungen gegliedert sind, folgt Barringer einem chronologischen Schema: Sie unterteilt die Geschichte des Heiligtums in die archaische Zeit bis 480 v.Chr. (63-103), das 5. Jahrhundert v.Chr. (104-155), das vierte Jahrhundert und den Hellenismus (156-204), die römische Kaiserzeit (205-236) und die Spätantike (237-244). Diese Gliederung hilft, den Charakter Olympias in einer bestimmten Epoche nachzuvollziehen. Andererseits kann die Entwicklung von einzelnen Monumenten (z.B. Zeustempel) oder Denkmälergattungen (z.B. Siegerstatuen) über mehrere Jahrhunderte nicht kompakt dargestellt werden, sondern findet sich auf verschiedene Kapitel verteilt. Manche der gesetzten Epochengrenzen sind ohne weiteres nachvollziehbar, andere weniger - so bleibt bei der Lektüre unklar, inwieweit sich der Charakter des Heiligtums vom 5. zum 4. Jahrhundert v.Chr. wandelte. Dem neueren Forschungstrend entspricht, dass auch Hellenismus und Kaiserzeit zu ihrem Recht kommen - von früher verbreiteten Vorstellungen einer allgemeinen Dekadenz des Heiligtums und seiner Wettkämpfe setzt sich Barringer aus guten Gründen ab.
Die große Stärke des Buches liegt in der detaillierten Behandlung der einzelnen Monumente. Barringer begnügt sich nicht mit einer oberflächlichen Beschreibung, sondern geht gerade auf diejenigen Aspekte ein, die in der Forschung kontrovers diskutiert werden. Dabei löst sie das zu Beginn formulierte Versprechen, alle Facetten der Überlieferung heranzuziehen, vorbildlich ein, hervorzuheben ist der massive Rückgriff auf Inschriften und die methodisch reflektierte Interpretation von Pausanias' Beschreibung. Wenn die Ausführungen dadurch sehr kleinteilig werden, ist das nicht der Autorin anzulasten, sondern dem Umstand, dass es für die einzelnen Monumente jeweils ganz spezielle Forschungsdebatten gibt.
Weniger gelungen ist die allgemeine Charakterisierung des Heiligtums. Ohne Zweifel war Olympia in der Antike vor allem für seine sportlichen Wettkämpfe berühmt, und deutlich sichtbar dominierten in archaischer und klassischer Zeit die Weihgeschenke aus militärischem Anlass. Barringer bindet beide Phänomene zusammen, indem sie postuliert, dass Olympia einen solchen militärischen Charakter erhalten habe, weil man in den athletischen Übungen ein Training für den Krieg erblickte: "victory on the racing track prepared young men for triumph on the battlefield" (4) oder "The conviction that athletics was excellent preparation for warfare is well known from ancient Greek written sources" (242), und passim. Sie geht sogar so weit, die Teilnehmer des Hoplitenlaufs als "warriors" (91) zu bezeichnen. Es ist nun unbestreitbar, dass Sport und Krieg als Felder ruhmvoller Bewährung zahlreiche Parallelen aufwiesen, eine funktionale Verbindung, wie Barringer sie zieht, erscheint jedoch problematisch. Zumindest widersprechen dem die zahlreichen Aussagen antiker Autoren, dass Athleten in der Schlacht nichts taugten. [4] Auch zu einer anderen Kernfrage der Olympiaforschung, dem Verhältnis von sportlichen Wettkämpfen und Kulthandlungen, enthält das Buch keine überzeugenden Antworten.
Doch diese Kritikpunkte mindern nicht das Verdienst des Werkes. Barringer liefert einen kompetenten Überblick über den gegenwärtigen Forschungsstand und zieht auch immer wieder die Situation in anderen griechischen Heiligtümern zum Vergleich heran. Zahlreiche Fotografien und Pläne sorgen für Anschaulichkeit. Und hervorzuheben sind auch die guten Indizes, die das Buch auch und gerade als Nachschlagewerk benutzbar machen.
Anmerkungen:
[1] Die Grabungsgeschichte ist aufbereitet in Helmut Kyrieleis (Hg.): Olympia 1875-2000: 125 Jahre deutsche Ausgrabungen: Internationales Symposion, Berlin 9.-11. November 2000, Mainz 2002.
[2] Einen Einblick in die aktuellen Forschungen bietet der Vortrag von Reinhard Senff (https://www.youtube.com/watch?v=cb-On6K7AsY, zuletzt abgerufen am 9.7. 2022).
[3] Ulrich Sinn: Das antike Olympia. Götter, Spiel und Kunst, München 2004; Helmut Kyrieleis: Olympia. Archäologie eines Heiligtums, Darmstadt 2011.
[4] Z.B. Euripides F 282 Nauck; Plat. rep. 3,403e-404b; Plut. Philopoimen 3,2-4.
Christian Mann