Rezension über:

Andreas Peham: Kritik des Antisemitismus, Stuttgart: Schmetterling Verlag 2022, 240 S., ISBN 978-3-8965-7689-7, EUR 10,00
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Rezension von:
Sebastian Voigt
Institut für Zeitgeschichte München - Berlin
Empfohlene Zitierweise:
Sebastian Voigt: Rezension von: Andreas Peham: Kritik des Antisemitismus, Stuttgart: Schmetterling Verlag 2022, in: sehepunkte 22 (2022), Nr. 7/8 [15.07.2022], URL: https://www.sehepunkte.de
/2022/07/36965.html


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Andreas Peham: Kritik des Antisemitismus

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Die Reihe Theorie.org aus dem Schmetterling-Verlag setzt sich zum Ziel, die theoretischen Grundlagen linker Praxis kritisch zu reflektieren und ein verständlich aufgearbeitetes Überblickswissen bereitzustellen. Deshalb finden sich in der Reihe Bände zu Antirassismus, Faschismustheorien, zum Feminismus genauso wie zum Rätekommunismus oder zu Strategien gegen die Gentrifizierung. [1] Umso mehr erfreut, dass nun ein Band zur Kritik des Antisemitismus von Andreas Peham erschienen ist. Der Verfasser arbeitet seit Jahrzehnten im Dokumentationsarchiv des Österreichischen Widerstandes (DÖW), Abteilung Rechtsextremismusforschung. Er war zudem langjähriger Berichterstatter für das Stephen Roth Institute for the Study of Contemporary Antisemitism and Racism an der Universität Tel Aviv und hat zahlreiche Veröffentlichungen zur extremen Rechten vorzuweisen. Die Veröffentlichung ist auch deswegen ein großer Schritt, weil der Kampf gegen den Antisemitismus lange Zeit nicht zur obersten Priorität der politischen Linken zählte. Bestenfalls subsumierte sie den Judenhass als eine Form des Rassismus. Im schlimmsten Falle verbreitete sie selber judenfeindliche Ressentiments, meist in Form eines aggressiven, antiimperialistischen Antizionismus, der - Jean Améry paraphrasierend - den Antisemitismus enthält, wie die Wolke das Gewitter. Insofern steht das Buch auch für eine wahrnehmbare Verschiebung der linken Debatte, die sich seit Mitte der 1990er-Jahre vollzogen hat. Vor diesem Hintergrund hat sich der Autor viel vorgenommen, vielleicht zu viel.

Ein Zitat Hannah Arendts zu Beginn der Einleitung kann gleichsam als Motto des Buches gelten: "Der Antisemitismus ist genau das, was er zu sein vorgibt, eine tödliche Gefahr für die Juden." (7) Dieser Bedrohung geht Peham auf unterschiedlichen Ebenen nach, immer mit einem affirmativen Bezug zur Kritischen Theorie und der Psychoanalyse. Daraus folgend betont er den Zusammenhang zwischen der Vergesellschaftung, der daraus resultierenden Subjektkonstitution und dem Judenhass in aller Deutlichkeit.

Zunächst legt Peham unterschiedliche Theorien des Antisemitismus dar und verweist darauf, dass seit über einem Jahrhundert versucht werde, dieses Ressentiment zu erklären. Funktionalistische Theorien würden auf die Ventilfunktion abzielen, also auf die Bedeutung für die Eigengruppe. Diese Sündenbockfunktion könne aber nicht klarmachen, warum es gerade die Juden treffe. Korrespondenztheoretische Ansätze würden die Erklärung beim Verhalten oder der Stellung der Juden selbst suchen. Sie gingen von Realkonflikten als der Ursache aus. Mit der sprachkritischen Wende in der Wissenssoziologie rückten die Semantik der Judenfeindschaft und ihre Prägekraft auf die Wirklichkeit in den Mittelpunkt. Eine wichtige Rolle im antisemitischen Weltbild nehme die Sexualphobie ein. Sie drücke sich in sexualisierten Bildern über Juden aus. Häufig gingen auch Antisemitismus und Sexismus Hand in Hand.

Peham betont, dass der Antisemitismus nicht bloß eine Meinung oder Haltung darstellt, sondern eine umfassende, geradezu universale Sinnstiftung, die, obwohl in sich häufig widersprüchlich, alles zu erklären beansprucht. Er kann sich in verschiedenen Formen ausdrücken, heutzutage oftmals in israelbezogenem Antisemitismus. Der Antisemit als Ich-schwaches Individuum konstruiere sich eine krude Vorstellung von Juden, die zum Zentrum seiner verschwörungsideologischen Weltanschauung wird: "Am Anfang des Antisemitismus stehen also nicht Jüdinnen und Juden, sondern über Gebühr geschwächte Individuen und ideologische Gemeinschaften, die keinen Raum lassen für Ambivalenz." (73)

Es folgt ein Parforceritt durch die Geschichte der Judenfeindschaft. Auch wenn es bereits in der vorchristlichen Antike antijüdische Äußerungen gegeben habe, markiere das Christentum eine tiefe Zäsur. Als Religion aus dem Judentum hervorgegangen, sei die Fortexistenz der Vaterreligion für die Christen eine permanente narzisstische Kränkung, die zu einer steten Abwertung der Juden beigetragen habe. Der Gottesmordvorwurf zieht sich seit dem Entstehen des christlichen Glaubens durch die Jahrhunderte ebenso wie die verachtete Figur des Ahasver, des rastlosen Juden, und der Vorwurf des Hostienfrevels. Die Kreuzzüge und die Pogrome zur Zeit der Pest seien lediglich die brutalsten Höhepunkte der judenfeindlichen Ausschreitungen im Mittelalter gewesen. Peham diskutiert schließlich die Frage der Kontinuität der christlichen Judenfeindschaft, deren zentrale Motive trotz aller Wandlungen immer wiederkehren. Allerdings warnt er davor, den Antisemitismus zu verewigen: "Das scheinbar Ewige am Antisemitismus ist in seiner Eigenschaft zu finden, sich mit sich selbst zu begründen, mit vergangenem Unrecht, das legitimiert werden muss." (106) Er verändere sich mit den gesellschaftlichen Verhältnissen, die ihn aus sich heraus hervorbrächten.

Im folgenden Kapitel "Von der Aufklärung zum rassistischen Antisemitismus" erörtert der Autor die Emanzipationsdebatten ab dem 18. Jahrhundert, die Genese einer neuen, rassisch aufgeladenen Form des Judenhasses und seine parteiförmige Organisierung im deutschen Kaiserreich. Daraufhin beschreibt Peham die (ideologische) Vorgeschichte des Nazismus am Beispiel von Eugen Dühring, Houston Stewart Chamberlain und der antisemitischen Gewalt in der Weimarer Republik. Die Shoah als Höhepunkt des Antisemitismus behandelt er lediglich als kurzen Einschub, bevor er auf die Entwicklung nach 1945 eingeht. Er beschreibt die Persistenz des Judenhasses, der aber neue Formen des Ausdrucks brauchte, da der offene Antisemitismus nach dem von Deutschen verursachten Zivilisationsbruch im millionenfachen Judenmord tabuisiert war. Abschließend legt er noch "Judenbilder" dar, die sich durch die Jahrhunderte zögen und jeweils Bestandteile eines Verschwörungsphantasmas seien, das das wahnhafte antisemitische Denken kennzeichne. Diese Vorstellungen der Judenhasser ließen sich kaum durch Argumente widerlegen. Sie seien nahezu unumstößlich und zwar aus folgendem Grund: Die Antisemiten "durchschauen den Juden, weil sie ihn erschaffen haben." (211)

Das Buch von Andreas Peham behandelt viele wichtige Aspekte der (Ideen-)Geschichte des Judenhasses und liefert zentrale Elemente für eine Ideologiekritik des Antisemitismus. Leider ist es dennoch nur eingeschränkt zu empfehlen. Es ist aus mehreren Gründen schwer lesbar. Einerseits fehlt ihm ein roter Faden, weil der Autor auf den 200 Seiten zu viele Aspekte abhandeln will. Vor allem aber erscheint das Buch in weiten Passagen wie eine große Sammlung von Zitaten. Ein langes Zitat reiht sich ans nächste. Ferner verarbeitet der Autor Unmengen an Sekundärliteratur. Die ständigen Verweise darauf im Fließtext machen das Buch nicht lesenswerter. Ein gründliches Lektorat hätte der Qualität gutgetan. Für dieses Buch gilt: Weniger wäre mehr gewesen.


Anmerkung:

[1] Vgl. die Titelübersicht auf der Website zur Reihe; www.theorie.org/titel (02.06.2022).

Sebastian Voigt