Hugh M. Thomas: Power and Pleasure. Court Life under King John, 1199-1216, Oxford: Oxford University Press 2020, XIV + 269 S., 3 Kt., 5. s/w-Abb., ISBN 978-0-19-880251-8, GBP 75,00
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"I have by no means escaped the spell of King John's court" (229), so bekennt der Autor seines fast bescheiden daherkommenden Buchs: Bündige 229 Textseiten und ein beinahe monochromes Cover sollten aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass einen hier ein Feuerwerk erwartet, dem man ein möglichst breites Publikum wünscht. Unter dem schlichten Titel 'Power and Pleasure' geht es in Hugh M. Thomas' Studie um das Leben am Hof König Johanns von England (reg. 1199-1216).
König Johann genießt traditionell einen Ruf als schwacher und eher unfähiger König, dem Thomas, Professor für Mittelalterliche Geschichte an der University of Miami, letztlich gar nicht widersprechen möchte: "He was an overwhelming failure" (1), so bringt er gleich zu Beginn sein Urteil über Johann auf den Punkt. Es geht dem Autor aber letztlich auch nicht um den König, sondern um dessen Hof - und dies mit gutem Grund: Die Dichte der Quellen, die uns über Johanns Hof Auskunft geben, ist für das 12. und 13. Jahrhundert unerreicht und in ihrer Ausprägung 'typisch englisch': Während wir für das Römische Reich im 12. Jahrhundert durch historiographische Quellen vor allem die soziale und kulturelle Bedeutung der 'Ehre' erkennen können, wissen wir aus dem administrativen Schriftgut Englands, dass Johann 458 Jagdhunde verschiedener Gattungen besaß, die von einem Team von 82 Spezialisten versorgt wurden, und zwar zu einem Kostenpunkt von jährlich 348 Pfund, 5 Shilling und 5 Pence (Stand Mai 1213, 27-30). Dieses Beispiel mag illustrieren, welche Fülle an Informationen verfügbar ist und welchen Reichtum an Einsichten die Studie verspricht - denn Johans Liebe zur Jagd führte u.a. zu einer restriktiven königlichen Forstpolitik, an der sich zahlreiche Konflikte entzündeten.
Thomas gliedert sein Buch in neun Kapitel, wovon sechs verschiedene inhaltliche Bereiche thematisieren; diese Kapitel werden ergänzt durch übergreifende Überlegungen zur Bedeutung von soft power und Höfen insgesamt.
Die Einleitung (1-24) setzt zunächst die Parameter der Studie fest: Die Fülle der Quellen für die Zeit Johanns ist ein Glücksfall der Überlieferung, der es erlaubt, den Hof aus der Nahsicht zu untersuchen: In modernen Editionen sind es ca. 8.650 Druckseiten über Verwaltung, Organisation und Rechtskonflikte am Hof. Als solchen fasst Thomas nach Malcom Vale einen "itinerant body, a place filled by a mobile assemblage of people. The court was where the ruler was." [1]
Inhaltlich geht es in den folgenden Kapiteln um die Jagd und Falknerei (25-53), um Luxus und materielle Güter (54-78), um unterhaltende Aspekte des Hoflebens wie Musik, Tiere, Bücher, Spiele sowie Liebe und Sex (79-107), Religiosität (108-123), Essen und Feiern (124-152) sowie um Orte und Räume des Hofes (153-183). Kapitel acht (184-210) thematisiert das soziale Gefüge am Hof sowie die Art und Weise, wie der König seine soft power nutzte, um Bindungen mit dem Adel zu festigen.
In Kapitel neun (211-227) öffnet Thomas eine komparative Ebene und wirft zusammenfassend zwei Fragen auf, die neben dem intensiven Blick auf den Hof von übergeordneter Relevanz sind: Inwieweit kann Johanns Hof als repräsentativ für das frühe 13. Jahrhundert gelten? Und wie lässt sich das Wissen über seinen Hof in die Geschichte fürstlicher Höfe in Europa in der longue durée einbetten (211)? Das Hauptproblem für Vergleiche mit anderen Höfen ist, dass es keine vergleichbar gute Quellengrundlage gibt. Grundsätzlich aber hält Thomas die spätmittelalterlichen Höfe Europas für durchaus vergleichbar mit dem König Johanns: Zwar mögen einzelne Höfe kleiner gewesen sein (wie der zeitgenössische Hof in Frankreich), auch spielen natürlich individuelle Interessen eine Rolle (Johann war von der Jagd begeistert, weniger von Turnieren; Ludwig VII. von Frankreich unterhielt zahlreiche Gaukler, die sein Sohn Philipp II. wenig schätzte) - letztlich aber sind die Aktivitäten und Funktionsprinzipien der Höfe europaweit sehr ähnlich, wie Thomas festhält (ausdrücklich auch für den Kaiserhof in Konstantinopel).
Vergleiche auf der diachronen Ebene gestalten sich aufgrund fehlender Studien ebenfalls schwierig, aber auch hier betont Thomas die Ähnlichkeiten: Die Jagd war schon im Früh- und Hochmittelalter zentral, auch die Funktionsweisen und Rituale des Hofs blieben im Übergang zur Frühen Neuzeit gleich, ja wurden aufgrund ihrer langen Tradition sogar legitimitätsstiftend. Was sich im Laufe der Zeit änderte, war nach Thomas vor allem die Größe und Komplexität des Hofs: Für Heinrich I. (reg. 1100-1135) können wir von einem Kern von 100-150 Personen ausgehen, unter Johann waren es ca. 500, Heinrich VI. (reg. 1422-1471) versammelte bereits ca. 800 Höflinge um sich, während im 17. Jahrhundert eine Größe von 1500 Personen üblich wurde (226).
In einem kurzen Fazit (228f.) bündelt der Autor seine Thesen: Der Hof sei nicht nur eine Quelle der Macht gewesen, sondern auch der Freude und Zerstreuung. Ein König wie Johann habe so seinen Reichtum ebenso zur Schau gestellt, wie die Effizienz seiner Verwaltung und seine Großzügigkeit. Die Bindung des Adels an den Hof war zugleich eine Bindung an die Person des Königs, wodurch die soziale und politische Hierarchie gefestigt wurde.
Die Studie von Hugh S. Thomas über das Leben am Hof König Johanns ist ein gelungener Wurf. Als Schwächen könnte man bemängeln, dass die Königin, Isabella von Angoulême, zu wenig Raum einnimmt, obwohl wir wissen, welche zentrale Rolle Königinnen für die Organisation des Hofs spielten; auch würde man sich an manchen Stellen eine breitere Einbettung der Befunde aus dem Verwaltungsschriftgut wünschen - dann aber wäre der Umfang, der das Werk zu einem gut und schnell lesbaren Buch macht, nicht zu halten. Beeindruckend ist gerade in dieser Hinsicht die Vielzahl von Quellen, die Thomas bearbeitet: Neben den Verwaltungsdokumenten und Urkunden sind dies historiographische Quellen und auch Romane und Versepen, so dass ohne künstliche Gattungsgrenzen ein beinahe umfassender Blick auf den Hof entsteht.
Anmerkung:
[1] Malcolm Vale: The Princely Court. Medieval Courts and Culture in North-West Europe, 1270-1380, Oxford 2003, 22.
Christoph Mauntel