Luise Schorn-Schütte: Predigen über Herrschaft. Ordnungsmuster des Politischen in lutherischen Predigten Thüringens/Sachsens im 16. und 17. Jahrhundert (= Gothaer Forschungen zur Frühen Neuzeit; Bd. 17), Stuttgart: Franz Steiner Verlag 2021, 95 S., 5 Abb., 2 Tbl., 1 Kt., ISBN 978-3-515-12942-8, EUR 36,00
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Luise Schorn-Schütte: Geschichte Europas in der Frühen Neuzeit. Studienhandbuch 1500-1789, Paderborn: Ferdinand Schöningh 2009
Die Historikerin Luise Schorn-Schütte, die sich schon vielfach mit Themen aus dem Grenzbereich zwischen Theologie und Geschichtswissenschaft beschäftigt hat, legt eine für Historiker und Theologen gleichermaßen interessante Studie vor zu einem in Geschichte und Gegenwart immer neu relevanten Thema, dem Verhältnis von Religion und Politik, genauer zu Politik auf und von der Kanzel. Ausgehend von Beständen der Forschungsbibliothek Gotha untersucht sie im Druck erschienene lutherische Predigten der nachreformatorischen Zeit, des 16. und 17. Jahrhunderts, aus den Räumen Thüringen und Sachsen im Hinblick auf die Thematisierung politischer Inhalte.
Ihrer konkreten Studie schickt sie eine anregende methodische Reflexion voraus sowie eine Skizzierung der politischen und konfessionellen Verhältnisse im Gebiet ihrer Untersuchung zwischen 1550 und 1650. Ferner betrachtet sie die geografische und soziale Herkunft der Prediger, ihre Netzwerke sowie Studienabläufe und Amtstätigkeiten. Auch die Druckgeschichte der jeweiligen Predigt wird in den Blick genommen. Ergänzend hätte man auch noch die Verbreitung der Predigten unter dem Aspekt des Vorhandenseins in heutigen Bibliotheken untersuchen können.
Der Hauptteil der Arbeit wertet die Predigten - hinsichtlich ihrer Gattungen waren es überwiegend Leichen- und Hochzeitspredigten - inhaltlich unter der leitenden Fragestellung aus, wobei sich zusammenfassende Betrachtungen mit der Anschauung dienlichen Einzelanalysen verbinden. Deutlich wird, dass die Prediger dieser Zeit und dieser Region fest in der von Luther vertretenen, aber schon auf das Mittelalter zurückgehenden Drei-Stände-Lehre verankert waren und diese auch selbst auf der Kanzel propagierten. Diese beschreibt den Ort des Christen in der Welt und besagt, Gott habe drei Stände eingesetzt, um durch sie die Welt zu gestalten und zu erhalten, nämlich die Regenten (status politicus), die Prediger (status ecclesiasticus) und die Wirtschaftstreibenden, die Bauern und Handwerker (status oeconomicus). Eine besondere Pointe hat diese Lehre in der Behauptung, die Prediger hätten auch ein Mahner- und Wächteramt gegenüber der Obrigkeit, weil "die Obrigkeit ebenso unter dem Gesetz Gottes steht [...] wie die Menschen/Geschöpfe, über die sie herrschen soll" (72). Schorn-Schütte bilanziert zu diesem wichtigen Themenaspekt: "Das Recht der Obrigkeitskritik bis hin zum Not- und Gegenwehrrecht war in allen Predigten präsent." (83). Die Prediger sahen sich dabei als Nachfolger der Propheten des Alten Testaments.
Zur Erschließung der Predigten über die in ihnen verwendete Begrifflichkeit konnte auf einen schon früher von Philip Hahn erstellten Thesaurus zurückgegriffen werden. Die Predigten wurden im Hinblick auf "Häufungen von Begriffen der politisch-theologischen Sprache" untersucht wie "Ordnung", "Stand", "Herrschaft", aber auch "Gewissen", "Treue", "Gehorsam" und "Vaterland".
"Treue war eine Grundnorm der europäischen Frühneuzeit" (69). Den Predigern war dabei in erster Linie Treue zum religiösen Bekenntnis wichtig. Ferner wird der Treuebegriff "zur Kennzeichnung der Beziehungen zwischen den politischen Ständen und dem weltlichen Oberhaupt" verwendet (71). Eine "Weiterentwicklung [des] Treuebegriffs hin zu naturrechtlich begründeten individuellen Rechten" konnte Schorn-Schütte in den Predigten jedoch nicht beobachten (71). Auch "fand die seit Mitte des 16. Jahrhunderts unter den Zeitgenossen wiederauflebende Debatte um ein Recht der Notwehr und der Gegenwehr in den Predigten eine nur geringe Resonanz" (73).
Die Verfasserin basiert ihre Studie auf der Arbeit mit rund 200 Quellentexten. Die zu den Themenaspekten vorhandene Sekundärliteratur wird ebenfalls breit rezipiert. Hierbei fehlen aber auch wichtige Titel wie Veronika Albrecht-Birkners grundlegendes Werk zu Ernst dem Frommen (Reformation des Lebens; 2002), Christian Deupers Studie zu Joachim Lütkemann (Theologe, Erbauungsschriftsteller, Hofprediger; 2013), Wolfgang Sommers Sammelband "Frömmigkeit und Weltoffenheit im deutschen Luthertum" (2013) sowie der Sammelband "Religion Macht Politik" (2014), zu welchem Schorn-Schütte sogar selbst beigetragen hat.
Hilfreich sind für den Leser und Nutzer die beigefügten Begriffs-, Personen- und Ortsregister. Sinnvoll wäre es gewesen, auch noch ein Bibelstellenregister zu erstellen.
Das Buch ist, wie es der Reihe "Gothaer Forschungen zur Frühen Neuzeit" entspricht, sehr sorgfältig gestaltet. Unklar bleibt dem Leser aber, warum in Teilen des Buches Schlüsselbegriffe durch Fettdruck hervorgehoben werden, in anderen nicht. Unklar ist ferner, warum im Literaturverzeichnis manche Autorennamen durch Großbuchstaben hervorgehoben werden, die meisten aber nicht.
Martin H. Jung