Nicolas Funke / Gundula Gahlen / Ulrike Ludwig (Hgg.): Krank vom Krieg. Umgangsweisen und kulturelle Deutungsmuster von der Antike bis in die Moderne (= Krieg und Konflikte; Bd. 14), Frankfurt/M.: Campus 2022, 384 S., 31 Abb., ISBN 978-3-593-51530-4, EUR 39,00
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Der vorliegende Band versammelt - um einen erweitert - die Beiträge der 2019 in Aachen stattgefundenen gleichnamigen Tagung.
Ziel des in zwei Teilbereiche gegliederten Bandes ist es, zeitgenössische Deutungsmuster von im Kontext von Krieg entstandenen Erkrankungen und den Umgang mit ihnen z.T. vergleichend zu untersuchen. Die Beiträge bieten einen zeitlichen Längsschnitt von der Antike bis zur Gegenwart und gehen der Frage nach, was Krankheit im jeweiligen Krieg bedeutete und wovon diese Auslegung beeinflusst wurde. Krankheit wird in der Einleitung als eine "normative Größe, ein kulturelles wertbezogenes Konstrukt" (15) definiert. Dabei geht es um Seuchen ebenso wie um Kriegsneurosen, Schuss- oder Stichverletzungen. Somit ordnet sich das Werk in die medizinhistorische Auseinandersetzung mit Körperdiskursen und dem Verständnis von Gesundheit, Krankheit und Behinderung ein.
Im ersten Teil geht es um die Deutung von Ursache und Wirkung zwischen Krieg und Krankheit in verschiedenen Epochen und um die jeweils für sinnvoll erachteten Präventionsmaßnahmen. Karl-Heinz Leven untersucht sehr facettenreich unter epischer, historischer und medizinischer Sicht die zeitgenössische Wahrnehmung der Attischen Pest von 430 v.Chr. Er zeigt die hervorstechende Rolle der religiösen Erklärung für die Seuche in Form des Orakels und setzt dieser die fehlenden staatlichen Abwehrmaßnahmen gegenüber. Eine bedeutende Rolle spielt Glaube/Aberglaube auch im nächsten Beitrag, in dem Nikolas Funke in beeindruckender Weise die Praxis der Vorbeugung und Behandlung von Krankheiten und Verwundungen in den Heeren des 16. und 17. Jahrhunderts mithilfe magischer Heil- und Schutzmethoden untersucht. Die Wundsalbe auf die Waffen eher als auf die Verletzungen aufzutragen, das Mitführen von Amuletten oder das Essen von Segnungszettelchen war wie die Unerschütterlichkeit im Glauben besonders im Dreißigjährigen Krieg der allgemein anerkannte, ultimative Schutz für die insgesamt gesundheitsschwachen und schlecht versorgten Kriegsteilnehmer.
Fritz Dross spinnt den Faden vom verletzten Soldatenkörper weiter zu den frühneuzeitlichen Diskursen der Wiederherstellung von Körpern und ihrer "Brauchbarkeit" (78). Hierbei spielt das Können von Feldscheren, die - entgegen ihrem schlechten Ruf - akademisch gebildeten Ärzte im militärischen Gesundheitswesen in Nichts nachstanden, eine zunehmend wichtige Rolle. Ein bedeutender Gedanke hierbei ist, dass die Chirurgie im Krieg geprägt von "körperliche[r] Gewalt gegen die Opfer körperlicher Gewalt" gewesen sei (103).
Dem Kriegsalltag und zwei Epidemien (1758, 1762) in Nordwestdeutschland widmet sich Sebastian Pranghofer in seinem Beitrag zum Siebenjährigen Krieg. Er zeigt, wie sehr die als notwendig erachteten, vor allem landesherrlichen Bewältigungsstrategien kriegsbedingter Seuchen (Hygiene, schnelle Bestattung etc.) von den Interessen verschiedener Akteure abhängig waren.
Sind die Beiträge allgemein europazentriert, so widmet sich jener von Julia Engelschalt den Zukunftsentwürfen in der Kolonial- und sogenannten Tropenmedizin nach dem Spanisch-Amerikanischen Krieg von 1898. Hierbei zeigt die Autorin im Zusammenhang von Medizin, Krieg und Imperialismus, welche labormedizinischen Innovationen und (militär)medizinischen Diskurse für die Planung von künftigen Präventionsmaßnahmen relevant wurden.
Der zweite Teil des Bandes geht auf den Umgang mit permanenten physischen und psychischen Einschränkungen aufgrund von Kriegsgeschehen und deren Relation zu Norm- und Idealvorstellungen ein. Die hier versammelten Beiträge untersuchen die Grenzen und Praxis der Fürsorge und das wandelbare Bild des "Kriegsversehrten" in der Gesellschaft.
Nadine Metzger geht der Berichterstattung über eine kollektive Wahnvorstellung in Amida in der Spätantike (560 n.Chr.) nach und zeigt einmal mehr, wie wenig sinnvoll die retrospektive Diagnose sein kann, während Julia Heinemann in einem methodisch hervorstechenden Beitrag die Armutsgefährdung verletzter Soldaten im Wien des 17. und 18. Jahrhunderts in Augenschein nimmt. Erst Mitte des 18. Jahrhunderts festigte sich der Status der Invaliden als "würdige[n] Arme[n]" (204) und ging mit einer Versorgung durch Pensionen und eigenen Invalidenheimen einher.
Um die Semantiken der Kriegshysterie und deren Verwertung in medizinischen Lehrfilmen geht es im Beitrag von Julia Barbara Köhne, während die letzten beide Beiträge zeigen, wie der ursächliche Zusammenhang von Krankheit und Krieg bejaht und geleugnet werden konnte. Gundula Gahlen demonstriert, wie sich die Wahrnehmung kriegsversehrter Offiziere vor und nach dem Ersten Weltkrieg bzw. in der Weimarer Republik veränderte und wie die Niederlage den Offizieren sowohl ihre Standesehre als auch ihre medizinischen Fürsorgeansprüche nahm.
Esther Abel untersucht im letzten Beitrag den Umgang der Militärpsychiatrie des Nationalsozialismus mit psychisch erkrankten Wehrmacht- und SS-Angehörigen. Hier wird letztendlich der Krieg nicht mehr als krankmachende Ursache definiert. Die Betroffenen werden zu "Drückebergern", Dissidenten oder einfach Vorerkrankten gemacht.
Der Band ist von insgesamt vier Kommentaren umrahmt; jener von Ralf Vollmuth aus medizinhistorischer Perspektive und jener von Dagmar Ellenbrock aus historischer Sicht in der "Abschlussdiskussion" - worunter man sich eher eine Debatte vorstellt - hätten in der Verschriftlichung vielleicht eher zu einer gemeinsamen Schlussbetrachtung zusammengefasst werden sollen. Abgerundet wird der Band von englischen Abstracts der Beiträge, einem Abbildungs- und Autor:innenverzeichnis sowie einem Ort-, Personen- und Sachregister.
Die Stärken des Bandes sind der interepochale Ansatz und das Facettenreichtum der Fallbeispiele in den durchwegs hochwertigen Beiträgen.
Eine wenig gravierende Schwäche sind die vielen Redundanzen in einzelnen Beiträgen, die mehrfach ankündigen, was der Beitrag zeigen soll (z.B. Engelschalt), aber vor allem in den Teil- und Abschlusskommentaren, die - wie die Einleitung - nur wenig voneinander abweichend wiederholt auf die einzelnen Beiträge eingehen.
Elena Taddei