Sean L. Field / Marco Guida / Dominique Poirel (éds.): L'épaisseur du temps. Mélanges offerts à Jacques Dalarun, Turnhout: Brepols 2021, 733 S., 1 Farb-, 2 s/w-Abb., ISBN 978-2-503-59592-4, EUR 125,00
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Guillaume de Digulleville: Le Pelerinage de Vie humaine - Die Pilgerreise ins Himmlische Jerusalem. Faksimile und Edition des altfranzösischen Textes mit deutscher Übersetzung. Ediert, übersetzt und kommentiert von Stephen Dörr, Frankwalt Möhren, Thomas Städler und Sabine Tittel. Herausgegeben von Veit Probst, Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 2012
Gwilym Dodd (ed.): Fourteenth Century England X, Woodbridge / Rochester, NY: Boydell & Brewer 2018
Renate Blumenfeld-Kosinski / Kiril Petkov (eds.): Philippe de Mézières and his Age. Piety and Politics in the Fourteenth Century, Leiden / Boston: Brill 2012
Dominique Poirel (éd.): Pierre Abélard, génie multiforme. Actes du colloque international, organisé par l'Institut d'Études Médiévales et tenu à l'Institut Catholique de Paris les 29-30 novembre 2018, Turnhout: Brepols 2022
Dominique Poirel: Des symboles et des anges. Hugues de Saint-Victor et le réveil dionysien du XIIe siècle, Turnhout: Brepols 2013
Michael D. Bailey / Sean L. Field (eds.): Late Medieval Heresy - New Perspectives. Studies in Honor of Robert E. Lerner, York: York Medieval Press 2018
Jacques Dalarun (*1952) gehört ohne jeden Zweifel zu den profiliertesten Mediävisten Frankreichs. Teile seines Berufslebens verbrachte er in Italien (École française de Rome; Pontificia Università Antonianum) und den USA (St. Bonaventure University). Seine Karriere vollzog sich aber vor allem in Frankreich, wo er lange Jahre als Direktor an der Spitze des Institut de recherche et d'histoire des textes (IRHT) stand. Die Anzahl seiner Publikationen ist ebenso beeindruckend wie die Fülle an Forschungsprojekten, die von ihm angestoßen und begleitet wurden.
Die vorliegende Festschrift spiegelt etwas von der großen Spannbreite der wissenschaftlichen Interessen Dalaruns wider. Der Band wird von einem Prolog, einer Bibliographie seiner Arbeiten (21-66) und einem Epilog umschlossen und umfasst chronologisch fortschreitend drei große Abschnitte mit insgesamt 38 Beiträgen (I. Moyen Âge central; II. Moyen Âge tardif; III. Du Moyen Âge à nos jours).
In ihrer Einführung sprechen die drei Herausgeber anerkennend von einer "méthode Dalarun", und verweisen damit doch nur auf das, was in der Welt der Wissenschaften eigentlich selbstverständlich sein müsste, sich aber trotz aller Lippenbekenntnisse nur selten findet: kollegiale Zugewandtheit, in deutscher Bewerbungsprosa zum Begriff "Teamfähigkeit" verunstaltet. Wohl nicht ganz zufällig weisen einige der Festschriftbeiträge zwei oder gleich mehrere Verfasser auf. Zu dieser "fraternité" gesellen sich im Falle Dalaruns, so die Herausgeber, zusätzlich noch unbestechliche Intelligenz und das Brennen für die Sache selbst. Wohl kein Beitrag bietet umfassenderen Einblick in diese Geisteshaltung als William Chester Jordans Corrigenda seiner eigenen, 2019 erschienenen Monographie über islamische Konvertiten in der Regierungszeit Ludwigs IX. von Frankreich. Dalarun selbst zeichnete für die Übersetzung der Monographie ins Französische verantwortlich - der kollegiale Austausch mit Jordan während des Übersetzungsprozesses fand nun Eingang in den Festschriftartikel (The Apple of His Eye Revisited, 263-278).
Dalaruns Interessen sind breit gefächert, müsste man jedoch ein Forschungsfeld benennen, das im Laufe der vergangenen Jahrzehnte aufgrund seines "Brennens für die Sache" entscheidende Impulse erhalten konnte, dann ist dies wohl die Franziskanerforschung - im Falle des Geehrten stets quellenbasiert und breit kontextualisierend.
Dalarun ist ein vorzüglicher Latinist, dem die Mittelalterforschung zusätzlich maßstabsetzende Editionen zentraler franziskanischer Texte verdankt. "Zurück zu den Handschriften" war stets seine Devise. Dieses Interesse spiegelt sich auch in vielen Beiträgen der Festschrift wider. Müsste man deren zentrale Inhalte schlagwortartig verdichten, dann stünden dort wohl vier Begriffe an erster Stelle: "Franciscana", "Hagiographie", "Codices" und "Editionen".
François Dolbeau eröffnet den Editionsreigen mit seiner kritischen Edition des Tractatus de quadragesima ascensionis Domini aus der Feder des Augustinus (Un sermon d'Augustin pour l'Ascension (263 auct.): reconstitution et édition critique, 69-102), gefolgt von Armelle Le Huërou und Jean-Yves Tilliette, die die editio princeps (samt französischer Übersetzung) eines Textes vorlegen, der aufgrund sprachlicher und inhaltlicher Kriterien überzeugend Baudri de Bourgueil zugewiesen und im Bereich der Meditationsliteratur verortet werden kann (Une méditation inédite sur le désespoir et la pénitence attribuable à Baudri de Bourgueil, 105-134). Fortunato Iozzelli präsentiert die ersten Ergebnisse seiner editorischen Arbeit am Johanneskommentar des Petrus Johannes Olivi (Lectura super Johannem), samt einer kritischen Edition von De septem verbis Mariae Virginis (Le sette parole di Maria nell'esegesi di Pietro Giovanni Olivi, 279-292).
Kein Themenbereich ist präsenter als das mare magnum der Forschungen zum Franziskanerorden. Nur einiges sei an dieser Stelle beispielhaft herausgegriffen. François Bougard beschäftigt sich mit einem Schlüsselmoment im Leben des Franz von Assisi: dem Besuch 1219 beim ägyptischen Sultan. Der Aufsatz richtet einmal mehr den Blick auf die Textüberlieferung - und erstaunlich ist, was der unbestechliche, genaue Blick Bougards dabei an bisher übersehenen Verbindungslinien zutage fördert (Saint François et l'épreuve du feu, ou le pouvoir du texte. Sources et avatars d'un motif hagiographique, 157-176).
Michael F. Cusato beleuchtet anhand einer "enigmatic source", dem Sacrum commercium beati Francisci cum Domina Paupertate, den Verrat am ursprünglichen franziskanischen Armutspropositum in Gestalt der prachtvollen Franziskus-Basilika in Assisi (The Legacy of the Basilica of San Francesco in Assisi in Franciscan Texts, c. 1305, 323-336), während François Delmas-Goyon, Antonio Montefusco und Sylvain Piron neue Erkenntnisse zur Geschichte einer wichtigen Handschrift franziskanischen Inhalts liefern (Un peu de neuf sur le manuscrit Little (Plaidoyer pour une histoire vivante des textes), 437-479). Die Autoren geben Einblick in die Art und Weise der Zusammenstellung der Handschrift und liefern wichtige Aussagen zu den im Codex enthaltenen Texten und ihren Redaktionsstufen: "Dans le prolongement du style d'enquête de Jacques Dalarun, notre approche voudrait également être un plaidoyer pour l'histoire des vies impliquées dans la transmission des textes" (443).
Anne-Marie Eddé verdanken wir die französische Übersetzung eines Berichts über Streitigkeiten zwischen Franziskanern und Mameluken auf dem Zionsberg (Franciscains et Mamelouks en conflit sur le mont Sion (1489-1491). Le récit d'un cadi hanbalite de Jérusalem, 549-566), während Luigi Pellegrini versucht, durch seinen Beitrag Aufmerksamkeit für ein ins Stocken geratenes Handschriften-Digitalisierungsprojekt zu wecken (I codici della Library della S. Bonaventure University. Un lavoro incompiuto, 637-649).
Auch auf anderen Gebieten liefert die Festschrift Bemerkenswertes. Étienne Anheim analysiert ein von Petrarca 1374 in Briefform verschriftlichtes Autoporträt, in dem der poeta laureatus die Geschichte seiner Liebe zu Büchern Revue passieren lässt (Au nom du père et du fils. Un souvenir d'enfance de Pétrarque, 355-367). Carlo Delcorno und Cécile Caby nehmen sich jeweils unterschiedlicher Predigtcorpora an. Im Falle Delcornos ist dies eine Predigt des Dominikaners Angelo da Porta Sole (Il sermone O vos omnes di Angelo da Porta Sole, 387-398), im Falle Cabys ein eigener Predigttypus: die auf Generalkapiteln gehaltenen Sermones (Electio. Le choix des supérieurs dans les sermons en chapitre des ordres religieux à la fin du Moyen Âge, 537-547). Caby skizziert den status quo der Forschung und präsentiert Beispiele aus dem italienischen Spätmittelalter, wo aufgrund eines Überlieferungszufalls eine große Anzahl dieser Predigten aus dem Olivetanerumfeld erhalten geblieben ist. Dennoch muss auch sie als eine der besten Spezialistinnen auf diesem Gebiet bekennen: "L' heure n'est pas à la synthèse, mais bien au repérage et aux études de cas sans lesquelles ce corpus largement méconnu restera encore longtemps dans l'ombre" (547).
Indices der Handschriften, der Personennamen (vor 1500/nach 1500) und eine Tabula gratulatoria beschließen einen Band, der dem traditionsreichen, zuletzt etwas in Verruf geratenen Typus der Gelehrten-Festschrift zur Ehre gereicht - eine Publikation, die der Bedeutung des Geehrten entspricht.
Ralf Lützelschwab