Ulrike Gleixner / Marília dos Santos Lopez (eds.): Things on the Move - Dinge unterwegs. Objects in Early Modern Cultural Transfer (= Wolfenbütteler Forschungen; 165), Wiesbaden: Harrassowitz 2021, 232 S., 68 Abb., ISBN 978-3-447-11470-7, EUR 62,00
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Kulturkontakte, kultureller Austausch und Kulturtransfer gehören zu den spannendsten und zukunftsträchtigsten Aspekten der boomenden Erforschung materieller Kultur - doch im Mittelpunkt der Betrachtung stehen sie verhältnismäßig selten. Hier setzt dieser Band mit neun Fallstudien in englischer und deutscher Sprache an. Von Federn über Korallen, Kokosnüsse, Porzellan und Rosenkränze bis hin zu einem Mitgiftschrein und einem Kunstschrank nimmt er mobile Objekte der Frühen Neuzeit in den Blick. Hochwertige Abbildungen bieten einen lebendigen Eindruck von ihrer Beschaffenheit. Sie sind nicht ausnahmslos, aber überwiegend dem Bereich kostbarer Güter und Sammlungsgegenstände zuzurechnen.
In der Einleitung eröffnen die Herausgeberinnen fünf spezifische Perspektiven: auf die Rolle der Materialien und Objekte in transkulturellen Interaktionen, auf ihre Transformierung durch Ortswechsel, auf die Herstellung von Objekten in transkulturellen Kontexten, auf die Wissensproduktion, die auf der Mobilität der Dinge beruhte, sowie schließlich auf die "material geography", eine Neudefinition von Räumen anhand materieller Kultur. Das methodische Instrumentarium der Forschung zur materiellen Kultur und zu kulturellem Austausch und Kulturtransfer ist vielfältig. Zu den Konzepten, derer sich die Autor*innen bedienen, um den eingangs benannten Perspektiven nachzugehen, zählen "objectscapes" ebenso wie das "social life". Die untersuchten Dinge werden zudem durch eine Vielzahl von Quellen wie Nachlassinventare, Packlisten und Auktionskataloge flankiert.
Dabei wird vor allem zweierlei deutlich. Zum Ersten ist und bleibt der 'Dinggebrauch' der Frühen Neuzeit erklärungsbedürftig. So stellt Ulinka Rublack fest, dass die Vorliebe für Federschmuck Teil einer eigenen, uns heute fremd gewordenen "ästhetischen Welt" war, und bringt Beispiele für die erstaunliche Symbolkraft der Federn in verschiedensten Bereichen (Handel, Militär, Herrschaft). Anna Grasskamp zeigt, wie komplex der Symbolgehalt von Koralle sein konnte - einem Naturmaterial, das zwischen Europa und Asien hin- und hertransportiert wurde und dabei nicht nur anhand seines finanziellen, sondern beispielsweise auch seines spirituellen Wertes beurteilt wurde. Koralle konnte für Verbindungen zwischen Land und Meer, zwischen Mensch und Transzendenz stehen. Aus beiden Beiträgen spricht ein kulturell und historisch spezifischer Umgang mit den Dingen, dessen Bedeutung alles andere als evident ist.
Zum Zweiten war materielle Kultur in der Frühen Neuzeit in fast allen Bereichen präsent und von wechselvoller Relevanz - beispielsweise im Zusammenhang mit Reformation und konfessioneller Ausdifferenzierung, Missionierung und Kolonisierung. So erweisen sich die Paternoster (Gebetsschnüre) in Kim Siebenhüners Beitrag als "mehrdeutige" (91), nämlich transkonfessionell wertgeschätzte Objekte, die in katholischen wie protestantischen Haushalten unterschiedlicher Schichten aufbewahrt und über Generationen vererbt wurden - zugleich aber auch konfessionelle und soziale Zugehörigkeiten markierten. Im kolonialen Kontext entstanden auch Mischformen, wie ein prachtvolles, unter Verwendung von Kolibrifedern und mexikanischen Kunsttechniken gefertigtes Exemplar aus Köln. Das Beispiel belegt die Ergiebigkeit der Forschung zur materiellen Kultur auch im Hinblick auf Glauben und Religion, wie Siebenhüner betont. Der Beitrag von Benjamin Schmidt über die Meißner Porzellanproduktion hebt den Stellenwert exotisierter Materialien für Vermittlungsprozesse zwischen Europa und anderen Weltteilen hervor, indem er sie als "go-betweens" und "mediators" deutet: "And with early modern attempts to make sense of things [...] also came attempts to make sense of the world and transact with the world" (104). Die Ergründung des Geheimnisses der Porzellanherstellung, so Schmidt, veränderte die Weltwahrnehmung nachhaltig - ein Vorgang, der sich auch im Bildrepertoire des Meißner Porzellandekors niederschlug. China wurde fortan nicht mehr imitiert, sondern parodiert; indem europäische Produzenten das chinesische Vorbild zu überflügeln suchten, transformierten sie auch die europäische Sicht auf China. Wandelbarkeit diagnostiziert auch Michael North für die "Räume der Geselligkeit" (138), die durch die Zirkulation "globaler Dinge" im niederländischen Einflussbereich und durch die mit ihnen verbundenen sozialen Praktiken entstanden. Solche Dinge und Räume, so folgert er, durchliefen einen "Prozess der Dekontextualisierung / Deterritorialisierung" (139) und in der Folge eine Neuverortung, bei der europäische Kunstformen mit anderen, in der Kontaktzone verfügbaren Motiven versehen wurden.
In dem Beitrag von Ulrike Gleixner, der sich mit "travelling objects" zwischen Halle und Tranquebar / Tharangambadi befasst, spielen solche Transformationen ebenfalls eine zentrale Rolle - und zwar sowohl bei sakralen als auch bei alltäglichen Gegenständen. Zwar war die von Dänemark unterstützte Hallesche Mission nicht die erste, die fremde Gegenstände als Sammlungsobjekte nach Europa brachte (Gleixner nennt das Beispiel von Athanasius Kirchers Museum in Rom, das viele seiner Sammlungsgegenstände der Jesuitenmission verdankte). Am Beispiel eines hinduistischen Pönitenzpantoffels aus der Sammlung der Kunst- und Wunderkammer der Franckeschen Stiftungen aber kann Gleixner zeigen, wie eine "relocation" durch die Aktivitäten der pietistischen Missionare zu einer gleich mehrfachen "transformation" führte (150-151). Sammlungs- wie Ausrüstungsgegenstände, die Missionare auf ihren Reisen im Gepäck hatten, trugen zu einem transkontinentalen Wissenstransfer in beide Richtungen bei.
Dass es bei dem Wandel, den Objekte durch wechselnde Zuschreibungen erfuhren, nicht unbedingt darum gehen musste, frühere Stationen vergessen zu machen bzw. dass dies nicht immer gelang, beweisen die Beiträge von Elizabeth Harding über frühneuzeitliche Auktionskataloge und von Michael Wenzel über den Kunstschrank Gustavs II. Adolf von Schweden. Harding betrachtet "Provenienzen als etwas Gemachtes und Fluides" (162); sie zeigt, wie Vorbesitz "im Sinne einer Filiation" dokumentiert wurde und für "Authentizität" und "künstlerische Originalität" stehen konnte (177). Wenzels Objektbiografie eines von dem Kunsthändler Philipp Hainhofer konzipierten Kunstschranks stellt diesen in den Kontext des Dreißigjährigen Krieges. Diplomatische Gabe und Beutestück zugleich, gelangte die "Miniatur-Kunstkammer" anlässlich der schwedischen Einnahme Augsburgs 1632 in den Besitz des Königs. In Begleitung zweier Augsburger Fachleute, die seinen Transport überwachten und ihn am Zielort sachgemäß zusammenbauten, wurde der Schrank über Pommern nach Schweden gebracht, wo er zunächst zum Besitz der königlichen Familie und später der Universität von Uppsala gehörte. Mit seinem Transfer war ein Kulturtransfer verbunden, der in Wenzels Worten einen durchaus problematischen "Wandel seines Ding-Charakters" bewirkte: vom "Siegeszeichen" wurde er zu einem "kulturellen Fremdkörper" und unzeitgemäßen "Wissenscontainer" (199).
In mancher Hinsicht lassen sich die von den Herausgeberinnen formulierten Perspektiven gewinnbringend weiterverfolgen. So ist es nicht unerheblich, ob es sich bei den kulturellen Mischformen, die anhand von Paternostern oder südasiatischer Kunst im niederländischen Einflussbereich zu beobachten sind, um Formen wechselseitiger Hybridisierung oder eher um einseitige Aneignung ("appropriation") handelte. Überhaupt kann die Frage nach Machtasymmetrien und hegemonialen Bestrebungen im Umgang mit materieller Kultur gar nicht oft genug gestellt werden, gerät sie doch angesichts der Kostbarkeit der Objekte sowie des Kenntnisreichtums und der Kunstfertigkeit frühneuzeitlicher "Ding-Experten" leicht in den Hintergrund - war aber, dies ruft das Beispiel des Meißner Porzellans in Erinnerung, aus zeitgenössischer Sicht von enormer Bedeutung. Uneindeutigkeit, wie sie beispielsweise in dem Beitrag von Grasskamp aufscheint, Missverständnisse oder Mehrfachzuschreibungen, wofür sich in der Geschichte materieller Kultur gewiss zahlreiche Beispiele finden, sind geradezu typisch für Kontaktsituationen - und nicht selten sind sie konfliktträchtig. Gerade die Beweglichkeit der Dinge, auf die der Band fokussiert, war häufig mit Spannungen, Auseinandersetzungen, ja: mit Gewalt verbunden. Dies zeigen der Beitrag von Wenzel mit seinem Bezug zum Dreißigjährigen Krieg, aber auch die aktuellen Debatten um "brisante" und "sensible" Sammlungen und um die Rückgabe in kolonialen Kontexten erworbener Gegenstände aus europäischen Museen. Hier wäre, über den vorliegenden Band hinausweisend, generell nach dem Konfliktpotenzial der Ding-Mobilität zu fragen, das - wie die zunehmende Vernetzung durch den Warenverkehr - eben auch zur materiellen Kultur der frühen Globalisierung gehörte.
Insgesamt führt dieser schöne, lesenswerte Band reiche Anknüpfungsmöglichkeiten zwischen materieller Kultur und Kulturkontakten vor Augen. Zugleich deutet er an, wo einige Fallstricke allzu 'objektverliebter' Betrachtung liegen und wo es sich unbedingt lohnt, weiter zu forschen.
Sünne Juterczenka