Guido Hinterkeuser: Das Berliner Schloss. Die erhaltene Innenausstattung und ihre Geschichte, Regensburg: Schnell & Steiner 2023, 383 S., ISBN 978-3-7954-3529-5, EUR 25,00
Inhaltsverzeichnis dieses Buches
Buch im KVK suchen
Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.
Diese Rezension erscheint auch in KUNSTFORM.
Sven Externbrink / Charles-Édouard Levillain: Penser l'apres Louis XIV. Histoire, mémoire, représentation (1715-2015), Paris: Editions Honoré Champion 2018
Caroline Labrune: Fictions dramatiques et succession monarchique (1637-1691), Paris: Editions Honoré Champion 2021
Peter Bennett / Bernard Dompnier: Cérémonial politique et cérémonial religieux dans l'Europe moderne. Échanges et métissages, Paris: Classiques Garnier 2020
Es gibt Monumente, welche die Zeit in mehrfacher und manchmal ganz besonderer Weise überdauern. Hierzu darf wohl das Berliner Stadtschloss gerechnet werden, das, nach Jahrhunderten der Signifikanz für die brandenburgisch-preußische Monarchie, schließlich zum Sitz des Deutschen Kaisers, sodann zum Erinnerungsmuseum und schließlich zur immer noch imposanten Kriegsruine mutierte, bevor es dem Wollen der marxistisch-leninistischen Staatsführung nach einer auch architektonisch vollständigen historischen tabula rasa weichen musste und kurzerhand gesprengt wurde. Als Zeichen der Überwindung dieser Unbilden und als urbanistisch notwendig-dominierendes Element erfolgte sodann, nach den diversen Umbrüchen 1990ff. die Planung zum Wiederaufbau des Baudenkmals, welcher in den letzten Jahrzehnten nach schier endlosen politisch-ideologischen Debatten [1] in stark abgeänderter Form und in Reduktion auf die äußere Raumschale auch erfolgte.
In seiner Historie ebenso wie als Gegenstand einer im Inneren heftig geführten, im Ausland oftmals unverständlichen Auseinandersetzung offenbart sich dieses Gebäude als einzigartig in seiner Art. Selten wurden Residenzschlösser komplett zerstört (Herrenhausen bei Hannover oder Jägersburg bei Homburg/Saar sind Ausnahmen und waren auch Nebenresidenzen) und wenn, dann - im Ausland (etwa Warschau 1971-1988) oder Inland (München 1946-1985, Stuttgart 1958ff.) - unmittelbar wiederaufgebaut. Dieses direkte Anknüpfen an Vergangenes brachte es auch mit sich, dass Elemente des Alten, hier zuvorderst Innenausstattung und Dekoration, oft unmittelbar nach Zwischenlagerung wieder an Ort und Stelle installiert werden konnten. Für Berlin aber entfielen all diese Optionen, zunächst aufgrund der politischen Gegebenheiten bis 1990 und dann durch die Entscheidung zum Verzicht auf die Wiederherstellung der Innenräume.
Von daher kommt der hier anzuzeigenden Publikation, der erweiterten und veränderten Neuauflage einer 2012 erstmals erschienenen Studie aus der Feder des Objektspezialisten Guido Hinterkeuser [2], besonderes Gewicht in mehrfacher Hinsicht zu. Zum einen beschreibt sie weitgehend Einmaliges (auch dies im doppelten Sinne), zum anderen versucht sie sich an der Rekonstruktion von wohl dauerhaft Vergangenem und heute, zumal nach Maßgabe der politischen Elite, nicht mehr Gewolltem. Doppelt einmalig deshalb, da das Werk nun tatsächlich nicht Wiederkehrendes zum Inhalt hat, aber auch eine materiell-dingliche Vergangenheit hoher historischer Symbolik und Aussagekraft evoziert, deren Rekonstitution zwar möglich, aber nicht erwünscht ist. Das unterscheidet das vorliegende Werk und seinen Kontext ideen- wie wissenschaftsgeschichtlich fundamental von nur scheinbar vergleichbaren Unternehmungen, wie etwa der (Teil-)Rekonstruktion des minoischen Palastes zu Knossos auf Kreta durch Sir Arthur Evans (1851-1941) ab 1922, wie auch der theoretischen Rekonstruktion abgegangener Bauten in kunst- oder architekturhistorischer Literatur.
Dieser Sonderstellung wird der Band in vielfacher Hinsicht gerecht, auch wenn manche zum Teil sehr pointierten Aussagen des selbst darin eingebundenen Verfassers [3] vor allem zu Ablauf, Art und geistigem Umfeld der Wiederaufbaudiskussionen nicht die zustimmende Begeisterung jedes Lesers, wohl aber etlicher, wecken mögen. Wichtiger als diese aktuelle kulturpolitische Positionierung ist aber zweifellos die hier dokumentierte Arbeitsleistung, anhand nahezu aller (dazu unten mehr) verfügbarer optischen Erinnerungsmittel das Innere eines Bauwerks in Gänze vor der Leserschaft wiedererstehen zu lassen. Diese Leistung belegt für den Fachhistoriker den Wert einer ganz besonderen Art von Quellenkunde, nämlich jener der Realquellen und ihrer bildlichen Konservierung - eine in Unterricht und akademischer Lehre wie Forschung sicher nicht überrepräsentierte Gattung. Darüber hinaus ermöglicht die Fülle der Dokumentation den Nachvollzug mancher Genese fürstlichen Wohnens und monarchischer Repräsentation an gleicher, fest umrissener Stelle. Das Berliner Schloss wird somit, darin besteht eindeutig die schon fast surreal-postmoderne Bedeutung des Buches, als nicht mehr (vollständig) existierende historisch-topographische Größe zum Fokus einer lückenlos durchgeführten Darstellung historischer Phänomene und Prozesse mittels noch immer real existierender Medien.
Gegenüber diesen wahrlich singulären Meriten wirken die wenigen Nachfragen klein und unbedeutend. Sie betreffen lediglich einige Punkte der zugrunde gelegten Literatur, so etwa das Fehlen der ikonographisch relevanten Werke von Liselotte Wiesinger, deren bedeutendstes den Reigen der optisch-ephemeren Rekonstruktion des Berliner Schlosses anhand der erhaltenen AGFA-Aufnahmen der Deckenbilder ja recht eigentlich eröffnete. [4] Zum anderen nimmt es ein wenig Wunder, dass das 1942 in die Kinos gekommene filmische Lebensbild des Schlossarchitekten Andreas Schlüter [5] an keiner Stelle erwähnt wird und auch die darin anzutreffenden Innenaufnahmen unerwähnt bleiben. Natürlich handelt es sich dabei um einen bedenklichen Film eines noch bedenklicheren Hintergrundes und Umfeldes, aber als Film-, also Bilddokument kommt ihm eindeutig gesteigerter Wert zu.
Wie auch immer - auch so ist das schöne album Guido Hinterkeusers ein beeindruckendes Denkmal sui generis, dies in Art, Sujet und Grundlage der Darlegung. Die verlegerische Präsentation ist exzellent (Qualität wie Größe und Anzahl der Abbildungen, Satzbild), der Ladenpreis so großzügig niedrig kalkuliert, dass der dem Werk zukommenden weiten Verbreitung wenig entgegenstehen dürfte.
Anmerkungen:
[1] Vgl. zu Objekt und Phänomen: Dieter Hildebrandt: Das Berliner Schloss. Deutschlands leere Mitte, München 2011; Peter Stephan: Von Schlüters Schloss zu Stellas Forum, in: INSITU Zeitschrift für Architekturgeschichte 1/2 (2009), 103-134; Hartmut Ellrich: Das Berliner Schloss. Geschichte und Wiederaufbau, Petersberg 2008; Zur Debatte: Wilhelm von Boddien, Helmut Engel (Hgg.): Die Berliner Schlossdebatte. Pro und Contra, Berlin 2000; Anna-Inés Hennet: Die Berliner Schlossplatzdebatte im Spiegel der Presse, Berlin 2005.
[2] Vgl. sein grundlegendes Werk zum Neubau unter Friedrich III./I.: Guido Hinterkeuser: Das Berliner Schloss. Der Umbau durch Andreas Schlüter, Berlin 2003.
[3] S. dazu: Guido Hinterkeuser (Hg.): Wege für das Berliner Schloss/Humboldt-Forum. Wiederaufbau und Rekonstruktion zerstörter Residenzschlösser in Deutschland und Europa (1945-2007), Regensburg 2008. - Hinterkeuser war zudem Verfasser einiger Gutachten für den leitenden Architekten des Wiederaufbaus, Franco Stella, vgl. die Angaben unter: https://www.lukasverlag.com/autoren/autor/1671-guido-hinterkeuser.html. .
[4] Liselotte Wiesinger: Deckengemälde im Berliner Schloß. Mit einem Beitrag von Goerd Peschken, Frankfurt/Berlin 1992; s. daneben von ihr: Das Berliner Schloß. Von der kurfürstlichen Residenz zum Königsschloß, Darmstadt 1989; Der Elisabethsaal des Berliner Schloßes. Ein Beitrag zur Antikenrezeption in Berlin um 1700, in: Jahrbuch der Berliner Museen 24 (1982), 189-225.
[5] Andreas Schlüter (D 1942), Regie: Herbert Maisch, 112 min.
Josef Johannes Schmid