Geoffrey Greatrex: Procopius of Caesarea. The Persian Wars. A Historical Commentary, Cambridge: Cambridge University Press 2022, 851 S., ISBN 978-1-1070-5322-9, GBP 140,00
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Geoffrey Greatrex: Procopius of Caesarea: The Persian Wars. Translation, with Introduction and Notes, Cambridge: Cambridge University Press 2022, 251 S., 30 s/w-Abb., ISBN 978-1-1071-6570-0, GBP 75,00
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Kaum jemand hat in den letzten beiden Jahrzehnten mehr für die Prokop-Forschung getan als Geoffrey Greatrex. Seit seiner Dissertation (Rome and Persia at War: 502-532, Leeds 1998 - vorausgegangen waren bereits mehrere thematisch einschlägige Aufsätze) hat Greatrex kontinuierlich zu Prokop gearbeitet. Der Kommentar zu den Perserkriegen sowie die gleichzeitig publizierte englische Übersetzung, Ergebnisse einer mehr als zehnjährigen Arbeit, stellen gleichsam die monumentale Summe dieser Forschungen dar. Zugleich rücken sie den spätantiken Historiographen - durchaus seinem Anspruch entsprechend - endgültig an die Seite seiner berühmten Vorgänger Thukydides, Herodot und Polybios, deren Werke durch ähnliche Pionierleistungen längst erschlossen worden sind. Greatrex leistet damit einen wichtigen Beitrag im Bemühen, Prokop vom Stigma des Niedergangshistorikers zu befreien.
Die konzise Einleitung zum Kommentarband (1-29) diskutiert jene Aspekte, mit denen die Forschung sich seit Felix Dahn (Prokopius von Cäsarea, Berlin 1865) kontinuierlich auseinandergesetzt hat: Biographische Aspekte (das Wenige, was wir wissen, muss aus Prokops Texten erschlossen werden); die Datierung der einzelnen Werke (Bella I-VII und Anekdota: 550/51; Bella VIII: 552/53; Bauten: wahrscheinlich 554, vgl. 2f.); Aufbau und Struktur der Perserkriege (mit Hinweis auf die besondere Bedeutung der Kapitel 1,24 [Nika-Aufstand] und 2,22-23 ['Justinianische Pest']); stilistische Fragen (Thukydides-aemulatio, sprachliche Anlehnung an hellenistische Vorbilder); Bedeutung und Authentizität der Reden, die nicht durchweg als Medien der Äußerung von Regimekritik verstanden werden dürfen, sondern mitunter auch tatsächlich gehalten worden sein können (11); die Rolle der Exkurse; Hinweise auf Prokops christliches Bekenntnis (vgl. zutreffend 14: "this classical facade cannot be taken at face value; [...] his text betrays the attitude of a typical Christian of the time"; dementsprechend skeptisch äußert sich der Verfasser - m.E. zu Recht - mit Blick auf die von A. Kaldellis formulierte These, Prokop sei Anhänger paganer Kulte gewesen). Auch lexikalische Besonderheiten sowie die komplexe Frage nach Prokops Quellen werden in der Einleitung angesprochen; Ausführungen zur Textüberlieferung und ein knapper historischer Abriss zur Geschichte der römisch-persischen Beziehungen im 5./6. Jahrhundert runden die Hinführung zum Kommentar ab.
Dieser erschließt den Text auf unterschiedlichen Ebenen. Greatrex nimmt für sich lediglich in Anspruch, historische Aspekte aufgearbeitet und kontextualisiert zu haben, doch leisten seine Erläuterungen weit mehr: Sie bieten nicht zuletzt auch reichhaltig Material zu philologischen Fragen und berücksichtigen stets die sprachliche Ebene. Um die Erschließung des Textes zu vereinfachen, hat der Autor diesen in Sinnabschnitte gegliedert, die nicht immer den geläufigen Kapitelunterteilungen entsprechen, aber wesentlich dazu beitragen, die Struktur der Darstellung Prokops zu erhellen. Für jede dieser Einheiten bietet ein erster Abschnitt "History" eine historische Einordnung im Lichte der Forschung (exemplarisch vgl. etwa 334f. zum Nika-Aufstand oder 565f. zur aktuellen Kontroverse über die 'Justinianische Pest'), während ein weiterer Abschnitt "Historiography" die Überlieferung näher in den Blick nimmt. Erst dann folgt der Kommentar im engeren Sinne, häufig ergänzt durch hilfreiche Karten, Pläne oder Skizzen; Greatrex geht bewusst kleinteilig vor und bietet einen 'klassischen' Kommentar im besten Sinne: Er erläutert einzelne Formulierungen, Phrasen, Satzglieder oder Sätze in größtmöglicher Detailfülle, jedoch stets so, dass man den Kommentar auch zum raschen Nachschlagen heranziehen kann (was auch an der optisch ansprechenden Darbietung liegt). Seine Ausführungen zeigen eine tiefe Vertrautheit mit der Textgrundlage (und paralleler Überlieferung), die insbesondere in der Herausarbeitung inter- und intratextueller Verweise immer wieder deutlich wird, Feinheiten des Textes, die man sonst überlesen würde, aufzeigt und differenzierte Urteile, u.a. zur Kaiserkritik Prokops, ermöglicht. Zugleich stützt sich der Kommentar auf eine ungewöhnlich große Menge an Forschungsliteratur; nicht nur Arbeiten der letzten Dekaden, sondern die gesamte Prokop-Forschung seit Felix Dahn, inklusive lateinischsprachiger Gymnasialprogramme des 19. und frühen 20. Jahrhunderts wurden - gewinnbringend! -herangezogen, darüber hinaus überaus zahlreiche jüngere Beiträge, die nicht in englischer Sprache verfasst wurden. Damit dürfte der Kommentar zukünftig nicht nur eine erste Anlaufstelle für jegliche Auseinandersetzung mit dem Text der Perserkriege darstellen, sondern zugleich auch ein umfassendes und durch die vielfältigen Register leicht erschließbares Kompendium der internationalen Prokop-Forschung.
Die flankierende Übersetzung, für die Greatrex auf Vorarbeiten Averil Camerons zurückgreifen konnte, stellt die erste vollständige Übertragung der Perserkriege in englische Sprache seit der Loeb-Ausgabe von H. B. Dewing (1914) dar. Sie verbindet sprachliche Klarheit mit dem Versuch, den mitunter komplexen, manchmal auch undurchsichtigen grammatikalischen Strukturen des Originals gerecht zu werden; häufig gelingt es sehr schön, Prokops Stil im Englischen zu imitieren. Der Übersetzung wurden kurze Erläuterungen in Form von Fußnoten beigegeben, sodass sie auch ohne den großen Kommentar verwendet werden kann. Ihre Einleitung, die unvermeidliche Überlappungen mit den Einführungskapiteln des Kommentars aufweist, richtet sich an ein größeres Publikum.
Mit dem Kommentar und der Übersetzung hat Geoffrey Greatrex nicht nur eine vorläufige Bilanz gezogen, sondern die Prokop-Forschung auf eine neue Stufe gehoben. Wer sich künftig mit Prokop, dem 6. Jahrhundert und der spätantiken Historiographie auseinandersetzt, wird dankbar auf dieses Doppelwerk zurückgreifen.
Mischa Meier