Michael Grüttner: Talar und Hakenkreuz. Die Universitäten im Dritten Reich, München: C.H.Beck 2024, 704 S., ISBN 978-3-406-81342-9, EUR 44,00
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Für die Universitäts- und Wissenschaftsgeschichte des 'Dritten Reichs' ist Michael Grüttner kein Unbekannter. Mehrere grundlegende Monographien und Sammelbände sowie eine Vielzahl an wissenschaftlichen Artikeln zeugen von einer Expertise, die auf jahrzehntelangen Forschungsleistungen beruht. Dasselbe gilt für die jüngste Publikation, die ihr Verfasser keineswegs zu Unrecht als "die erste Gesamtdarstellung der deutschen Universitätsgeschichte im Nationalsozialismus" (10) qualifiziert: Talar und Hakenkreuz stellt eine willkommene, wenn nicht überfällige Synthese der einschlägigen Forschungsliteratur dar. Darüber hinaus lebt das angenehm lesbare Buch von einer Fülle an gut ausgewählten historischen Quellen, die Grüttners Darlegungen und stets wohlbegründeten Thesen und Beobachtungen durchgängig Plastizität und Plausibilität verleihen.
In sechs Kapiteln wird auf über 500 Seiten Fließtext ein breites thematisches Spektrum bearbeitet. Es reicht von der Situation der deutschen Universitäten in der Weimarer Republik über deren Nazifizierung, "Säuberung" [1] und Gleichschaltung im Gefolge der Machtübernahme durch die NSDAP im Jahr 1933 zu den polykratischen Strukturen, den heterogenen oder gar widerstreitenden Zielsetzungen nationalsozialistischer Hochschulpolitik und deren Akteuren und Opfern. Auch die Elemente und Tendenzen nationalsozialistischer Wissenschaftspolitik im Allgemeinen und einzelner wissenschaftlicher Disziplinen bilden thematische Schwerpunkte. Namentlich anhand von Theologie, Rechtswissenschaft, Geisteswissenschaften, Medizin sowie Naturwissenschaften und Mathematik wird das Verhältnis zwischen Nationalsozialismus und Wissenschaft, soweit es sich auf die Universitäten bezog, eingehend beleuchtet. Dazu kommen Fächer oder thematische Felder, die sich aufgrund ihrer Ideologiekonformität besonderer Förderung durch das NS-Regime erfreuten: "Rassenhygiene" und Eugenik, Vor- und Frühgeschichte, Volkskunde und "Wehrwissenschaften", aber auch "Ostforschung" und "Westforschung" gehören in diesen Zusammenhang. Erfreulich quellennah werden auch Diskrepanzen zwischen machtpolitisch oder ideologisch motivierten Ansprüchen und der Wirklichkeit herausgearbeitet, etwa hinsichtlich der enorm begrenzten Möglichkeiten zur Umsetzung des "Führerprinzips" zugunsten der Rektoren. Dies alles bezieht sich erklärtermaßen auf die 23 Universitäten des 'Dritten Reiches', die Universitäten in Österreich (Wien, Graz und Innsbruck) nach dem 'Anschluss' von 1938, die (deutsche) Universität Prag nach der Begründung des Reichsprotektorats Böhmen und Mähren (1939) und die Reichsuniversitäten Posen und Straßburg, die 1941 als genuin nationalsozialistische Einrichtungen gegründet wurden.
Grüttners differenzierter Umgang mit seinem umfangreichen Thema kommt nicht zuletzt darin zum Ausdruck, dass Einzelpersonen (beispielsweise Carl Schmitt, Martin Heidegger oder Hans Freyer) wie auch einzelne Institutionen (beispielsweise der Nationalsozialistische Deutsche Dozentenbund oder eine der zahlreichen Forschungseinrichtungen) jenseits ihrer jeweiligen Singularität immer auch in größeren Zusammenhängen und strukturell bedingten Kontexten gesehen werden. Dabei geraten Abweichungen, Nischen, Gegentendenzen und persönliche, örtliche oder institutionelle Besonderheiten nie über die Analyse von Strukturen und allgemeinen Entwicklungen aus dem Blick, und statistische Befunde werden organisch so in die qualitative Analyse integriert, dass sowohl spezifische Momente als auch generelle Trends deutlich werden. Überdies werden Abstrahierungen und Typologisierungen stets wohltuend problematisiert und relativiert. Dies gilt etwa für die idealtypische Einteilung der deutschen Universitätslehrer in aktive Nationalsozialisten, Nationalkonservative, fachorientierte Wissenschaftler, karriereorientierte Opportunisten und Regimekritiker, aber auch für die - post festum rekonstruierten - sechs "Kernelemente nationalsozialistischer Wissenschaftspolitik", die Grüttner in der vehementen Ablehnung der Idee einer "voraussetzungslosen Wissenschaft", einem instrumentellen Verhältnis zur Wissenschaft, einer moralischen Entgrenzung wissenschaftlicher Forschung, der Erhebung des Rassebegriffs zum zentralen Referenzbegriff wissenschaftlicher Forschung, der Förderung von Gemeinschaftsforschung und dem Ruf nach einer ganzheitlichen Wissenschaft festmacht, die die Grenzen der verschiedenen Disziplinen überwinden sollte (379-385).
Bedauerlich ist, dass dem quantitativ größten Teil der Universitätsangehörigen kein eigenes Kapitel gewidmet ist. Während der Lehrkörper und seine Interessenvertretungen in den Genuss dieses Privilegs kommen, fehlt ein Pendant zu den Studierenden; auch der Nationalsozialistische Deutsche Studentenbund hätte eine systematische Vorstellung verdient. Die Begründung, dass zu den Studierenden mit der Habilitationsschrift des Verfassers bereits eine einschlägige Publikation vorliegt [2], vermag nicht so recht zu überzeugen - lässt sich doch Analoges zu vielen anderen Einzelthemen feststellen, die Grüttner in Talar und Hakenkreuz sehr wohl referiert.
Eine gewisse Beschränkung kennzeichnet den Epilog: Die Ausführungen zur "Nachgeschichte" fokussieren stark auf die Problematik von Entnazifizierung und (weitgehend ausgebliebener) Remigration nach Kriegsende. Eine vergangenheitspolitische und erinnerungskulturelle Perspektive, wie sie in jüngerer Zeit beispielsweise in der Analyse von akademischer Ehrungskultur der Nachkriegszeit zum Ausdruck kommt [3], bleibt weitgehend außen vor. Schließlich hätten der Charakter eines Handbuchs, den Grüttners beeindruckende Synthese besitzt, und sein praktischer Gebrauchswert abgerundet werden können, wenn in Ergänzung zum Personen- und Ortsregister ein Verzeichnis der Organisationen aufgenommen worden wäre.
Ungeachtet dieser Einschränkungen liegt mit Talar und Hakenkreuz ein Standardwerk vor, das für zukünftige Forschungen zur nationalsozialistischen Universitäts- und Wissenschaftsgeschichte unentbehrlich ist. Dies gilt nicht zuletzt für Bereiche, die hier nicht abgedeckt werden, etwa die Hochschulen im 'Dritten' bzw. 'Großdeutschen Reich' unterhalb der Ebene der 29 Universitäten oder die Universitäten und Hochschulen in den vom Deutschen Reich während des Zweiten Weltkriegs besetzten oder mit diesem "befreundeten" Ländern.
Anmerkungen:
[1] Zu den Entlassungen an den 23 "reichsdeutschen" Universitäten hat Michael Grüttner eine eigene Studie mit Biogrammen und kollektivbiografischen Analysen veröffentlicht: Ausgegrenzt. Entlassungen an den deutschen Universitäten im Nationalsozialismus, Berlin / Boston 2023.
[2] Michael Grüttner: Studenten im Dritten Reich. Geschichte der deutschen Studentenschaft 1933-1945, Paderborn u.a. 1995.
[3] Siehe Alexander Pinwinkler / Johannes Koll (Hrsg.): Zuviel der Ehre? Interdisziplinäre Perspektiven auf akademische Ehrungen in Deutschland und Österreich, Wien / Köln / Weimar 2019.
Johannes Koll