Rezension über:

Philipp R. Rössner: Einführung in die Wirtschaftsgeschichte. Band 4: Frühe Neuzeit, Stuttgart: W. Kohlhammer 2024, 258 S., ISBN 978-3-17-036720-3, EUR 26,00
Inhaltsverzeichnis dieses Buches
Buch im KVK suchen

Rezension von:
Wilfried Reininghaus
Senden
Redaktionelle Betreuung:
FNZ-Redaktion (S. Becker, B. Braun, S. Dittmar, M. Schnettger, L. Schott-Storch)
Empfohlene Zitierweise:
Wilfried Reininghaus: Rezension von: Philipp R. Rössner: Einführung in die Wirtschaftsgeschichte. Band 4: Frühe Neuzeit, Stuttgart: W. Kohlhammer 2024, in: sehepunkte 25 (2025), Nr. 2 [15.02.2025], URL: https://www.sehepunkte.de
/2025/02/39793.html


Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.

Philipp R. Rössner: Einführung in die Wirtschaftsgeschichte

Textgröße: A A A

Der hier vorzustellende Band erscheint in einer neuen Reihe, die sich das Ziel gibt, "die Bedeutung und das Potenzial der Wirtschaftsgeschichte gerade der akademischen Welt (wieder) in Erinnerung zu rufen und das Interesse an wirtschaftshistorischen Fragestellungen bei der nächsten Historikergeneration zu wecken" - so der Reihenherausgeber Sebastian Steinbach im Vorwort (10). Der Autor des Bandes über die Frühe Neuzeit eröffnet das erste Kapitel über die wirtschaftsgeschichtlichen Besonderheiten der Epoche (1500-1800) mit einer Überraschung. Unter Berufung auf Knut Hamsun und Astrid Lindgren verlängert er die Epoche für Schweden und Norwegen bis in die Zeit um 1900, um die Vielgestaltigkeit der Wirtschaftsregionen in Europa zu belegen. Sodann wird die Rolle der Frauen kurz behandelt, bevor ein wirtschaftsgeschichtlicher Grundriss der Epoche vor allem anhand der Konjunkturen folgt. Indikatoren sind die Roggenpreise und die Reallöhne.

Kapitel 2 gilt Klima und Umwelt. Neben dem Wetter stehen die natürlichen Ressourcen im Fokus. Die Bevölkerungsentwicklung (Kapitel 3) wird anhand der Befunde der Historischen Demographie dargestellt einschließlich ihrer kulturellen und mentalitätsgeschichtlichen Dimensionen. Mit Kapitel 4 über die Landwirtschaft wird ein Block mit sektoralen Zugriffen eröffnet. Zu Recht verweist Rössner auf die Schwierigkeiten, Bauern und Landarbeiter in den Quellen zu finden. Der ländliche Arbeitsrhythmus, der technologische Fortschritt und die Kommerzialisierung werden - mit Rückgriff auf das späte Mittelalter - angesprochen. In Kapitel 5 zu Handwerk und Gewerbe wird der Bergbau ebenso einbezogen wie Fabriken und Industrialisierung. Rössner betont den langen Vorlauf der ersten Industriellen Revolution und thematisiert den entscheidenden Wandel am Ende des 18. Jahrhunderts (118-120). Im Vergleich zu vergleichbaren Büchern werden Handel und Verkehr (Kapitel 6) viel Raum (123-153) eingeräumt.

Neuere Trends der Forschung wie der Sklavenhandel, die Institutionenökonomie und die Globalisierung liefern Anstöße. Der Abschnitt über das Geld- und Kreditwesen (Kapitel 7) bezieht die Münzgeschichte wie das Kreditwesen ein. Beim angekündigten Zusammenhang zwischen "Monetisierung [!], Münzpolitik und Kapitalismus" (160-166) wird letzterer dann doch nicht thematisiert. Die Skizze zu "Technik und Infrastruktur" (Kapitel 8) geht knapp auf Innovationen und Projekte ein unter Einschluss der philosophischen Aufklärung. Kapitel 9 behandelt das Verhältnis zwischen den Staaten Europas und der Ökonomie und widmet den Theoretikern der Zeit Raum. Das abschließende Kapitel 10 gilt Perspektiven und Tendenzen der Forschung und macht neugierig. Breit debattierte aktuelle Autoren wie Kenneth Pommeranz ("The Great Divergence"), Prasannan Parthasarthi ("Why Europe Grew Rich and Asia Did not"), Thomas Piketty sowie Daron Acemoglu und James A. Robinson ("Why Nations Fail") werden mit ihrem Vergleich von ganzen Volkswirtschaften im globalen Kontext vorgestellt. Rössner sieht diese Studien "eher als historische Volkswirtschaftslehre, denn Wirtschaftsgeschichte im ursprünglichen bzw. Wortsinne" (220). Er benennt stattdessen weitere zu behandelnde Aspekte, die die Epoche charakterisierten: Preise, Löhne und Einkommen; Produktion; Konsum; kommerzielle, finanzielle und demographische 'Revolutionen'; Produktivität als Relation zwischen Input und Output; Netzwerke von Akteuren. Wirklich neue Themenfelder sind nicht darunter. "Wirtschaftsgeschichte" beschäftige sich, so die Schlussthese, "mit den grundlegenden Fragestellungen über Gründe, Ursachen und Bedingungen der modernen Welt" (223). Bemerkenswert ist, dass die Protoindustrialisierung, vor einer Generation Leitthema einer Wirtschaftsgeschichte der frühen Neuzeit, nur noch am Rande vorkommt (104, 120), Sidney Pollards Buch der regionalen Industrialisierung, die vor 1800 einsetzt, nicht einmal im Literaturverzeichnis.

Die Abbildungen sind teilweise in so niedriger Auflösung gedruckt, dass sie selbst mit der Lupe nicht zu lesen sind (131, 142). Jedem Kapitel sind Quellen beigegeben, die exemplarisch sein sollen. Sie werden übersetzt bzw. transkribiert und kommentiert und nehmen rund 15% der Seiten ein. Da das Beispielhafte in einigen Fällen zu hinterfragen ist (warum wird auf S. 108f. im Kapitel über Handwerk und Gewerbe Agricolas Bergbaubuch herangezogen?), gehen diese Passagen oft zu Lasten einer differenzierenden Darstellung. Vieles wird nur angedeutet oder kurz gestreift. Auf Seite 89 steht z. B. die pauschale Aussage "Nur der Adel aß Wild"; übersehen wird die verbreitete Wilderei der Landbevölkerung. Eingangs des Kapitels über Handwerk und Gewerbe wird unter dem Titel "Kain und Abel und die Wurzel des Übels" die biblische Begründung von Arbeit als "ontologisches Framing" gefasst und nach weniger als einer Seite wieder fallen gelassen (105f.). Name dropping scheint zum Prinzip erklärt. Unter den herangezogenen Gebieten erscheinen sogar die Färöer-Inseln (45, 49). Das mag die Differenziertheit der europäischen Regionen veranschaulichen, verwirrt aber eher. Die begrenzte Textmenge, die zur Verfügung steht, muss gewiss in Rechnung gestellt werden, doch lädt diese Einführung kaum zum weiteren Lesen und gründlichen Forschen ein. Ob so die eingangsformulierten Ziele der gesamten Reihe erreicht werden, wagt der Rezensent deshalb zu bezweifeln.

Wilfried Reininghaus