Ulrike Ludwig / Philip Hoffmann-Rehnitz (Hgg.): Münster nach dem Dreißigjährigen Krieg (1648-1655) (= Kleine Schriften aus dem Stadtarchiv Münster; Bd. 21), Münster: Aschendorff 2024, 217 S., ISBN 978-3-402-13126-8, EUR 16,90
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"Wenn der Krieg dann erst floriert, ist er auch zäh, dann schrecken die Leut zurück vorm Frieden, wie die Würfler vorm Aufhören, weil dann müssens zahlen, was sie verloren haben". [1] Diese Stelle aus Bertolt Brechts "Mutter Courage" könnte man dem Band voranstellen, beschreibt doch das Zitat die Probleme des weit über den Friedensschluss von 1648 hinausreichenden Überhangs militärischer Handlungsoptionen und Konfliktdynamiken, die erst Schritt für Schritt 'heruntergefahren' werden mussten. [2]
"Nachkriegszeit", das Spatium zwischen formaler Kriegsbeendigung und wirklichem Frieden, lautet daher der erkenntnisleitende Begriff, der ja zumindest für die ersten 4-5 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkrieges unbestritten etabliert ist. Für die Zeit nach Napoleon reicht ein vergleichbarer Zeitraum wohl vom Wiener bis zum Aachener Kongress 1815-1818, nach dem Ersten Weltkrieg womöglich bis zur Londoner bzw. Locarno-Konferenz 1924/25. Als allgemeine Bezeichnung für eine Transformations- und Friedenssicherungsphase nach großem, langjährigem und länderübergreifendem Konflikt hat der Terminus also zweifellos die Eigenschaft, auf verschiedene Ereignisse und Zeiträume übertragen werden zu können.
Der vorliegende Band stellt das überzeugend unter Beweis. Einleitend (7-23) konstatieren die Herausgeber er, dass es für die Jahre nach 1648 keine auf ganz (Mittel-) Europa anwendbaren Kriterien für eine Nachkriegszeit gebe und eine "definitorische Schärfung [...] nicht leicht ist" (23). Anschließend präsentieren sie fünf Beiträge über lokale und regionale Aspekte der Kriegsfolgenbewältigung ab 1648. Dieser Zeitraum wurde gewählt, um das "Halbjahrzehnt zwischen dem Kongressende und der ersten Eskalation der Konflikte zwischen Stadt und Landesherrn 1654/55" (10) periodisieren zu können (mit Christoph Bernhard von Galen endet die Ära der wittelsbachisch-bayerischen Episkopate, die in Personalunion mit denen des Erzbistums bzw. Erzstiftes Köln ausgeführt wurden).
Fest steht: Die Lösung der Dislozierungs- und Gratifikationsfragen, erst recht die satisfactio militum der Nachkongresszeit führten erst langsam zur 'Ausleitung' des virulenten Kriegsmodus im Alten Reich, denn bis Anfang der 1650er-Jahre waren noch keineswegs alle schwedischen und spanischen Truppen abgezogen. Es gab noch keine stehenden, dafür aber "stehengebliebene Heere", wie Johannes Burkhardt trefflich formuliert [3], diese stellten auch für Münster ein Bedrohungspotential dar. Selbst für die Jahre nach Austausch der Ratifikationsurkunden im Februar 1649 stellen Ulrike Ludwig und Philipp Hoffmann-Rehnitz zu Recht fest, dass "Bellizität, also die Allgegenwart von kriegerischen Auseinandersetzungen" (22-23), auch nach Erschöpfung, Devastation und demografischer Dezimierung Mitteleuropas Politik und Strategie der großen Mächte beherrschte.
Die reichsrechtlichen und -politischen Regelungen sind durch die Monografie Antje Oschmanns über den Nürnberger Exekutionstag 1649-1650 bereits seit 1991 im Fokus der Frühneuzeitforschung. [4] Doch die vorliegende Aufsatzsammlung, die aus einem Forschungsprojekt am Institut für vergleichende Städtegeschichte der Universität Münster hervorgegangen ist, geht nun der Aufgabe nach, auf dichter kommunalarchivischer Quellengrundlage konkrete Vorgänge, Zustände und Ereignisse in der Stadt Münster und Umgebung zu analysieren - die offensichtlich lückenlos erhaltenen Protokollbände des Rates der Stadt Münster aus der Mitte des 17. Jahrhunderts bilden dabei den Kern der einschlägigen Überlieferung.
Münster als völkerrechtlich definierter 'safe space' der dreijährigen Friedensverhandlungen genoss in den letzten Kriegsjahren politische Immunität und militärische Exemtion. Die Stadt konnte sich in einer abgesicherten Beobachterposition einrichten und blieb, ähnlich wie Köln [5], vom Großen Kriegstheater weitgehend unbehelligt und unzerstört, während Prag noch im Juli 1648 von schwedischen Truppen erobert und geplündert wurde; riesige Kriegs- und Kunstbeute wanderte erst 1649 über Wismar nach Stockholm. [6] Nichtsdestoweniger kann Simon Müller im ersten Beitrag (25-52) nachweisen, dass der Herbst 1648 allenfalls als Übergangsphase zum "gefährdeten Frieden" bei weiterbestehender Bedrohung durch schwedische Heere im Stiftsgebiet und deren mühsamem Abrüstungsbeginn wahrgenommen wurde. Der Krieg blieb für Münster "weiterhin faktische Normalität" (51) und der "eingetretene Friedenszustand [glich] eher einem latenten Spannungszustand (52).
Eine Studie über "marodierende Soldaten oder straffällige Zivilisten?" (53-82) schließt daran an. Der "Taxonomie dieser Personen" (57), die dem Typus des von einem Kriegsherrn zum anderen vagabundierenden Söldners entspringt (57), gilt Ralf Burecks Aufsatz. Er beschreibt an zwei Fallbeispielen, wie um 1648 abgemusterte Soldaten aus ihrem militärischen Ordnungsrahmen herausfallen und eine Grauzone von Existenzformen zwischen Militär und Zivilist besiedeln. Mit scheiternden Versuchen zur Re-Integration in bürgerliche Lebensentwürfe konnte diese Randgruppe zum Problem für die kommunale Obrigkeit und die zivile Stadtgesellschaft werden.
Eine weitere Perspektive des Neubeginns zivilen Lebens in Münster verfolgt Luca Brockelmann anhand kommunaler Policey-Gesetzgebung zum Verbot ausschweifender Hochzeitsfeiern von etwa 1647 bis 1650 (83-107). Deutlich wird, dass erst die 1650 erfolgte Aufhebung der - erstmals 1623 promulgierten - Feierverbote auf eine wirkliche Friedenswahrnehmung und -kommunikation in städtischer Politik und Gesellschaft schließen lässt. Die kommunale Obrigkeit schafft zunächst einen 'sicheren Abstand' zum Vertragsschluss und hält es erst danach für moralisch und religiös vertretbar, wieder eine bürgerliche Compliance standes- und friedensgemäßer Üppigkeit zuzulassen.
Markus Breyer widmet sich Münsters Finanzen (109-143), und zwar anhand der Rechnungsbücher des städtischen Grutamtes, in welchem nicht nur die in vielen vormodernen Städten wichtigen Einkünfte aus Brauabgaben und Bierakzisen, sondern auch die städtische Hauptkasse geführt und das kommunale Schuldenwesen verwaltet wurde - das Rechnungsschriftgut des Grutamts gehört daher zu den wichtigsten Quellen der Finanz- und Wirtschaftsgeschichte Münsters in der Frühen Neuzeit. Anhand von Diagrammen wird eine kurze Binnenkonjunktur in den - auch durch diplomatische Gesandtschaften bevölkerten - konsum- und umsatzstarken Kongressjahren 1647-1649 und ein Abschwung anschließender Nachkriegsjahre sichtbar. Obwohl Münsters Gesamtentwicklung durch keine Zerstörungen oder Bevölkerungsverluste beeinträchtigt wurde, lässt sich im Laufe der 1650er-Jahre eine wachsende städtische Verschuldung in Gestalt von Rentenverschreibungen erkennen.
Auch Herausgeber Hoffmann-Rehnitz ist vertreten (145-194). Sein Beitrag geht klassischen Fragen der Demilitarisierung und Dislozierung fremdländischer Soldateska am Ausgang des Großen Krieges nach. Da ist zunächst die leidige "Vechtische Frage", d.h. die Beendigung der seit 1647 bestehenden schwedischer Festungsbesatzung in Vechta, das von Pfalzgraf Karl Gustav bis 1654 als Pfand für unbefriedigte Kompensationsforderungen in Besitz gehalten wurde und durch sog. Evakuationsgelder entmilitarisiert werden sollte; dann der drängende Abzug der mit Schweden verbündeten Truppen Hessen-Kassels aus südwestlichem Stiftsterritorium bei Bocholt und Coesfeld - diese Aspekte verdeutlichen, dass Fragen der Besoldung und Versorgung auch noch nach 1648 die Heeresströme dirigierten. Damit verbindet sich der Blick auf die Konsolidierung des fürstbischöflichen Territorialstaates, in den sich auch Münster bis 1661 konfliktreich integrieren musste. Sichtbar wird, welche Bedeutung die - zumal kreditfinanzierten - Satisfaktionsgelder, d.h. die Kompensation für Kriegskosten im Allgemeinen und für Söldnertruppen im Besonderen hatten, mit denen der ersehnte Rückzug schwedischer Heeresformationen Richtung Pommern buchstäblich liquide gehalten werden musste.
Fazit: Die hervorragend recherchierten und formulierten Einzelbeiträge fügen sich zu einem kohärent konzipierten Band zusammen. Er lädt ein, auch für andere Städte oder Städteregionen zur Mitte des 17. Jahrhunderts derartiges zu unternehmen.
Anmerkungen:
[1] Bertold Brecht: Mutter Courage und ihre Kinder. Eine Chronik aus dem Dreißigjährigen Krieg, Frankfurt/Main 1963, 8 (1. Szene).
[2] Vgl. hierzu Lothar Höbelt: "Der Krieg geht weiter, weil niemand ihn sich leisten kann. Der Dreißigjährige Krieg als permanente Demobilisierungskrise, in: Robert Rebitsch / Lothar Höbelt / Erwin A. Schmidt (Hgg.): Vor 400 Jahren. Der Dreißigjährige Krieg, Innsbruck 2019, 55-83.
[3] Johannes Burkhardt: Der Dreißigjährige Krieg, Frankfurt/Main 1992, 216.
[4] Antje Oschmann: Der Nürnberger Exekutionstag 1649-1650. Das Ende des Dreißigjährigen Krieges in Deutschland, Münster 1991.
[5] Vgl. hierzu Stefan Lewejohann (Hg.): Köln in unheiligen Zeiten. Die Stadt im Dreißigjährigen Krieg. Begleitband zur Ausstellung des Kölnischen Stadtmuseums vom 14. Juni bis 5. Oktober 2013, Köln u.a. 2015.
[6] Jenny Öhman: Die Plünderung von Prag 1648: Eine schwedische Perspektive (2016). In: Frühneuzeit-Info. Abgerufen am 15. April 2025 von https://doi.org/10.58079/os7r .
Matthias Kordes