Olivier Renaudeau / Laetitia Desserrières: La Haine des clans. Guerres de Religion, 1559-1610, Paris: In Fine éditions d'Art 2023, 360 S., zahlr. Farb-Abb., ISBN 978-2-38203-115-5, EUR 39,00
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Das französische Musée de l'Armée präsentierte 2023 eine Ausstellung zum Thema "Les guerres de Religion 1559-1610. La haine des clans" ("Die Religionskriege 1559-1610. Der Hass der Sippen"), zu dem zeitgleich der hier zu besprechende Katalog erschienen ist. Die Eingrenzung auf den gewählten Betrachtungszeitraum erklärt sich durch den Tod Heinrichs II. 1559 und die Ermordung Heinrichs IV. 1610. Das impliziert ein Festhalten am klassischen Narrativ von acht sogenannten "Religionskriegen" zwischen 1562 und 1598 (10-11). Das Epochensignum der französischen "Religionskriege" ist an anderer Stelle verschiedentlich diskutiert worden. [1] Eine bloße Festlegung auf die Herrschaft einzelner Monarchen ist deshalb auf den ersten Blick nicht ganz nachvollziehbar. Interessanter erscheint die Schwerpunktsetzung auf den Zusammenhang von konfessionellen und politischen Konflikten des französischen Hochadels in den französischen Bürgerkriegen des 16. Jahrhunderts. Das schließt aufgrund der grenzüberschreitenden Beziehungen der führenden Familien des Königreichs eine internationale Betrachtungsweise mit ein.
Der Katalog gliedert sich nach einem knappen Vorwort zur Anlage des Bandes von Ariane James-Sarazin, der stellvertretenden Direktorin des Armeemuseums, in vier Sektionen mit insgesamt 19 Essays, die reichhaltig illustriert und durch eine Genealogie der wichtigsten Geschlechter des französischen Hochadels sowie zwei Karten ergänzt werden.
Die erste Sektion "Glauben und Überzeugungen" folgt dem klassischen konfessionellen Schema bei der Betrachtung der französischen Bürgerkriege. Hugues Daussy skizziert handbuchartig die Geschichte der Reformation im 16. Jahrhundert (19-23), während Nicole Lemaître auf die gleiche Weise die katholische Konfessionskultur im selben Zeitraum beschreibt (25-31).
Die zweite Sektion widmet sich den komplexen Aushandlungsprozessen zwischen den konfessionellen Faktionen und der französischen Monarchie. Laurent Bourquin untersucht die Haltung der Krone zu den Konfessionsparteien, die von begrenzter Verfolgung über eine Politik des Ausgleichs zur erzwungenen Parteinahme bis hin zur begrenzten Anerkennung des Protestantismus gereicht habe (35-39). Hugues Daussy zeigt, wie die Bürgerkriege zur Entstehung einer hugenottischen Partei führten, die eine eigene politische Struktur entwickelte (41-45). Ihr standen zwei Gruppen von Katholiken gegenüber, eine gemäßigte Faktion, die sich in "Moyenneurs", "Malcontents" und "Politiques" gliederte (47-51), deren politische Ziele Laurent Bourquin skizziert, und die radikale Faktion der Liga, deren Geschichte Nicolas Le Roux schildert (53-56).
Die dritte Sektion zum Thema "Gewalt und Krieg" thematisiert die Auseinandersetzungen der vorher dargestellten Akteursgruppen. Olivier Renaudeau führt in die Bewaffnung und Taktik der Bürgerkriege ein (61-67). Militärische Innovationen habe es dabei kaum gegeben (61). Die alltäglichen Gewaltausbrüche und das Massaker der Bartholomäusnacht sind Gegenstand zweier Beiträge von Philippe Hamon (69-79). Diskussionswürdig ist dabei seine These, unter der Herrschaft der Liga sei es zu keinen weiteren Massakern mehr gekommen (73). Das könnte schlicht daran gelegen haben, dass der Protestantismus unter der Herrschaft der radikalen Katholiken keine Möglichkeit mehr hatte, öffentlich in Erscheinung zu treten, und auf dem Weg der regulären Justiz verfolgt wurde. Von einer alltäglichen Toleranz avant la lettre gegenüber den "Häretikern" kann hier sicherlich nicht gesprochen werden (vgl. 73). Bedenkenswert ist hingegen Hamons Anmerkung, dass die Gewaltakte der Bartholomäusnacht nur von einer Minderheit der Katholiken mitgetragen worden seien und es auch Städte im katholischen Herrschaftsbereich gegeben habe, in denen es aus Angst der Behörden vor Störung der öffentlichen Ordnung zu gar keinen Ausschreitungen gekommen sei (78). Das hinderte katholische Fanatiker aber nicht daran, mit Heinrich III. und Heinrich IV. zwei katholische Herrscher auf dem französischen Thron zu ermorden. Diese Königsmorde sind Gegenstand der Untersuchung von Nicolas Le Roux (81-85). Sie hätten auf lange Sicht zu einer Diskreditierung von monarchomachischen Ideen und Vertragstheorien in Frankreich geführt (85). Im Anschluss erweitert Bertrand Haan den Blickwinkel auf den internationalen Charakter der französischen Bürgerkriege, in die nicht nur ausländische Söldner, sondern auch fremde Mächte wie Spanien, der Papst und Savoyen auf katholischer und England, die Generalstaaten und die Kurpfalz auf reformierter Seite eingriffen (87-91). Die Bürgerkriege wurden von einem Federkrieg begleitet, der Gegenstand der Untersuchung von Florence Buttay und Tatiana Debbagi Baranova ist (93-97). Ziel der Publizistik sei es nicht gewesen, das einfache Volk zu mobilisieren, sondern politische Handlungsträger für die jeweils eigene Sache zu gewinnen. (94).
Das führt zur vierten Sektion des Ausstellungskataloges, die der Regierungstätigkeit im Zeitalter der Bürgerkriege gewidmet ist. Marina Viallon untersucht die Turniertradition der Renaissance, die für die französischen Könige einen wichtigen Teil der Herrschaftsinszenierung und ein Mittel zur Kontrolle des Adels dargestellt habe (101-105). Olivier Poncet zeigt, wie die staatlichen Institutionen während der Bürgerkriege kontinuierlich ausgebaut wurden (107-111). Julien Broch demonstriert anhand der Beschwerden des Adels, dass die Monarchie nicht als schlichter Befehlsgeber fungierte, sondern auf Kooperation mit ihren Untertanen angewiesen war (113-117). Trotz der Widerstände im Inneren habe Frankreich auch im Zeitalter der Bürgerkriege versucht, seine Stellung im europäischen Konzert der Mächte zu bewahren, wie Bertrand Haan ausführt. Heinrich IV. sei es nach seiner Konversion zum Katholizismus gelungen, seine protestantischen Verbündeten zu halten und so die innere Krise des Königreichs zu überwinden (119-123). Eine globale Perspektive verfolgen die Untersuchungen Frank Lestringants zur letztlich gescheiterten französischen Kolonialpolitik in Brasilien und Florida (125-129) und Jean-François Dubos zu einer reichbebilderten Kosmographie, die im Auftrag des französischen Admirals Gaspard de Colignys entstanden ist (131-135). Beide kommen zu dem Schluss, dass sich die konfessionellen Spannungen im Mutterland auf die noch in den Kinderschuhen steckende französische Kolonialpolitik übertragen hätten. Schlussendlich seien die Bürgerkriege Michel Waele zufolge aber in Europa entschieden worden, indem Heinrich IV. Spanien und die Liga besiegte, selbst zum Katholizismus übertrat und zwischen den Konfessionsparteien in Frankreich vermittelte (137-141).
Auf die hier skizzierten Essays folgen Kurzbiographien zentraler politischer Akteure, die nach Herkunft gruppiert sind (144-187). Ausgangspunkt hierfür sind ihre Rüstungen, die Erzherzog Ferdinand II. Ende des 16. Jahrhunderts auf Schloss Ambras in Tirol sammelte und die als Kriegsbeute Napoleons nach Frankreich ins Musée de l'Armée zurückkehrten, wo sie noch heute aufbewahrt werden. Weitere Abbildungen der Exponate der Ausstellung sind in 14 Sektionen untergliedert (198-347), die aber nur teilweise die Themen der Essays aufgreifen. Gründe für die unterschiedliche Gliederung werden nicht benannt. Druck-, Bild- und Sachquellen sind in gleicher Weise vertreten. Konzise Bildbeschreibungen tragen zum besseren Verständnis der Ausstellungsobjekte für den historischen Laien bei.
Der programmatische Titel, der verspricht, die Geschichte der Bürgerkriege durch eine Geschichte des Streits zwischen hochadeligen Geschlechtern zu betrachten, wird nur in Ansätzen eingelöst. Neue Erkenntnisse werden dadurch in der Regel nicht gewonnen. Stattdessen vermittelt der Katalog einem breiteren Publikum auf anschauliche Weise Quellen und den gegenwärtigen Forschungsstand zu den französischen Bürgerkriegen des 16. Jahrhunderts.
Anmerkung:
[1] Vgl. bspw. Mack P. Holt: The French Wars of Religion 1562-1629, 2. Auflage, Cambridge 2005; Robert Knecht: Wars of Religion 1559-1598, 3. Auflage, London / New York 2010; Nicolas Le Roux: Les Guerres de religion 1559-1629, Paris 2009.
Christian Mühling