Ole Harck / Christian Lübke (Hgg.): Zwischen Reric und Bornhöved. Die Beziehungen zwischen den Dänen und ihren slawischen Nachbarn vom 9. bis ins 13. Jahrhundert. Beiträge einer internationalen Konferenz Leipzig 4. - 6. Dezember 1997 (= Forschungen zur Geschichte und Kultur des östlichen Mitteleuropa; Bd. 11), Stuttgart: Franz Steiner Verlag 2001, 248 S., 83 Abb., ISBN 978-3-515-07671-5, EUR 43,00
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Diese Rezension erscheint auch in der Zeitschrift für Ostmitteleuropa-Forschung.
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Matthias Hardt / Christian Lübke / Dittmar Schorkowitz (eds.): Inventing the Pasts in North Central Europe. The National Perception of Early Medieval History and Archaeology, Frankfurt a.M. [u.a.]: Peter Lang 2003
Die in diesem Band versammelten Beiträge gelten der bislang eher schwach beleuchteten dänisch-elbslawischen Beziehungsgeschichte - und vermögen deshalb noch kein Gesamtbild zu zeichnen. Auf die Archäologie entfällt die Hälfte der Aufsätze. Torsten Kempke skizziert den revidierten Forschungsstand zur slawischen Frühgeschichte: "Slawisierung" der südlichen Ostseeküste zwischen 650 und 850, Entstehung der emporia bereits seit dem frühen 8. Jahrhundert (Groß Strömkendorf) und noch im selben Jahrhundert Errichtung von Burgwällen. Der Niedergang der meisten Seehandelsplätze setzte bereits im 9. Jahrhundert ein, während Burgwälle nun erst ihre bekannte weite Verbreitung erlebten. Hanne Wagnkilde und Karen Løkkegård Poulsen analysieren "slawische" Grabfunde auf Bornholm beziehungsweise Lolland und Falster. Auf den Bornholmer Friedhöfen von Grødby und Munkegård (11. Jahrhundert) lassen sich Gefäßbeigaben, Messerscheidenbeschläge und Schläfenringe mit Einflüssen von der südlichen Ostseeküste verbinden, doch handelt es sich nur um sehr geringe Fundzahlen. Beigaben sollten nicht unmittelbar mit fortlebenden "heidnischen", unchristlichen Vorstellungen verbunden werden, weil sie primär Status und Prestige präsentieren. Grødby gehört zu den (von Jörn Staecker jüngst zusammengestellten) südskandinavischen (Kirch-) Friedhöfen mit jeweils unterschiedlichen Arealen für Frauen (Nord) und Männer (Süd). Für Lolland/Falster werden vor dem Hintergrund aller "Fremdgüter" Kontakte zu den Ostseeslawen erörtert; vorhandene Burgen und Wälle gehören nicht in die Wikingerzeit und können daher auch nicht mehr mit einer Abwehr slawischer Piraterie in Verbindung gebracht werden. Bei der hochmittelalterlichen "Ostseeware" lassen sich skandinavische Produktion und slawischer "Import" kaum stilistisch, sondern allenfalls naturwissenschaftlich unterscheiden; Vibeke Vandrup Martens vergleicht die Keramikspektren von Lund (lokale Herstellung) und Mölleholmen (Slawen?). Michael Andersen führt mögliche archäologische Hinweise auf Slawen in Roskilde an, die er auch wegen der schwierigen Unterscheidung überzeugend als Bestandteile einer gemeinsamen "Ostseekultur" verstanden wissen will. Die Befunde der gewaltsam zerstörten Befestigungen von Borrebjerg und Guldborg, beide wegen nicht nachweisbarer Innenbebauung als "Fluchtburgen" interpretiert, bringt Jørgen Skårup mit slawischen Überfällen auf Grund politischer Instabilitäten im Dänemark des mittleren 12. Jahrhunderts in Verbindung. Die Vordingborg betrachtet Dorthe Wille-Jørgensen als ein Beispiel jener seit dem späten 12. Jahrhundert errichteten dänischen Burgen, die der Königsmacht als Zollstelle und Flottensammelpunkte dienten und damit eher expansiv als defensiv ausgerichtet waren.
Aus historischer Sicht umreißt Christian Lübke knapp einzelne Etappen der slawisch-dänischen Kontakte zwischen der Zerstörung Rerics 808/9 und der Schlacht von Bornhöved 1227. Reflektiert werden des weiteren verschiedene "Ebenen" - Elitenbeziehungen (Heiraten) und Grenzgänger (Händler, Krieger). Peter Neumeister betrachtet anhand dreier Schlaglichter "Die slawische Ostseeküste im Spannungsfeld der Nachbarmächte": des Magdeburger Siedlungsaufrufs von 1108, der Ereignisse um Heinrich den Löwen und um Bornhöved. Dabei kritisiert er zu Recht überholte nationale Deutungsmuster. Das Slawenbild des Saxo Grammaticus orientierte sich Poul Grinder Hansen zufolge an einer durchgehaltenen Konzeption, die dänische Eroberungen legitimieren wollte und daher die Siege über diese wilden, verachtenswerten und treulosen Barbaren feierte. Heike Reimann schildert den Einfluss dänischer Zisterzienser auf das mecklenburgische Kloster Dargun. Silke Jaster kann ungeachtet mancher Interpretationsprobleme 166 Skandinavier in Rostock zwischen 1250 und 1400 nachweisen, wobei es sich überwiegend um Dänen handelte. Im dänischen Ortsnamenmaterial lassen sich höchstens 50 Toponyme feststellen, die bei kritischer Würdigung mithilfe einer slawischen Etymologie erklärt werden können; damit liegt Bent Jørgensen zufolge kein einheitliches Muster vor. Christine Kratzke untersucht Grund- und Aufrisse von knapp 40 zisterziensischen Männerklöstern im Ostseeraum. Die Vielfalt der Bauformen zeigt - bei aller Schlichtheit und Strenge, bei allem Traditionalismus und Konservatismus der Zisterzienser -, dass es nie einen verbindlichen Plan gab und wohl auch nicht geben konnte, wie die Freiburger Habilitationsschrift Matthias Untermanns (1999) zur zisterziensischen Architektur ebenfalls ergibt.
Der Band zeigt, wie viel mit einem überregional vergleichenden Ansatz zu gewinnen ist. Wenn die Beiträge auch oft mehr neue Fragen formulieren als alte beantworten können, so wird doch deutlich, wie begrenzt Einsichten unter national(staatlich)em oder ethnischem Blickwinkel bleiben mussten. Künftig wird man die Geschichte der "Germania Slavica" nur mehr aus europäischer Perspektive - zwischen dem Reich und Polen, Dänemark beziehungsweise Südskandinavien und Böhmen - schreiben können. Dazu bedarf es weiterhin eingehender, komparativer Quellenstudien, denn schriftliche und archäologische Quellen, Namen und Bauten reflektieren unterschiedlichste Entwicklungen, die im Vergleich mit älteren Arbeiten ein erheblich "bunteres", ein vielschichtiges und durch viele Faktoren zu erklärendes Bild der Vergangenheit ergeben.
Sebastian Brather