Paolo Prodi / Wolfgang Reinhard (Hgg.): Das Konzil von Trient und die Moderne (= Schriften des Italienisch-Deutschen Historischen Instituts in Trient; Bd. 16), Berlin: Duncker & Humblot 2001, 453 S., ISBN 978-3-428-10641-7, EUR 92,00
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Wolfgang Reinhard (Hg.): Gebhardt. Handbuch der Deutschen Geschichte Band 10: Maximilian Lanzinner: Konfessionelles Zeitalter 1555-1618. Gerhard Schormann: Dreißigjähriger Krieg 1618-1648, 10., völlig neu bearb. Aufl., Stuttgart: Klett-Cotta 2001
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Der hier zu besprechende Sammelband enthält 18 Beiträge einer im September 1995 im Italienisch-Deutschen Historischen Institut in Trient abgehaltenen Studienwoche zum Thema "Das Konzil von Trient und die Moderne". Anlass der Tagung war der 450. Jahrestag der Eröffnung des Trienter Konzils (1545-1563). Während die italienische Ausgabe des Tagungsbandes bereits im darauffolgenden Jahr erschien, wurden für das deutsche Gegenstück sechs Jahre benötigt. Dies stellt eine bedauerliche Verzögerung dar, da es sich im Ganzen um einen sehr anregenden und perspektivenreichen Sammelband handelt. Gegenstand ist weniger das "Ereignis" Trient, das als vergleichsweise gut erforscht gelten kann [1]. Das ambitionierte Ziel der beiden Herausgeber Paolo Prodi und Wolfgang Reinhard war es vielmehr, eine Kontextualisierung des Konzils in den grundlegenden religiösen, politischen und kulturellen Prozessen seiner Zeit vorzunehmen und hierbei nach dem Beitrag Trients zur Entstehung der Moderne zu fragen. Allerdings wird der Begriff der Moderne - beziehungsweise der Modernisierung - nicht eigens problematisiert, sodass dieser bei den meisten Autoren vage und unbestimmt bleibt und unterschiedlich verstanden wird. Gemeinsamer Nenner ist seine Verwendung als Synonym für die frühneuzeitlichen Fundamentalprozesse der Sozialdisziplinierung, Konfessionalisierung, Rationalisierung, Individualisierung, Entstehung des modernen Staates et cetera.
In seinem einleitenden Aufsatz "Das Konzil von Trient in Bezug auf Politik und Recht in der Neuzeit. Eine Einführung" legt Prodi die grundlegenden Prämissen des Vorhabens dar: Ziel ist es nicht, eine besondere Rolle des Konzils im Modernisierungsprozess, sondern die Wechselbeziehungen in allen Richtungen herauszuarbeiten. Gegen die immer noch virulenten Vorstellungen hinsichtlich der retardierenden Momente des westlichen Christentums betont Prodi seine aktive Rolle bei der Entstehung der Moderne, das kein abzuwerfender Ballast, sondern Protagonist in diesem Prozess gewesen sei.
Wolfgang Reinhard ("Das Konzil von Trient und die Modernisierung der Kirche. Einführung") entwirft anschließend ein systematisches Raster zur Erfassung des Beitrags des Konzils zur Moderne, indem er zwischen einer intendierten "relativen Modernisierung" und einer nicht intendierten "absoluten Modernisierung" differenziert, die keineswegs konvergieren müssen. Im Hinblick auf die katholische Kirche kommt Reinhard zum Ergebnis, dass das Konzil zwar wichtige Anstöße zur "relativen Modernisierung" gegeben habe, dass das Trienter Reformprogramm jedoch erst im 19. und 20. Jahrhundert seine ganze Wirkung entfalten sollte. Zugleich habe Trient in seiner Vereinnahmung durch das Reformpapsttum die Einleitung einer bürokratischen Reorganisation und Disziplinierung der Kirche ermöglicht und hierdurch einen Beitrag zur "absoluten Modernisierung" der Kirche geleistet, die den Entstehungsprozessen des modernen Staates entsprach (42).
Die Unterscheidung zwischen "absoluter" und "relativer Modernisierung" wird von Peter Burschel ("'Imitatio sanctorum'. Oder: Wie modern war der nachtridentinische Heiligenhimmel?") bei seiner luziden Untersuchung der Modernität von Lebensmodellen nachtridentinischer Heiliger aufgegriffen. Burschel weist eine selektive Nutzung der Tradition in modernisierender Absicht und eine Konfessionalisierung des Heiligenhimmels nach. Dieser entwickelte sich nach Trient gleichsam zu einer modernen Gesellschaft, mit rationalen, disziplinierten und individualisierten Mitgliedern (259).
Weitaus problematischer vollzog sich dieser Prozess in der irdischen Gesellschaft, wie Anne Conrad ("Das Konzil von Trient und die [unterbliebene] Modernisierung kirchlicher Frauenrollen") in ihrer Analyse der Entwicklung der Frauenrollen darlegt. Zwar wurden durch die Klerikalisierung und die strengen Klausurvorschriften im Gefolge von Trient Freiräume beschnitten, andererseits konnten Frauen im konfessionellen Kontext (nicht intendierte) neue Eigenständigkeiten entwickeln und zukunftsträchtige Rollen innerhalb der katholischen Kirche finden (340f).
Auch das (langfristig säkularisierte) Institut der Ehe wurde im Zuge des Konzils einem Modernisierungsprozess unterworfen. Gabriella Zarri ("Die tridentinische Ehe") geht dem Beitrag des Konzils zur Definition eines "modernen" Weges zur Ehe nach. Durch die nun geforderte Publizität des Eheschlusses und die Sozialdisziplinierung der Ehe (hauptsächlich durch den Pfarrer) wurde diese - den Protestanten vergleichbar - maßgeblich umgestaltet und wurden die Kompetenzen der Kirche im forum conscientiae beachtlich ausgeweitet.
Starke Skepsis äußert Konrad Repgen ("Das Reich und das Konzil 1521-1566") hinsichtlich der Verwendung des Modernisierungsbegriffs; anders als angekündigt, liefert er einen routinierten Überblick über die Entwicklung des Reichsreligionsrechts (47), während der Zusammenhang von Reich und Konzil eher marginale Beachtung findet.
Ebenfalls wenig innovativ ist der Beitrag von Klaus Ganzer ("Das Konzil von Trient - Antrieb oder Hemmschuh für die Kirche der Neuzeit?"), der den ambivalenten Charakter des Konzils betont. Trient habe nicht nur zahlreiche Anstöße zur Reform gegeben, sondern zum Teil weitergehende Schritte blockiert. In der Theologie und in zahlreichen Feldern des kirchlichen Lebens sei sogar eine Rückwendung zu mittelalterlichen Positionen auszumachen.
Neue Erkenntnisse vermisst man bei den beiden Abhandlungen von Angelo Turchini ("Die Visitation als Mittel zur Regierung des Territoriums") und von Cecilia Nubola ("Visitationen zwischen Kirchen und Staaten im 16. und 17. Jahrhundert") zur Bedeutung und Funktion der nachtridentinischen Visitation als Instrument obrigkeitlicher Disziplinierung. Gleiches gilt für Louis Châtellier ("Die Erneuerung der Seelsorge und die Gesellschaft nach dem Konzil von Trient"), der in wenig systematischer Weise und mit beliebig wirkenden Beispielen die nachtridentinische Seelsorge und ihre Träger (Pfarrer, Orden, Bischöfe) untersucht und dabei konstatiert, dass das Reformprogramm erst in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts, als das religiöse Leben ganz durch die Pfarreistruktur organisiert war, überall umgesetzt werden konnte (123).
In etwas ermüdender Weise referiert Giancarlo Angelozzi ("Das Verbot des Duells - Kirche und adeliges Selbstverständnis") die Haltung der Kirche zum Duell als Ehrenzweikampf seit 1200. Auf dem Konzil war die Haltung zum Duell umstritten, der gefundene Kompromiss kann als Sieg des Papsttums angesehen werden, weil der Wortlaut des Konzilstextes weitgehend mit dem Text einer päpstlichen Duellverurteilung übereinstimmt. Trotz der Zweideutigkeit des Dekrets deutet Angelozzi es als einen wichtigen Beitrag der Kirche zum Monopolisierungsprozess der Gewalt seitens des Staates (240).
Umberto Mazzone ("Versammlungs- und Kontrolltechniken") diskutiert die in Trient neu eingeführten technischen Verfahrensregeln der Konzilsdebatten, mitunter in vergleichender Perspektive mit dem englischen Parlament. So wurde die Redefreiheit in Trient weniger stark kontrolliert als die Tagesordnung. Da das Propositionsrecht unbestritten bei den Legaten lag, war hierdurch der päpstliche Einfluss auf das Konzil sicher gestellt. Zahlungen an Konzilsväter dienten hingegen nicht der Stimmengewinnung, sondern sollten lediglich als finanzielle Unterstützung ihre Teilnahme sicher stellen.
Der veränderten Volksfrömmigkeit nach Trient geht Wolfgang Brückner ("Die Neuorganisation von Frömmigkeit des Kirchenvolkes im nachtridentinischen Konfessionsstaat") nach, wobei er sich überwiegend auf den süddeutschen Raum konzentriert. Brückner zeigt eine zunehmende Nivellierung der katholischen Frömmigkeitspraxis auf, durch die der mittelalterliche Wildwuchs und die starken Stadt-Land-Unterschiede nach und nach aufgehoben wurden. Hierdurch sei der Vollzug von Frömmigkeit in der Frühen Neuzeit tendenziell gleichförmiger, flächendeckender und tiefgreifender prägend für alle Stände gewesen als in vorherigen Epochen (148).
Adriano Prosperi ("Die Beichte und das Gewicht des Gewissens") untersucht die Beichte als Instrument der (Selbst-)Disziplinierung und widmet sich insbesondere den konkreten Verflechtungen und Zuständigkeitskonflikten zwischen den beiden Gerichten der Inquisition und der Beichte im Kampf gegen die Häresie.
In knapper und konziser Form, die auch so manchem anderen Autor des Sammelbandes hätte zum Vorbild gereichen sollen, rollt Volker Reinhardt ("Das Konzil von Trient und die Naturwissenschaften. Die Auseinandersetzung zwischen Bellarmin und Galilei als Paradigma") die Frühphase des Konfliktes zwischen Galilei und Rom auf. Reinhardt kontrastiert das Naturverständnis Galileis mit dem seines Diskursgegners Bellarmin, der die Treue zu den tridentinischen Prinzipien zusehends gefährdet sah, einen laxen Umgang feststellte und deshalb im Prozess gegen Galilei einen autoritativen, das tridentinische Bild der Natur "dogmatisierenden" Schlussstrich zog (393). Der Geist des Konzils hat somit auf die sich erst gut 50 Jahre später ausbildende naturwissenschaftliche Methode eine eindeutig retardierende Wirkung gezeitigt.
Das Wechselverhältnis von Trient und der Moderne ist somit ein durchaus ambivalentes. Das Verdienst des Sammelband ist es, dieses spannungsreiche Verhältnis aufzudecken und in zahlreichen Fassetten auszuleuchten. Die Qualität der einzelnen Beiträge ist unterschiedlich. Auch wenn in einzelnen Beiträgen nur Wissen bekannter Art nochmals zusammengetragen oder vermehrt wird, so werden doch im Großen und Ganzen durch innovative Fragestellung und Vorgehensweise neue Einsichten und Erkenntnisse gewonnen. Insgesamt entsteht ein sehr anregendes und differenziertes Bild in bezug auf die Bedeutung der vom Trienter Konzil ausgegangenen Reformimpulse und deren Beitrag zur Entstehung der Moderne.
Anmerkung:
[1] Hier sei lediglich auf die grundlegende Konzilsgeschichte von Hubert Jedin und die monumentale Veröffentlichung der Tagungsakten durch die Görres-Gesellschaft verwiesen.
Tobias Mörschel