Sonja Brink (Bearb.): Disegnatore virtuoso. Die Zeichnungen des Pier Francesco Mola und seines Kreises. Ausstellung Museum Kunst-Palast, Düsseldorf 13.7. - 22.9.2002, Köln: Wienand 2002, 175 S., 98 Abb., ISBN 978-3-87909-798-2, EUR 34,50
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Wer gefürchtet hatte, dass das Kunstmuseum Düsseldorf neben der Aufgabe seines ehemaligen Namens zu Gunsten eines - verdächtig nach den hohlen Preziositäten eines Stefan George klingenden - museum kunst palast nun noch einen weiteren Traditionsbruch im Verzicht auf die bisher eindrucksvolle und auf höchstem Niveau angesiedelte Bearbeitung seiner Bestände in Kauf nehmen würde, darf, zumindest einstweilen, erleichtert aufatmen. Denn der jüngst von Sonja Brink erstellte Katalog der Handzeichnungen des Pier Francesco Mola (1612- 1666) setzt in würdiger Weise eine Reihe fort, mit der das Kunstmuseum regelmäßig herausragende Werkgruppen der ihm anvertrauten, reichen grafischen Sammlung der örtlichen Kunstakademie einem breiten Publikum wissenschaftlich erschloss.
Im Falle Molas entfaltete die sorgfältige Beschäftigung mit den Stücken der eigenen Sammlung größere öffentliche Wirkung auch in einer Präsentation aller neu untersuchten Werke in einer eigens konzipierten Ausstellung, als deren Katalog die vorliegende Bestandsaufnahme ebenfalls fungierte. Harmonisch bereicherten sich hierdurch gleich zwei Tätigkeitsfelder eines Museums wechselseitig: Während die Ausstellung die beeindruckenden Ergebnisse akribischer kunsthistorischer Forschung unter das breite Publikum trug, verdeutlichte sie gleichzeitig, wie sehr die systematische Erschließung und Neubewertung der eigenen Bestände das Rückgrat jeder musealen Präsentation bilden muss. Damit betonte sie letztlich die Notwendigkeit, die Institution auch als einen Ort der wissenschaftlichen Forschung zu konzipieren.
Das Ergebnis kann eindrucksvoll genannt werden: Selbst nach modernster kritischer Untersuchung verfügt Düsseldorf über die weltweit größte geschlossene Gruppe des grafischen Œuvre eines der bedeutendsten Barockmaler Italiens, in der sich Studien für nahezu alle zentrale Unternehmungen des Künstlers finden. Damit bildet dieser Sammlungskatalog gleichzeitig eine einzigartige Übersicht über das Wirken Molas in allen Phasen seiner Karriere. Dieses große Potenzial ist der Kuratorin vollends bewusst und wird dementsprechend ausgeschöpft. So bietet sie als Teil der Einleitung (13- 33) eine eigens entwickelte Übersicht über Molas Karriere, künstlerisches Schaffen und zeichnerische Leistung, die als fundamentale und aktuelle Chronologie des Malers gelten kann und die eine bedeutende Grundlage für weitere Rekonstruktionen seines Œuvres darstellen wird. Besondere Aufmerksamkeit widmet Brink hierbei den klientelen Netzwerken, in denen sich Molas Künstlerexistenz und sein Schaffen artikulierte. Es folgt der detaillierte Katalog der Zeichnungen, der nach Charakteristiken der Einzelwerke gegliedert ist (38- 114). Doch damit nicht genug: Als besonderes Verdienst der Autorin kann es bezeichnet werden, neben den Zeichnungen des Meisters auch noch die Düsseldorfer Bestände seines zeitweiligen Assistenten Giovanni Angelo Canini (120- 132) und die des Mola-Schülers Giovanni Battista Pace (115- 119), der damit erstmals mit einem konsistenteren Œuvre grafisch fassbar wird, analysiert zu haben. Im Anhang (134- 156) erschließt Brink dann, der historischen Entwicklung der Sammlung Lambert Krahe folgend, aus der die Mola- Zeichnungen stammen, alle weiteren im Museum befindlichen Werke, die der damalige Besitzer dem Tessiner Maler zuschrieb. Darunter offenbart der Düsseldorfer Katalog immerhin so bedeutende Werke wie zwei Zeichnungen Baciccios (Nummer 69- 70), dessen in Italien allgemein verwendeter Beiname übrigens konsequent ausgeblendet wird, eine Genreszene Guercinos (Nummer 76) sowie eine wichtige und seltene, gesicherte Studie von Sebastiano Ricci (Nummer 82).
Die den Zeichnungen zuzuweisende Druckgrafik des Museums (157- 167) sowie eine auf den letzten Stand gebrachte, ausführliche Bibliografie (168- 174) runden dann das Werk ab. Nicht gering zu seinem Erfolg trägt auch das klare und übersichtliche Lay-out sowie die ausnehmend hohe Papierqualität bei, die die ganz wörtlich zu nehmende malerische Schönheit von Molas Zeichenstil adäquat abbildet. Alle Düsseldorfer Zeichnungen des Meisters sowie seine wichtigsten Gemälde sind überdies in so hoher Farbqualität wiedergegeben, dass der hohe Ruf, den Molas Kolorit genoss, sofort nachvollziehbar wird. Zahlreiche Schwarz-Weiß-Abbildungen sorgen zusätzlich für die nötigen Vergleichsbeispiele.
Störend wirkt hingegen im Katalog wie schon in der musealen Präsentation die rigide Klassifikation der Stücke nach dem jeweiligen Medium: der Zeichnung, der Ölskizze oder aber der Druckgrafik. Die reichen Düsseldorfer Bestände würden in zahlreichen Fällen dem Betrachter ein unmittelbares Nacherleben von Molas Schaffensprozess ermöglichen, eine Gelegenheit, die gerade das Medium der Zeichnung charakterisiert und zu der speziell die Düsseldorfer Sammlung, die eben gerade nicht aus als autonom konzipierten Blättern, sondern aus Werkstattskizzen besteht, besonders verleitet. Im Katalog bleibt dieses intellektuelle Abenteuer gerade für die Düsseldorfer Blätter dem Text vorenthalten, wohingegen bei den Vergleichsabbildungen immer wieder ein Gemälde überzeugend neben der Zeichnung reproduziert wird, die mit seiner Entstehung in Bezug zu setzen ist. Großartig erschiene etwa die gemeinsame Präsentation der zeichnerischen Studien zu einer Auffindung des Moses (Nummer 13) und der unmittelbar zugehörigen Ölskizze (Nummer 46) oder aber die direkte Konfrontation der Studie Die Selbsttötung des Ajax (Nummer 20) mit dem zugehörigen Stich (Nummer 89) von François Spierre. Der im Katalog in zwei leicht variierten Versionen angegebene Titel erscheint eher irreführend, da der dort betonte Streit zwischen den beiden Helden um die Waffen Achills bereits entschieden ist. Das Motto Fortisque viri tulit arma disertus aus Ovids Metamorphosen (XIII, 383) klingt dermaßen nach einem Lob der Redekunst, dass wohl für die Verwendung des Entwurfs am ehesten an das Frontispiz eines Traktats zu denken ist, der dieser gewidmet wurde.
Im Umgang mit der Druckgrafik fehlt denn auch bisweilen die sonst so bestechende Genauigkeit in der historischen Rekonstruktion. Die Unterschriften der Stiche werden etwa weder bei Nummer 88 noch bei Nummer 92 wiedergegeben, obwohl sie gemeinsam mit dem Werk Molas konzipiert wurden; in Nummer 87 und 88 wird das Wappen des Widmungsträgers nicht identifiziert. Eine eingehendere Beschäftigung verdiente auch die Unterschrift unter dem Mola selbst zugeschriebenen Stich Joseph gibt sich seinen Brüdern zu erkennen (Nummer 86): Sie lautet "P(ier) F(rancesco) Mola inv(enit) et pinxit Romae". Da bereits Mola als Inventor und als malerischer Ausführer in seinen Tätigkeiten spezifiziert ist, scheint es eigenartig, dass das "sculpsit" fehlt. Mola hätte somit eine Gelegenheit verschenkt, auch noch einen anderen Aspekt seines Könnens zu demonstrieren.
Hingegen sollte man Molas Bravourstück des Heiligen Michael als Sieger über Satan (Nummer 45) in seiner kraftvollen Frische nicht unterschätzen. Nicht einmal die Geste der linken Hand des Erzengels ist von Guercinos Altarbild in San Nicola in Fabriano entlehnt. Guercinos Michael schwebt schwerelos und beinahe tänzerisch über dem Besiegten und hat das Schwert in seiner Rechten rein symbolisch und ohne Kraftaufwand erhoben. Dies wird auch durch seine Linke verdeutlicht, die lediglich das flatternde Gewand aus dem Aktionsradius der Figur fern hält. Bei Mola hingegen ist der Kampf in vollem Gange. Energisch reißt sein Engel die Blitze schleudernde, rechte Hand weit zurück, wie um zum Schlag auszuholen. Die linke folgt ihr nach, um den Bewegungsimpuls maßgeblich zu verstärken. Es ist bezeichnend, dass sich Baciccio genau diese Geste der Hände in einer Berliner Zeichnung zum Vorbild nahm (KdZ 15 285), die bisher mit Cortonas Missale Romanum- Frontispiz von 1662 in Zusammenhang gebracht worden ist [1]. Durch die Schilderung des Atmosphärischen und insbesondere der Blitze und durch die Öffnung der Figurengruppe in den Himmel illustriert Mola ein kosmisches Gleichnis.
Ganz ähnlich verfährt Mola in seiner Vision des heiligen Bruno (Nummer 16). Der Heilige ist in die Natur gelagert und im Lesen begriffen, als er die Vision erfährt. Sein linker Arm und sein Gesicht öffnen sich bereits der himmlischen Realität hin, während seine Linke noch in der vorhergehenden Geste der Lektüre befangen ist. Es scheint daher irreführend, in Brunos Geste ausgebreitete Arme - und in seiner Pose Anspielungen auf den Saulussturz - zu sehen und diese entsprechend ikonologisch zu deuten. Es handelt sich um Vokabular gänzlich verschiedener Situationen. Auch die gekreuzten Bäume hinter Bruno müssen nicht zwingend christologisch interpretiert werden. Sie kommen etwa auch in Molas Auffindung des Moses vor (Nummer 46), die in ihrer Aussage nicht unbedingt auf den Erlöser bezogen werden muss. Die Bäume erfüllen vielmehr den formalen Zweck der Akzentuierung des inhaltlich zentralen Punktes der dargestellten Episode und hinterfangen oder parallelisieren deren Bewegungslinien durch Zusammenführung, Variation und Vergrößerung.
Ganz marginal verbleibt schließlich die Rezeption Molas durch seine Zeitgenossen. Gerade sie kann man in den Düsseldorfer Beständen eindrucksvoll nachweisen, besonders im Werk des Baciccio, dessen Zeichnung von Diana und Endymion (Nummer 69) bezeichnenderweise genau wie die Heilige Familie (Nummer 70) lange unter Mola lag. Eine weitere Düsseldorfer Zeichnung des jugendlichen Baciccio hätte noch eindrucksvoller die Orientierung des Genueser Malers an Mola verdeutlicht. Es handelt sich um Die Errettung von Hagar und Ismael in der Wüste (inv. KA (FP) 3999), die erst 1999 von Dieter Graf erstmalig publiziert wurde [2]. Sowohl die Gestalt der Hagar als auch die des Ismael sind mit geringfügigen Varianten von einer Bildidee Molas übernommen, für die Düsseldorf eine Vorstudie besitzt (Nummer 11) und von deren zahlreichen Fassungen die des Blanton Museum of Art im Katalog illustriert ist (Nummer 11a).
Mit diesen Anmerkungen sei freilich nicht die Wirkung eines exzellenten Katalogs geschmälert, der für jede weitere Beschäftigung mit dem Künstler und seine teilweise immer noch zu leistende öffentliche Rehabilitation als einer der großen Maler und Zeichner des barocken Rom einen fundamentalen und unverzichtbaren Ausgangspunkt darstellt, den eine geradezu verführerisch schöne visuelle Präsentation und eine klare, eingängige und sensible Sprache zur angenehmen Pflichtlektüre machen. Nur nach einer angemessenen Aufarbeitung des Werkes zahlreicher Künstler wie Pierfrancesco Mola, Giovanni Angelo Canini oder auch Baciccios wird es möglich sein, ein künstlerisches Gravitationsfeld zu verstehen, dass noch häufig zu Unrecht zu sehr im Schatten der Giganten steht. In dieser notwendigen Neuorientierung stellt das vorliegende Buch einen Meilenstein dar.
Anmerkungen:
[1] siehe hierzu Dieter Graf in Giovanni Battista Gaulli. Il Baciccio, herausgegeben von Maurizio Fagiolo dell'Arco, Dieter Graf und Francesco Petrucci, Mailand 1999, Nummer 76, 302- 303.
[2] in Il Baciccio, Mailand 1999, 246
Tobias Kämpf