Daniel Schlögl: Der planvolle Staat. Raumerfassung und Reformen in Bayern 1750-1800 (= Schriftenreihe zur bayerischen Landesgeschichte; Bd. 138), München: C.H.Beck 2002, LXIV + 282 S., 6 Beilagen, ISBN 978-3-406-10719-1, EUR 32,00
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Die bei Walter Ziegler angefertigte Dissertation behandelt ein ungewöhnliches Thema: den Zusammenhang zwischen der Entwicklung der Kartografie und bestimmten Sektoren des bayerischen Reformabsolutismus, nämlich dem Straßen- und Wasserbau sowie der Zollpolitik, die ihrerseits im Kontext der Wirtschafts- und Finanzpolitik stehen. Zu Recht weist Schlögl eingangs auf die "hohe Bedeutung, die dem Medium 'Karte' im 18. Jahrhundert als Machtmittel beigemessen wurde", hin (1), womit er das Problem der Raumerfassung, nicht zuletzt für militärische Zwecke, anspricht. Dabei rügt er für Deutschland das weitgehende Fehlen einer Zusammenarbeit zwischen den in aller Regel geowissenschaftlich orientierten Kartografiehistorikern und den meist auf Textquellen fixierten 'Allgemein'-Historikern. Konkret richtet sich sein Augenmerk auf die Vorgeschichte der Reformära Montgelas beziehungsweise des 1801 in französisch-bayerischer Kooperation gegründeten "Topographischen Bureaus".
Den Ausgangspunkt seiner Überlegungen bilden aberhunderte handgezeichneter, aber nach weitgehend einheitlichen Kriterien gestalteter bayerischer Karten aus der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts. Diesen reichhaltigen, im Münchner Hauptstaatsarchiv ruhenden Bestand und eine große Menge weiteren Materials aus zahlreichen anderen Archiven und Bibliotheken hat Schlögl ausgewertet. Dabei wird die Vorbildfunktion der französischen und teilweise auch der österreichischen Kartografie-Entwicklung für die bayerischen Vorgänge deutlich. Trotzdem hätte man vielleicht die internationale Entwicklung - den französischen Chausseenbau, die englischen 'turnpike roads' - noch ein wenig stärker betonen, dafür das eine oder andere technische Detail, das nur für echte Kartografie-Spezialisten von Interesse sein kann, kürzen können. Auch stören die zahlreichen, oft überlangen Fußnoten ein wenig. Doch sollte man grundsätzlich die Schwerpunktsetzung eines Autors akzeptieren - zumal dann, wenn sein Buch nicht nur ansprechend gestaltet ist (mit 40 Abbildungen im Text, 8 Farbtafeln und 6 Beilagen), sondern auch inhaltlich eine klare Linie erkennen lässt.
Bis ins 18. Jahrhundert basierten die Karten von Bayern beziehungsweise dessen Landesteilen noch auf den "Bayerischen Landtafeln" des Philipp Apian (1568) beziehungsweise der großenteils auf Apian beruhenden, aber um eine Darstellung der Oberpfalz ergänzten Karte von G. P. Finckh aus der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts. Darüber hinaus gab es von privaten Verlegern erstellte, jedoch unvollständige und geografisch gesehen inexakte Straßenkarten. Das bayerische Straßenwesen ließ bis 1745 allerdings auch viel zu wünschen übrig: Es fehlte an einer systematisch angewandten Bautechnik und einer speziellen Verwaltung. Straßenbau und -unterhalt hingen von den Wegefronen der Untertanen ab. Das änderte sich unter Max III. Joseph: Zur Förderung von Handel und Produktion wurden einzelne Straßen abschnittsweise zu befestigten Chausseen ausgebaut. 1751 richtete man eine Straßendirektion ein - zunächst offenbar eine Art Ein-Mann-Betrieb. Sie wurde beauftragt, von dem in österreichischen Diensten erfahrenen, mathematisch wie zeichnerisch hochbefähigten Ingenieur Castulus Riedl eine Übersichtskarte über die bayerischen Straßen und die daran liegenden Zollstationen anfertigen zu lassen. Was das letztlich heißen sollte, war den Behörden zwar unklar, Riedl aber trieb mit großem Eifer die kartografische Detailaufnahme Bayerns nach seinen Vorstellungen voran. Trotz fortdauernder gewisser Unsicherheiten hinsichtlich Maßbezeichnung und -anwendung schien die Arbeit an der geplanten Karte somit auf einem guten Weg: Die Messinstrumente wurden immer präziser, und die Geländedarstellung erfuhr wesentliche Verbesserungen, obwohl Höhenlinien erst im 19. Jahrhundert eingeführt wurden. Parallel dazu erfolgte eine gewisse Umstellung der Finanzierung und Arbeitsorganisation sämtlicher Straßenbaumaßnahmen.
Obwohl Riedl zu den Gründungsmitgliedern der bayerischen Akademie der Wissenschaften zählte, griff man jedoch auf seine Kompetenz nicht zurück, als man dort die Idee einer neuen Landesvermessung und, als deren Ziel, einer allgemeinen "Landesaufnahme" entwickelte. Vielmehr arbeitete die Akademie immer wieder mit ausländischen Fachleuten zusammen, zunächst 1761/62 mit dem enttäuschend ungenau vermessenden C. F. Cassini de Thury. Ab 1765 folgte dessen ehemaliger Mitarbeiter (St.) Michel, der indes nach der - schlecht begründeten - Meinung der Akademie zu langsam vorankam. Der letzte Anlauf von 1776/77, der mit dem hochprofessionellen G. A. Rizzi Zannoni unternommen wurde, scheiterte schließlich an den hohen Kosten, für die angesichts des heraufziehenden Bayerischen Erbfolgekrieges niemand aufkam.
Während so das Akademieprojekt endgültig scheiterte, blieb die Verwaltung nicht bei ihrem ursprünglichen, mit ihrer wirtschaftsfreundlichen Umgestaltung des Maut- und Akzisewesens (1765) verbundenen Plan einer altbayerischen Straßen- und Mautkarte stehen, wie sie 1764 von J. F. Kohlbrenner entworfen, 1768 korrigiert und 1769 um die Oberpfalz ergänzt worden war. Castulus Riedls Sohn Adrian, zunächst Mitarbeiter, dann Nachfolger seines Vaters, konnte unter neuen, jedoch noch instabilen Bedingungen - zum Beispiel war 1767 eine nur vorübergehend eigenständige Zentralbehörde für öffentliche Baumaßnahmen ins Leben getreten - das Akademievorhaben einer "Universalkarte" weiterverfolgen. Immer mehr etablierten sich Karten als Hilfsmittel der Verwaltung, immer stärker wurde Bayern aber auch als Teil eines europäischen Wirtschaftsnetzes wahrgenommen. Dennoch rang sich die in diesem Punkt ebenso wie hinsichtlich der Förderung des Straßenbaus sparsame Regierung Karl Theodors nicht zu einer finanziellen Unterstützung Riedls für dessen Landesaufnahme durch. Sie erteilte ihm vielmehr 1785 nur ein Druckprivileg für seine geplante "Universalkarte", die neben einer großmaßstäbigen, geheimen Kabinettskarte entstehen sollte. Schon im folgenden Jahr erhielt Riedl jedoch Konkurrenz durch ein kurfürstliches Patent für den Hofkammerrat Franz Krenner. Dessen mindestens bis 1797 verfolgtes Kartenprojekt - eine vergrößerte, um zahlreiche Informationen vervollständigte Apian-Karte - wäre zwar weder ein kartografischer Fortschritt gewesen noch eine wirklich geeignete Grundlage für eine Steuerreform. Die Angst, eine solche Landesaufnahme könnte dazu dienen, die traditionelle ständische Steuererhebung infrage zu stellen, rief aber die bayerische Landschaftsverordnung auf den Plan. Riedl vermochte weder die Landschaft für sein - eventuell modifiziertes - Projekt zu erwärmen, noch besaß er die konsequente Rückendeckung durch den Kurfürsten. Immerhin wurde unter seiner maßgeblichen Mitwirkung ein Stamm von qualifizierten Vermessungstechnikern und Kartografen aufgebaut, ein zentrales staatliches Kartenarchiv gegründet und 1788/89 eine neue Straßen- und Mautkarte in Angriff genommen. Seine Ernennung zum General-Straßen- und Wasserbaudirektor (1790) belastete Riedl jedoch zusätzlich, und das neue Kartenprojekt floss in sein halb offiziell, halb privat betriebenes Projekt einer Gesamtkartierung Bayerns ein. Zunehmend in finanziellen Schwierigkeiten, brachte Riedl als Nebenprodukt seiner Arbeiten 1796-1805 einen "Reise-Atlas von Baiern" auf den Markt. Außerdem war er 1797/98 an der so genannten Schmitt'schen Karte von Südwestdeutschland beteiligt, einem im Ergebnis geheimen Unternehmen der österreichischen Armee. Aber sein Projekt einer "Universalkarte" vermochte er nicht zu Ende zu führen. Die 1800 einmarschierten französischen Truppen beschlagnahmten die Materialien von Riedl ebenso wie die von Krenner, begannen aber auch mit Neuvermessungen, die dann, von bayerischer Seite fortgesetzt, letztlich bis 1867 zum "Topographischen Atlas von Bayern" führen sollten.
Diese verschlungenen Wege nachzuzeichnen, war ein immenser Fleiß vonnöten, was phasenweise freilich die Darstellung in ihrer eigenen Gründlichkeit fast untergehen lässt. Das sollte aber den innovativen Ansatz der vorliegenden Arbeit nicht verdunkeln. Der Quellenwert von Karten wird hier nämlich ebenso deutlich wie das Fehlen eines konsequenten Reformwillens beziehungsweise der Mangel an koordinierter Planung, die für den bayerischen Reformabsolutismus - und nicht nur für den bayerischen - so charakteristisch sind. Doch wäre man ohne die Erfahrungen und das Personal von vor 1800 danach nicht so schnell vorangekommen.
Walter Demel