Eberhard Völker: Die Reformation in Stettin (= Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Pommern. Reihe V: Forschungen zur Pommerschen Geschichte; Bd. 38), Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2003, XI + 261 S., ISBN 978-3-412-14302-2, EUR 24,90
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Diese Rezension erscheint auch in der Zeitschrift für Ostmitteleuropa-Forschung.
Die Dissertation von Eberhard Völker trägt der komplexen Struktur einer Hansestadt Rechnung, ohne sich auf einen Typus "Hansestadtreformation" zu fixieren. Der Verfasser arbeitet vielmehr analytisch eine Vielzahl von Kräften heraus, die auf das Geschehen Einfluss nahmen. Darunter waren die Herzöge von Pommern, der Rat, der wiederum zu verschiedenen Zeitpunkten in unterschiedliche Gruppen zerfiel, und die ebenfalls aus verschiedenen Kräften zusammengesetzte Bürgerschaft. Die Situation unterschied sich von anderen Hansestädten insofern, als die Herzöge (zunächst Boguslaw und danach Barnim) die Stadt zur Residenz ausbauen wollten. Dadurch bedingte ältere Konflikte vermischten sich mit der Religionsfrage, zahlreichen Querelen zwischen Rat und Bürgerschaft und Richtungskämpfen im Rat.
Die Arbeit stellt den gelungenen Versuch dar, das Gewirr von Interessen und wechselnden Konstellationen zu entflechten, Wendungen und Neugruppierungen zu erklären. Evangelische Predigt wurde zunächst von Teilen der Bürgerschaft, insbesondere den einflussreichen Schonenfahrern, und einzelnen Ratsherren unterstützt. Der Rat als ganzes wollte, um seine Position nicht zu schwächen, sich dem nicht widersetzen. "Bürgerliche Eintracht" erscheint in diesem Kalkül als prinzipieller Wert wie als taktisches Erfordernis. Tumultartige Auseinandersetzungen belasteten die Religionsfrage lediglich im Jahre 1525. Der Autor lokalisiert die Ursachen dafür weitgehend in einer von außen kommenden Gestalt, dem Prediger Johannes Amandi/Amandus.
Einen stärker berechenbaren Faktor stellte die Landesherrschaft dar, allen voran Herzog Barnim. Obwohl er als Titularrektor von Wittenberg früh an Luthers Seite zu finden ist (als Zuhörer der Leipziger Disputation), war er kein "Bekenner". Sein Hauptinteresse galt der Sicherung der Reichsstandschaft seines Territoriums, die durch brandenburgische Ansprüche gefährdet war. Insofern orientierte er sich, um den Kaiser nicht zu verprellen, stark an Reichstags- und Reichskammergerichtsbeschlüssen. Erst als sich zu Beginn der 1530er-Jahre die Handlungsspielräume für die Lutheraner auf Reichsebene vergrößerten, zog Barnim nach. Die berühmten Beschlüsse des Treptower Landtags waren auch nach innen kein Ausdruck landesherrlichen Bekennermuts; es wurden lediglich bereits erfolgte lokale reformatorische Entwicklungen vereinheitlicht. Das Konzept "bürgerliche Eintracht" war in dieser Phase nicht allein für die Ratsherren der Stadt, sondern auch für einen Landesherrn handlungsleitend, der quasi als Notar für Entwicklungen erscheint, die sich ohne sein Zutun, aber auch ohne seinen Widerstand ergeben hatten. Als maßgebliche Kraft wird dadurch der Stettiner Reformator Paul vom Rode erkennbar, der seine bereits dokumentierte Unabhängigkeit von städtischen Interessengruppen nach 1535 in eine starke Stellung gegenüber der Landesherrschaft ummünzen konnte.
Während die Politik der Herzöge und des Reformators weitgehend berechenbar erscheint, waren die städtischen Konstellationen nicht nur wechselhaft, sondern so sehr von persönlichen Rivalitäten geprägt, dass sie kontingente bis beliebige Züge annahmen. Dem Nachvollzug dieser Wendungen ist ein Großteil der vorliegenden Arbeit gewidmet. Als Kontrapunkt zu den Aufgeregtheiten der "Politie" erscheint ein stetiges Wachstum reformatorischer Überzeugungen in allen Teilen der Bürgerschaft. Tatsächlich ist ohne diese Annahme der "Sieg" der Reformation in Stadt und Territorium kaum zu erklären. Dieses Wachstum wird jedoch nahezu ausschließlich vom Resultat her belegt, als Prozess bleibt es merkwürdig konturenlos. Das hängt sicher mit der schwierigen Quellenlage zusammen, die von Völker gut bewältigt wird. Letztlich wird dadurch jedoch "die Reformation in Stettin" im Bereich des Unerklärten (Unerklärbaren?) belassen.
Werner Troßbach