Rezension über:

Jörg Deventer: Gegenreformation in Schlesien. Die habsburgische Rekatholisierungspolitik in Glogau und Schweidnitz 1526-1707 (= Neue Forschungen zur Schlesischen Geschichte; Bd. 8), Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2003, X + 433 S., 13 s/w-Abb., ISBN 978-3-412-06702-1, EUR 44,90
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Rezension von:
Małgorzata Morawiec
Institut für Europäische Geschichte, Mainz
Redaktionelle Betreuung:
Matthias Schnettger
Empfohlene Zitierweise:
Małgorzata Morawiec: Rezension von: Jörg Deventer: Gegenreformation in Schlesien. Die habsburgische Rekatholisierungspolitik in Glogau und Schweidnitz 1526-1707, Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2003, in: sehepunkte 4 (2004), Nr. 3 [15.03.2004], URL: https://www.sehepunkte.de
/2004/03/3741.html


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Jörg Deventer: Gegenreformation in Schlesien

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Die in einer angesehenen Schriftenreihe erschienene, aus einer Hamburger Habilitationsschrift erwachsene Veröffentlichung knüpft an eine bereits etablierte Tradition der Erforschung der religiösen Konflikte im Umkreis der beiden wichtigsten Regelungsversuche (1555/1648) innerhalb des konfessionellen Systems des Alten Reiches einerseits und der Problematik um den letzten großen Akt der religiösen Selbst- beziehungsweise Fremdbestimmung Schlesiens, nämlich die Altranstädter Konvention von 1707, andererseits an. Damit positioniert sich der Band zugleich innerhalb zweier Bereiche der historischen Forschung: in der Konfessionalisierungsdebatte und in der Schlesienforschung, die sich seit den Neunzigerjahren eines verstärkten Interesses deutscher Historiker erfreut. Die Hoffnung auf neues unbekanntes (oder bisher unzugängliches) Archivmaterial und die Aussicht, damit terra incognita betreten zu können, lockte in die Region östlich der Oder wenn nicht ganze Scharen von Forschern, so doch einige ausgewählte - oder wenigstens die, denen es weder an Geduld noch an sozialer und mentaler Anpassungsfähigkeit mangelte, um mit dem nicht immer einfachen Alltag in ostmitteleuropäischen Archiven fertig zu werden. Die neuen Positionierungsmöglichkeiten innerhalb der Zunft - an regionalbezogenen Instituten, auf Professuren - entschädigten sie in vieler Hinsicht. Der Rückgriff auf moderne Fragestellungen und methodische Absicherung fungierten auch hier als Garant des Erfolgs.

Im Kontext der Erarbeitung neuer Forschungsdesigns sind Publikationen entstanden, die aufgrund der bisher mangelnden zeitgemäßen Erhebung und Aufbereitung der Quellen für die Schlesienforschung wichtige Erschließungsarbeit leisteten und neue Akzente für den und in dem Dialog der Schlesienhistoriker "alter" und "neuer" Schulen setzten. Dabei ist die Aufteilung in "alt" und "neu" keineswegs eine Frage der nationalen oder der Generationszugehörigkeit. Die Veröffentlichungen der "Stuttgarter" und der "Breslauer" Schulen der letzten Jahre belegen zu Genüge, dass sich die Geister - auch abseits dieser Arbeiten - immer noch zu scheiden vermögen.

Alle diese Beobachtungen berühren sich mit dem zur Besprechung vorliegenden Buch mehrfach. Denn der Band profitiert in erster Linie ganz entschieden davon, dass sein Verfasser darin eine Unmenge von Quellen präsentiert. Jörg Deventer standen Akten aus fast zwei Jahrhunderten zur Verfügung. So werden die archivalischen Überlieferungen zur Geschichte der schlesischen Städte in einer Aufwändigkeit und Breite herangezogen, dass jeder mit der Materie vertraute Leser fast an Eifersucht erstickt. Es kommt heute selten vor, dass ein Historiker aus einer solchen Fülle der Funde und Befunde schöpfen kann. Bei solcher Abundanz der Quellen laufen Autoren jedoch manchmal Gefahr, ihre präzise Fragestellung aus den Augen zu verlieren und sich in detaillierten Beschreibungen der historischen Überlieferung zu erschöpfen. Diesen Vorwurf muss sich in gewisser Hinsicht auch Jörg Deventer gefallen lassen, denn auch er richtet sich bei der Strukturierung seiner Arbeit eher nach den vorhandenen Quellen als nach seiner Fragestellung: der Konfessionalisierung und den Grenzen der religiösen Disziplinierung durch die habsburgische Politik.

Der Band lebt von dem breit angelegten Vergleich zweier schlesischer Städte: Schweidnitz und Glogau, die hier stellvertretend für das schlesische Städtewesen stehen. Die Begründung dieser Auswahl in der Sonderstellung dieser Kommunen durch die Instrumenta Pacis Westphalicae und ihrer besonders spannungsreichen konfessionellen Entwicklung leuchtet nicht ganz ein, denn diese Sonderstellung ist auch für andere, nicht weniger typische Städte zu konstatieren. Brieg, Jauer oder Oels wären hier vielleicht um einiges nuancierter und differenzierter zu analysieren gewesen. Schweidnitz und Glogau erweisen sich aber tatsächlich einerseits als genügend repräsentative Beispiele, um Prozesse der "Inkubationszeit der konfessionellen Konflikte" zu untersuchen. Andererseits zeigen sie sich aber auch als hinreichend konvergent in ihrer sozialen Struktur und ihrem wirtschaftlich-politischen Umfeld, um sie überhaupt sinnvoll miteinander vergleichen zu können. Seiner Analyse legt der Verfasser eine Schilderung der historischen Entwicklung beider Städte sowie einen Abriss der "kirchlich-konfessionellen Ausgangslage" zugrunde. Die Städte werden in ihrer Unterschiedlichkeit als eine Stadt "in Ruhe" und eine "in Aufruhr" charakterisiert, wobei in Schweidnitz ursprünglich ein konfessioneller Konsens innerhalb der städtischen Elite und ihrem Regiment beobachtet, in Glogau dagegen - aufgrund einer begrenzten städtischen Autonomie - ein permanenter Konflikt festgestellt wurde. Dieser spitzte sich zur Zeit des böhmischen Ständeaufstands zu, und mit der weiteren Entwicklung wurden die Weichen für eine "obrigkeitliche Konfessionalisierung" (327) gestellt. Die weniger radikale (beziehungsweise weniger radikal nach außen getragene) Haltung der Schweidnitzer Bürgerschaft ließ die Stadt, wie auch die Mehrheit der protestantischen Stände und Fürsten in Schlesien, von den Zugeständnissen des Dresdener Akkords profitieren und verschaffte ihr einen etablierten (Stadt-)Raum für den evangelischen Glauben. Dieser Zustand ließ sich bekanntlich nur für eine Übergangszeit aufrechterhalten. Die Hauptereignisse des Dreißigjährigen Krieges in Schlesien werden in detaillierter Schilderung der gegenreformatorischen Maßnahmen und der konstanten Bemühungen der schlesischen Protestanten, ihre Rechte durch unterschiedliche Strategien und Verhaltensmuster zu bewahren, im Verlauf der Untersuchung mehrfach angesprochen. Der Vergleich Schweidnitz - Glogau hält jedoch das gesamte Konstrukt des Bandes zusammen, der gleichwohl ein Konstrukt bleibt.

So entgeht der Band nur teilweise dem Urteil, dass hier sehr viel und mühsam zusammengestelltes Material aus den städtischen Akten herangezogen wurde, um ein nicht gänzlich unbekanntes Bild der politischen und konfessionellen Lage der schlesischen Städte zu belegen und zu bestätigen. Die Schneisen für diesen Forschungsbefund wurden bereits in der älteren Fachliteratur über Schlesien gelegt. "Modernisiert" hat ihn die Schlesienforschung der Neunzigerjahre, sodass letztendlich auch die Feststellung, dass der Wiener Hof für die politischen und konfessionellen Auseinandersetzungen mit und in Schlesien eine Entwicklung zur Bikonfessionalität hinnehmen musste - trotz der mehrfachen Versuche des Kaisers, diesen Zustand aufheben zu wollen -, nicht besonders erstaunt. Dass in diesem Zusammenhang die innerstädtische Entwicklung in Schlesien und die wirtschaftlich-politischen Interessen der jeweiligen Führungsschichten eine große Rolle spielten, ist eine Aussage, die in ihrer Plausibilität für die frühneuzeitlichen Strukturen generell Gültigkeit besitzt. In dieser Hinsicht hat sich das betretene Neuland als terra repromissionis erwiesen. Ob die "Gegenreformation in Schlesien" der Konfessionalisierungsforschung tatsächlich neue Impulse geben wird, bleibt abzuwarten. Insbesondere ist die zum Schluss von Deventer geäußerte These von der maßgeblichen Auswirkung der Bestimmungen des Westfälischen Friedens über die "schlesische" Sonderregelung auf den künftigen "preußischen" Toleranzgedanken ein Standpunkt, den es kritisch zu überprüfen gilt.

Der Band ist mit einer Zusammenfassung in polnischer Sprache versehen, einem (allerdings unkommentierten) Quellenanhang, einem Quellen- und Literaturverzeichnis sowie einem Personen- und Ortsregister.

Anmerkung:

Vgl. hierzu die Rezension von Gabriela Wąs in dieser Ausgabe [http://www.sehepunkte.de/2004/03/4885.html].

Małgorzata Morawiec