Matthias Hardt: Gold und Herrschaft. Die Schätze europäischer Könige und Fürsten im ersten Jahrtausend (= Europa im Mittelalter; Bd. 6), Berlin: Akademie Verlag 2004, 369 S., ISBN 978-3-05-003763-9, EUR 64,80
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"Mein Vater [Sigibert] ist tot, und sein Schatz und sein Reich sind mein. Sende deine Leute zu mir, und willig will ich dir Schicken, was dir von den Schätzen meines Vaters gefällt." Diese Zeilen schrieb der Erzählung Gregors von Tours zufolge der Königssohn Chloderich an König Chlodwig, der ihm für den Fall des Todes Sigiberts seine Freundschaft und die Herrschaft um Köln versprochen hatte. Dem Angebot des jungen Usurpators kam Chlodwig nach, der nur wünschte, den Schatz durch seine Gesandten inspizieren zu lassen, ohne etwas daraus zu fordern. Als sich der junge Königssohn bei dieser Gelegenheit über eine Schatztruhe voller Goldmünzen beugte, wurde er von einem der Gesandten Chlodwigs erschlagen. Nun reiste Chlodwig umgehend nach Köln, wo er als Rächer des ermordeten Sigibert auftrat und per Akklamation zum König gemacht wurde sowie dessen Reich und Schätze erhielt. In dieser schönen Geschichte um einen frühmittelalterlichen Königsschatz zeigt sich ein erstes Mal die Vielschichtigkeit des Untersuchungsgegenstandes: Symbol legitimer Herrschaftsnachfolge, Unterpfand politischer Koalitionen und zugleich Herrschaftsmittel.
Referiert wird uns die Geschichte von Matthias Hardt, der in seiner Dissertation Gestalt und Funktion frühmittelalterlicher Königsschätze beschreibt und untersucht. Das Ergebnis ist nun in einer materialreichen Präsentation historischer, archäologischer und literarischer Quellen greifbar. Der Aufbau der Arbeit folgt dabei einer Mischung funktionaler (1. und 5. Teil) sowie materieller (2., 3. und 4. Teil) Aspekte frühmittelalterlicher Schätze.
Den Beginn seiner Studie setzt Hardt dort an, wo Schätze bei den zeitgenössischen Historiografen häufig Erwähnung finden: bei der Herrschaftssukzession. Der Bedeutung des Herrscherschatzes für die Konstitution unterschiedlicher frühmittelalterlicher regna ist der erste Teil der Arbeit gewidmet. Dabei erweisen sich die Schätze unabhängig von der Art der Herrschaftsnachfolge stets als wesentliches Moment; sie spielen bei dynastischer Sukzession, bei Usurpation oder auch bei kriegerischer Eroberung neuer Gebiete und deren Aufnahme in bestehende Herrschaftsgebiete stets eine zentrale Rolle.
In einem nächsten Abschnitt versucht der Verfasser den Bestand frühmittelalterlicher Herrscherschätze zu rekonstruieren, wobei er erfreulicherweise die Grenzen des Faches überschreitet. Er konfrontiert hierfür nämlich schriftliche Quellen, allen voran Gregor von Tours, mit archäologischen Schatzfunden. Das ist natürlich sehr anschaulich, aber auch mit einem gewissen Risiko verbunden. Denn hinter dieser Anschaulichkeit spektakulärer (Grab-)Funde drohen Rhetorik, Topik und Diskursivität der Schriftquellen zu verschwinden. Tatsächlich neigt Hardt dazu, seine Text- und Materialfunde allzu affirmativ aufeinander zu beziehen. Denn wenn etwa Gregor von Tours berichtet, dass ein Mitregent des ost-römischen Kaisers in seinem Palast einen Schatz von 1.000 Kentenarien Gold findet (58) - nota bene als himmlische Belohnung für seine caritas -, geht es doch nicht um einen wirklichen Schatz, sondern darum, den Kaiserpalast in Byzanz als heiligen Ort zu stilisieren, wie die Forschung zum kaiserlichen Hofzeremoniell seit längerem herausgearbeitet hat (Treitinger, Dölger).
Im folgenden dritten Abschnitt untersucht Hardt die "Herkunft der Gegenstände im Schatz", wobei er darunter weniger die topografische Provenienz einzelner Objekte als die funktionale Herkunft der Schatznutrierung versteht: Beute, Tribute, Zölle, Steuern et cetera. Auch hier präsentiert der Autor die Ergebnisse ausgedehnter Quellenlektüre. Ähnlich verfährt er im vierten Teil, der dem Themenkreis der "Verwahrung und Administration des Schatzes" gewidmet ist. Für beide Abschnitte vermag Hardt überzeugend nachzuweisen, mit welcher traditionsbildenden Macht die spätantiken Kaiserschätze auf die frühmittelalterlichen Herrscherschätze wirkten. Die Einkünfte in den Schatz sowie dessen Verwaltung knüpften hier deutlich an die noch tragfähigen Strukturen spätantiker Fiskaladministration an. Doch auch diese Tradition weist ihre Brüche auf, etwa wenn gewisse Zahlungen in den Herrscherschatz aufgrund bischöflicher Dispensationen verweigert werden.
Das Schlusskapitel wendet sich nun einem zweiten funktionalen Aspekt frühmittelalterlicher Herrscherschätze zu: dem Schatz als Gabe. Hardt beschreibt, zu welchen Gelegenheiten Vergabungen aus Schätzen erfolgten, an wen sie sich richteten und woraus sie bestanden. Dabei erstellt er eine Typologie, die jedoch das Mauss'sche Paradigma der Reziprozität der Gabe nur beiläufig andeutet und vielmehr auf klassische Muster sozialgeschichtlicher Prägung zurückgreift; damit bleibt aber letztlich undeutlich, ob der Gabe aus dem frühmittelalterlichen Herrscherschatz eine besondere Bedeutung zukam oder ob diese allen anderen Gaben vergleichbar war.
Der Materialreichtum der Studie ist beeindruckend, doch bleibt das Buch im analytischen Bereich Antworten auf viele und grundlegende Fragen schuldig. So behandelt der Autor etwa die Frage nach Kontinuität und Tradition spätantiker Kaiserschätze für die Bedeutung frühmittelalterlicher Herrscherschätze seltsam einseitig. So richtig der Verweis etwa auf diese Kontinuitätslinie auch ist, bleibt es doch unverständlich, dass Hardt den gerade für sein Thema grundlegenden Bruch mit der Spätantike nicht einmal erwähnt, obwohl er in seinen Quellen immer wieder durchschimmert: der Durchbruch des Christentums. Wenn Gregor vom Westgoten-König Amalarich erzählt (285), er sei auf der Flucht vor dem fränkischen Heer nochmals zurückgekehrt, um die Edelsteine seines Schatzes nicht zurücklassen zu müssen, was ihn das Leben kostete, so geht es dem Bischof von Tours natürlich nicht um einen realen Herrscherschatz, sondern um einen christlich-moralischen Diskurs von avaritia und dessen Bedeutung für Herrschaft. Auch der Verweis auf die Geschenke der Heiligen Drei Könige lassen sich nicht einfach als Herrschergeschenke deuten (235, 264). Sie müssen vor dem Hintergrund eines christlichen Verständnisses von Schatz und Reichtum sowie der einzigartigen Bedeutung des 'beschenkten Fürsten' fürs Mittelalter verstanden werden; ein solches Verständnis gälte es jedoch zunächst zu entwickeln.
Überhaupt geht der Verfasser von einem ziemlich wörtlichen Verständnis von Schatz aus, was für die Texte über Schätze keinen analytischen Zugang bietet; das gilt für Schatznarrative aus der Heiligen Schrift gleichermaßen wie für viele andere Texte. Ein solcher Zugang lässt alles Wertvolle irgendwie Schatz sein; worin unterscheidet sich, so ließe sich fragen, dann aber ein Schatz von Reichtum, Geld oder Gold und Edelsteinen? Die Texte selbst sind hier häufig weit differenzierter als die Interpretationen, und so erhellt auch der Versuch, den Gegenstand im Sinne einer Geschichte der materiellen Kultur zu beschreiben die Sache selbst nur wenig. Zwar werden die materiellen Überreste und Funde herangezogen, jedoch recht unbeschwert auf die Texte hin bezogen, nämlich stets als Affirmationen. Eine Verbindung der archäologischen Funde mit den Diskursen über Schätze, wie sie in den schriftlichen Quellen überliefert sind, gelingt nur ausnahmsweise.
Trotz dieser Kritik stellt die Studie von Hardt eine sorgfältige und materialreiche Darstellung eines in der neueren Geschichtswissenschaft bisher nur wenig untersuchten Gegenstandes dar. Indem er Herrscherschätze aus der Tradition realienkundlicher Forschung einerseits, kunsthistorischer Schatzkunst andererseits herausführt, weist er den Zugang zu einem neuen Forschungsfeld. Der interdisziplinäre sowie transchronologische Ansatz, den der Autor wählt, stellt hierfür sicherlich den richtigen Weg dar. Die Studie wird die künftige Forschung in ihrer Analysefähigkeit dieses neuen Themenbereichs mit Sicherheit herausfordern und kann somit als wegweisend bezeichnet werden.
Lucas Burkart