Peter Derow / Robert Parker (eds.): Herodotus and his World. Essays from a Conference in Memory of George Forrest, Oxford: Oxford University Press 2003, XIII + 377 S., ISBN 978-0-19-925374-6, GBP 58,00
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Der Sammelband enthält die Beiträge eines Symposions, das im Sommer 2000 in Oxford zum Gedenken an den britischen Althistoriker William George Forrest (1925-1997) stattfand. Forrest selbst, der seit 1951 in Oxford vor allem Griechische Geschichte unterrichtete, ist hauptsächlich durch zwei größere Untersuchungen in Erscheinung getreten: eine 1966 erschienene Monografie über die Ursprünge der griechischen Demokratie, und eine zwei Jahre später veröffentlichte "History of Sparta 950-192 BC". Dass der Schwerpunkt der Gedenkschrift auf Herodot gelegt wurde, erklärt sich aus dem nicht mehr ausgeführten Projekt Forrests, einen historischen Kommentar zu Herodot vorzulegen. [1] Forrest war also eher ein Lehrer als ein Forscher; er hat in Oxford ganz offensichtlich nicht wenige - und davon einige heutzutage namhafte - Schüler betreut, und dementsprechend zahlreich sind die Beiträge, die der Band umfasst.
Die Herausgeber haben insgesamt 19 Artikel auf vier Rubriken aufgeteilt, das Buch beginnt mit "Narrative", es folgen "Peoples and Places", "Religion" und "Herodotus and Athens". Bereits diese Überschriften, die erkennbar keinem wie auch immer gearteten logischen Schema verpflichtet sind, machen deutlich, dass wir eine inhaltlich disparate so genannte Buchbindersynthese vor uns haben. Wirklich originell ist dabei, wie offensiv die Herausgeber mit dieser Tatsache umgehen, sie erklären die Heterogenität nämlich einfach zur Tugend: "We aimed for a [...] volume thoroughly diverse in topics, themes, approaches, and interests. Thanks to the participants [...] we were able to achieve this diversity, and for that reason we make no attempt to offer a summary of the papers by way of introduction" (V). - Wann hat man so etwas schon gelesen?
Ähnlich erfrischend nimmt sich so manche der persönlichen Bemerkungen aus, die bei einem solchen Unternehmen natürlich unvermeidbar sind; besonders amüsant fand der Rezensent in diesem Zusammenhang die echt britisch-humoristische Haltung von Thomas Harrison (St. Andrews), dessen schriftliche Studienleistungen von Forrest einstens als "absolute rubbish, lies from start to finish" bewertet worden sind, und der sich nun bei Forrest revanchiert mit einem "paper that he would have hated" (237). Leider hat auch dem Rezensenten Harrisons Artikel "'Prophecy in reverse'? Herodotus and the Origins of History" (237-255) nicht sonderlich zugesagt, und insofern fühlt er sich Forrest unbekannterweise seelenverwandt.
Damit ist die Brücke zum Inhalt der Gedenkschrift geschlagen, wobei im Folgenden, auch aus Gründen der Fairness, nur positiv herausragende Beiträge vorgestellt werden sollen: Dies beginnt mit Simon Hornblower (London), der in seinem Beitrag "Panionios of Chios and Hermotimos of Pedasa" (37-57) dem fabulator Herodot intensiv auf den Zahn fühlt. Gegenstand ist das in Herodot 8,104-106 erzählte Schicksal des Hermotimos aus dem karischen Pedasa, der als Knabe in Kriegsgefangenschaft geriet und von einem Mann namens Panionios von Chios kastriert und nach Sardeis verkauft wurde. Hermotimos gelangte schließlich als Eunuch an den Hof des Xerxes, stieg dort zu allerhöchsten Ehren empor und konnte sich dann, Jahre später, als er sich im Verlauf des Griechenlandfeldzuges von 480 wieder in Westkleinasien aufhielt, grausam an Panionios rächen. Hornblower, der dieser Erzählung aus allen nur erdenklichen Richtungen zu Leibe rückt, gelingt es nun auf durchaus unterhaltsame Weise, sie als ein Gleichnis von fast biblischer Tiefgründigkeit zu erweisen. Im Unterschied zu der von Hornblower als Parallele herangezogenen Geschichte von Joseph und seinen Brüdern nimmt diejenige von Hermotimos und Panionios allerdings ein recht geschmackloses Ende.
Sehr lehrreich und anschaulich ist der Beitrag von Dwora Gilula (Jerusalem), die durch eine Fülle textkritischer Detailbetrachtungen zeigen kann, dass die Emendationen und Konjekturen der älteren Herodot-Editionen in einem sehr hohen Maße beeinflusst wurden von ungerechtfertigten und mittlerweile oft überholten Vorannahmen ("Who was actually buried in the first of the three Spartan graves (Hdt. 9. 85. 1)? Textual and historical problems", 73-87). Gerade heute, da sich die alten Sprachen auf dem Rückzug befinden, sollten Artikel wie dieser zur Pflichtlektüre im Grundstudium werden.
Wirklich erhellend ist der Beitrag der Assyriologin Stephanie Dalley (Oxford). Sie behandelt die Frage, inwieweit man Herodot und auch Ktesias an den Stellen Glauben schenken darf, wo sie sich zur altorientalischen und insbesondere assyrischen Geschichte äußern ("Why did Herodotus not mention the hanging Gardens of Babylon?", 171-189). Klar und schon lange bekannt ist, dass sowohl Herodot als auch Ktesias diesbezüglich vieles berichten, das definitiv nicht stimmt oder zumindest unstimmig erscheint. Dalley gelingt es dabei freilich, die abgegriffenen Erklärungsmuster, es handle sich um ethnozentrische und / oder topische Ignoranz, überzeugend aufzubrechen: Zum einen haben neuere Forschungen Herodot und Ktesias teilweise nachträglich bestätigt (eine Auflistung solcher Fälle findet sich auf Seite 189), und zum anderen lassen sich einige 'Fehler' plausibel interpretieren als Missverständnisse, die bereits den orientalischen (persischen) Gewährsleuten der beiden Griechen unterlaufen sind. Um auf die 'hängenden Gärten' zu sprechen zu kommen: Herodot erwähnt sie nicht, weil es sie, nach Meinung Dalleys, nicht gab, wenigstens nicht in Babylon. - Dalleys Artikel ist ein Paradebeispiel dafür, dass man selbst konventionellen Fragestellungen mit interdisziplinärem Hintergrund neue und überraschende Ergebnisse abgewinnen kann.
Trotz dieser äußerst lesenwerten Beiträge muss das Fazit des Sammelbandes insgesamt gemischt ausfallen, denn anderes wirkt mühsam, konstruiert oder rätselhaft (etwa der Beitrag von Christiane Sourvinou-Inwood zum Thema Ethnizität, oder der Artikel "Democracy without Theory" von John K. Davies). Wahrscheinlich aber kann dies gar nicht anders sein (jeder, der schon einmal eine Festschrift aufgeschlagen hat, weiß, was der Rezensent meint), und deswegen sei abschließend auf die reichhaltige und vorbildlich vereinheitlichte Bibliografie sowie das ausführliche Personen- und Sachregister hingewiesen, die den Band für weitergehende Arbeiten gewinnbringend erschließen und dadurch abrunden - ein Buch, das man vielleicht nicht von vorne bis hinten durchgelesen haben muss, aber das man sich durchaus anschaffen kann!
Anmerkung:
[1] John K. Davies: Professor William George Grieve Forrest, in: The Annual of the British School at Athens 94 (1999), 475-483.
Hartmut Blum