Susanne Kreutzer: Vom 'Liebesdienst' zum modernen Frauenberuf. Die Reform der Krankenpflege nach 1945 (= Geschichte und Geschlechter; Bd. 45), Frankfurt/M.: Campus 2005, 306 S., ISBN 978-3-593-37741-4, EUR 34,90
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Die Geschichte der Krankenpflege hat in der deutschsprachigen Forschung lange Zeit ein Schattendasein geführt. Nun mehren sich Anzeichen für eine aufmerksamere Wahrnehmung dieses Bereichs der Sozialgeschichte, von der auch die Medizingeschichte profitiert. Die Dissertation von Susanne Kreutzer, die 2003 bei Karin Hausen entstanden ist, füllt eine der vielen Forschungslücken der Pflegegeschichte; sie ist zugleich ein Beitrag zur Zeitgeschichte, die in der letzten Zeit erfreulicherweise auch mehr Berücksichtigung in der historischen Forschung gefunden hat.
Im Zentrum der Studie steht die Krankenpflege im öffentlichen Dienst, da dieser der "Vorreiter bei der Durchsetzung des modernen Berufsbildes" (8) war. Am Beispiel des "Bundes freier Schwestern", der Schwesternschaft der Gewerkschaft Öffentliche Dienste, Transport und Verkehr (ÖTV), wird der Reformprozess analysiert. Der Zeitraum der Untersuchung konzentriert sich auf die 1950er- und 1960er-Jahre, also auf die Zeitspanne, die für einen grundsätzlichen Umbruch des Berufsfeldes steht. Zu den wichtigsten Rahmenbedingungen gehören die Schwierigkeiten der Mutterhausverbände seit Anfang der 1950er-Jahre, genügend Nachwuchs zu finden, sowie ab Mitte dieser Dekade der allgemeine Schwesternmangel (Stichwort "Pflegenotstand"), der mit der Vollbeschäftigung auf dem Arbeitsmarkt zusammenfiel. Dadurch eröffneten sich für Frauen auch andere Arbeitsfelder und vor allem Erwerbsmöglichkeiten als die schlecht bezahlte Tätigkeit im Pflegebereich, in dem eine Wochenarbeitszeit von 60 und mehr Stunden die Regel war. Dazu kam ein veränderter Lebensentwurf für Frauen: Sowohl die "Nur-Hausfrau" als auch das zölibatäre Berufsbild der Krankenschwester verloren besonders bei der jüngeren Generation rasant an Attraktivität. Die Untersuchung endet mit der Öffnung des Bundes freier Schwestern für männliche Kollegen 1968, womit der grundlegende Wandel des Berufsbildes markiert ist.
Die Kernfragen der Studie sind erstens, inwiefern die ÖTV Anstrengungen unternahm, ein typisch weibliches Berufsfeld hinsichtlich einer Verberuflichung und Professionalisierung zu verändern, und zweitens, wie die Chancen von Krankenschwestern waren, ihre berufsspezifischen Interessen bei der Gewerkschaft wahrzunehmen beziehungsweise durchzusetzen. Die gewerkschaftlich organisierten Krankenschwestern waren Mitglied des "Bundes freier Schwestern", der 1949 gegründet wurde und eine Mittelstellung zwischen einer Schwesternschaft und einer Gewerkschaftsorganisation einnahm. Anfang der 1950er-Jahre waren Krankenschwestern weiterhin mehrheitlich in Schwesternschaften organisiert. Diese konnten einem Mutterhaus angehören (zum Beispiel Kaiserswerther Diakonie), konfessionell (beispielsweise Caritas) beziehungsweise institutionell (zum Beispiel Deutsches Rotes Kreuz) gebunden, frei (Agnes Karll-Verband) oder an eine Gewerkschaft angegliedert sein. Kennzeichen einer Schwesternschaft waren die Arbeitsvermittlung, der ein so genannter Gestellungsvertrag zwischen der Schwesternschaft und dem Auftraggeber vorausging, sowie das Angebot oder die Möglichkeit zur Fort- bzw. Weiterbildung.
Die Arbeit ist in drei Kapitel gegliedert. Im ersten werden die Veränderungen im Berufsbild Krankenpflege skizziert, also der langsame Übergang von dem tradierten Bild des "Dienstes" am Menschen zum Erwerbsberuf. Stichworte sind hier: Auseinandersetzungen über die Arbeitsbedingungen in der Pflege (Arbeitszeit, Bezahlung), Nachwuchsprobleme der Mutterhäuser, Mangel an Pflegepersonal, Veränderungen im pflegerischen Arbeitsalltag sowie Technisierung und Spezialisierung in der Pflege.
Im zweiten Kapitel geht es um den "Bund freier Schwestern" und die Krankenschwestern als "Fremdkörper" in der ÖTV. Die Gründung des "Bundes freier Schwestern" knüpfte an die gewerkschaftliche Vorläuferorganisation der Weimarer Republik an. Die Initiative ging vor allem von den Hamburger Schwestern aus, die auf eine lange Tradition freier Schwesternschaften zurückblicken konnten. Nötig war die Gründung einer gewerkschaftlichen Schwesternschaft aus drei Gründen: 1. für die Mitgliederwerbung, 2. um Gestellungsverträge mit den Krankenanstalten abschließen zu können und 3. als Voraussetzung zur Mitarbeit in den Dachorganisationen der Schwesternschaften. Zwar prägten im Untersuchungszeitraum die Schwestern die berufsübergreifende Frauenpolitik der Gewerkschaft, auch waren sie die einzige Berufsgruppe in der ÖTV, die eigene hauptamtliche Sachbearbeiterinnen hatten, und zwar auf Bezirks- wie auf Bundesebene, das änderte jedoch nichts an ihrer Sonderstellung innerhalb der Gewerkschaft. Diese resultierte zum einen daraus, eine Standesorganisation zu sein und als solche ein Relikt vergangener Zeit zu repräsentieren, zum anderen durch den Abschluss von Gestellungsverträgen mit Krankenhäusern, wodurch der Bund freier Schwestern Arbeitgeberfunktionen wahrnahm und teilweise gegen Gewerkschaftsrichtlinien verstieß. Zum Dritten resultierte die Sonderstellung daraus, dass der Bund eine (reine) Frauenorganisation war und zudem eine Berufsgruppe vertrat, deren traditionelles Selbstbild oft mit gewerkschaftspolitischen Forderungen (Regelung der Arbeitszeit, Bezahlung von Überstunden, Wahrnehmung des Streikrechts) in Konflikt kam.
Im dritten Kapitel geht es um die Politik der ÖTV im Krankenpflegebereich. Ziele waren die Anerkennung der Krankenpflege als Erwerbsberuf und die Durchsetzung von Tarifnormen. Als Problem erwies sich, dass selbst viele freie Schwestern bei einem Mutterhausverband beschäftigt waren und damit aus dem Geltungsbereich tariflicher Normen herausfielen. Zudem sahen sich die Schwestern im Widerstreit von berufspolitischen Forderungen auf der einen Seite und ideellen Berufsinhalten, wie die Bedürfnisse der Patienten, auf der anderen Seite. Die Politik einer Gewerkschaft erweist sich seit den 1950er-Jahren in erster Linie im tarifpolitischen Feld. Hier hatte es die ÖTV mit ganz unterschiedlichen Arbeitgeberverbänden zu tun: öffentliche und private Arbeitgeber, freigemeinnützige Krankenhausträger sowie die Deutsche Krankenhausgesellschaft. In den Zeiten des "Pflegenotstandes" zeigte sich, dass die Durchsetzung mancher Gewerkschaftsforderungen (Reduzierung der Wochenarbeitszeit) bei den Arbeitgebern auf relativ offene Ohren stieß, weil klar war, dass der Krankenpflegeberuf attraktiver werden musste, wenn der Personalmangel behoben werden sollte. Zur Durchsetzung tarifpolitischer Forderungen war im Untersuchungszeitraum ein Streik im Gesundheitswesen selbst auf Gewerkschaftsseite aus Angst vor einem Imageschaden ein hochsensibles Thema. Der Verzicht auf das Kampfmittel Streik bedeutete natürlich eine Reduzierung der Durchsetzungskraft gewerkschaftlicher Forderungen. Stattdessen wurde versucht, durch Öffentlichkeitsarbeit "an das Gewissen der Öffentlichkeit zu appellieren" (162). Im Zuge des "Pflegenotstandes" kamen dann auch Fragen des Kost- und Logiszwanges sowie der Qualität der Unterbringung, die Regelung der Arbeitszeit, die Öffnung des Berufsfeldes für verheiratete Frauen sowie die Höhergruppierung der Krankenschwestern auf die Agenda. Der "Bund freier Schwestern" zeigt sich dabei nicht in allen Punkten als Motor der Entwicklung.
Im Schlusskapitel geht es um die Bedeutung des Bundes für die Geschichte der Krankenpflege, für die der Gewerkschaften und für die der Mutterhausverbände. Trotz mancher Verhaftung am tradierten Modell der Krankenpflege trug der Bund durchaus zur Modernisierung der Krankenpflege bei. Dass er dabei zunehmend von den Zeitumständen ein-, wenn nicht überholt wurde, lag auch am fortgeschrittenen Alter der gewerkschaftlich aktiven Schwestern, die einer konsequenten Verberuflichung und Professionalisierung der Krankenpflege mitunter ablehnend gegenüberstanden.
Die Arbeit von Susanne Kreutzer schließt, wie eingangs bemerkt, einige Lücken der Pflegegeschichte. Dass sie sich für eine Untersuchung des gewerkschaftspolitischen Anteils an der Modernisierung der Krankenpflege entschieden hat, ist durchaus sinnvoll, weil damit die Schnittstelle zwischen Pflege- und Gewerkschaftsgeschichte in den Fokus kommt. Darüber hinaus gibt die Studie einen sehr guten Über- und Einblick in den gesellschaftspolitischen Rahmen des Transformationsprozesses der Krankenpflege. Dafür nimmt man dann auch in Kauf, dass sich die Lektüre im ersten Drittel, in dem sich die Autorin mit der Entwicklung der gewerkschaftlichen Strukturen beschäftigt, nicht immer als Lesevergnügen erweist.
Sylvelyn Hähner-Rombach