Linda Maria Koldau: Frauen - Musik - Kultur. Ein Handbuch zum deutschen Sprachgebiet der Frühen Neuzeit, Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2005, 1188 S., ISBN 978-3-412-24505-4, EUR 110,00
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Es ist nicht nur im Mozart-Jubiläumsjahr interessant und angemessen, auch über musizierende Frauen und Frauen in der Musikkultur der frühen Neuzeit mehr zu erfahren, aber im Rahmen der allgegenwärtigen Verherrlichung (oder auch Demontage) des männlichen Musikgenies ist es von besonderem Reiz, den vielfältigen Spuren nachzugehen, die die Geschlechterbeziehungen in der Musikkultur der Frühen Neuzeit hinterlassen haben. Zu diesem Zweck, aber auch zu anderen Gelegenheiten lässt sich Linda Maria Koldaus "Handbuch" mit Gewinn befragen - Mozart selber allerdings firmiert nicht im Band, wohl aber die höfische Musikkultur etwa bei den Habsburgern am Kaiserhof und in Innsbruck, bei den Landgrafen von Hessen-Darmstadt und Hessen-Kassel, bei den Hohenzollern, den Welfen von Braunschweig-Lüneburg, den Wettinern, den Wittelsbachern und den Württembergern. Auch ein Blick auf die Angehörigen des niederen Adels wird in dem 300 Seiten starken Teil I gewagt, bevor in einem fast ebenso umfangreichen Teil II die Musikpraktiken (von Frauen) im Bürgertum beleuchtet werden. Hier wird neben der Frage der musikalischen Ausbildung der Frauen und Bürgertöchter auch deren Rolle im Musikgewerbe näher beleuchtet; auch werden einige professionelle Musikerinnen namentlich vorgestellt, die allerdings überwiegend im höfischen Kontext tätig waren und allein aus dem Grund überhaupt quellenmäßig fassbar sind.
In den Schatten gestellt werden diese beiden Buchteile dann aber vom Teil III, der die musikalischen Praktiken in Frauenklöstern und religiösen Frauengemeinschaften beleuchtet. Auf knapp vierhundert Seiten führt die Verfasserin hier durch das breite Spektrum des frühneuzeitlichen klösterlichen Lebens, wobei sie den verschiedenen Orden jeweils kleinere Unterkapitel widmet (Zisterzienserinnen, Benediktinerinnen, Augustinerinnen, Dominikanerinnen und Klarissen bzw. Franziskanerinnen). Dabei vergisst sie aber auch nicht die Kanonissen und Damenstifte und beleuchtet abschließend die Neuerungen, die die "Devotio moderna" mit sich brachte. Diese weisen in reformatorische Musikpraktiken voraus, welche allerdings schon im vorhergehenden Kapitel "Musik im Bürgertum" im Teilkapitel "Kirchenlied" (5.4.) behandelt wurden, wodurch ein gewisses konzeptionelles Problem des "Handbuchs" sichtbar wird, das insbesondere darin besteht, dass das Material eher (kultur-)räumlich als chronologisch geordnet wurde. Der zeitliche Rahmen ist dadurch gewissermaßen aufgelöst; das Handbuch beginnt mit dem musikalischen "Kulturtransfer", den die der italienischen Renaissancekultur entstammenden Ehefrauen der Habsburgerfürsten bewerkstelligten; er endet mit der "Modernisierung" des Kirchenliedes als (auch) Propagandamittel aus dem Munde und der Feder von Schwestern aus den Schwesternhäusern der "Devotio moderna".
Das erscheint mir im Lichte moderner kulturwissenschaftlicher Konzepte allerdings ein eher geringes Problem zu sein, zumal die zeitliche Orientierung innerhalb der diversen (Teil-)Kapitel in der Regel chronologisch ist. Koldau blendet im Übrigen, das sei dabei noch angemerkt, das 18. Jahrhundert (als Beginn der "Moderne"?) systematisch aus - deshalb gibt es auch keine Allusion an Mozart, und nicht einmal an "Nannerl", die nicht ganz so berühmte Schwester des Genies. Problematischer ist dagegen, dass sich durch die skrupulöse Orientierung am konkreten kulturellen "Ort" der Aufführung, Nutzung und ggf. Niederschrift religiöser oder weltlicher Musik - ganz besonders ist das im Teil III der Fall - Wiederholungen und Redundanzen nicht vermeiden ließen, was dem Band nicht nur ein erhebliches Gewicht im wahrsten Wortsinn verleiht, sondern sich beim Lesen bisweilen als störend erweist. Beeindruckend ist dagegen - und für ein Handbuch nicht unbedingt üblich - die Fülle der anschaulichen Einzelbeispiele bei gleichzeitiger Bändigung des Materials in die genannte kulturräumlich-chronologische Struktur.
Gerade für Nichtmusikhistorikerinnen und Nichtmusikhistoriker wird das Opus dadurch zu einer wirklichen Einführung in die Musikgeschichte der frühen Neuzeit und ergänzt unser Wissen über höfische, bürgerlich-städtische und religiöse Musikpraktiken erheblich. Viel kommt auch unserem Wissen über weibliche Virtuosität wie über geschlechtsspezifische Alltagspraktiken im weiten Feld der Musik zugute, das ja sowohl Nichtmusikwissenschaftlerinnen als auch Nichtmusikwissenschaftler in der Regel eher selten begegnet, weil es so ephemer erscheint. Sehr zu Unrecht, wie uns Linda Koldau mit ihrem Handbuch zu überzeugen vermag. Dies nicht nur, weil sich auch bezüglich weiblicher musikalischer Performanz und Praktiken weit mehr Quellen finden ließen als zunächst vermutet, wie die Verfasserin in ihrer Einleitung schreibt, sondern auch, weil wir im Zeitalter des "cultural turn" unseren Blick insbesondere auch auf solche Bereiche historischer Realität und Erfahrung richten (müssen), in denen insbesondere die Sinne, die Leidenschaften, die Emotionen angesprochen wurden bzw. im Mittelpunkt standen. Und dies sind eben nicht nur Bilder und visuelle Inszenierungen, sondern eben auch und vor allem akustische und haptische Reize und Praktiken, wie sie Musik, Gesang und Tanz auslösen bzw. transportieren.
Die im engeren Sinne geschlechtergeschichtliche Dimension des Bandes wird einleitend dergestalt problematisiert, dass es hier zunächst mehr Fragen zu stellen als Antworten zu geben gälte. Nach Ansicht der Verfasserin sind dies zunächst Fragen, die die Dimension "Geschlecht" relativ eng und eindeutig als Geschlechterverhältnis verstehen. Dies nicht zuletzt auch, weil dadurch das historische Material relativ rasch nach sozialen Kategorien (etwa Stand oder Profession usw.) und deren Wandel durchleuchtet werden kann. In der Regel wird dadurch aber weibliche Musikperformanz mit männlicher ins Verhältnis gesetzt, meist nicht gerade zum Vorteil der ersteren. Es liegt dann eine (auch im vorliegenden Band nicht ganz vermiedene) "Legitimationsthese" nahe: Seht her - auch die Frauen konnten komponieren, singen, dichten usw., wenn auch unter deutlich schlechteren Bedingungen als die Männer. Linda Koldau ist sich dieser Schwäche ihres "Handbuchs" bewusst: "Anstatt aber die Opferperspektive, die eine solche traditionelle Sicht anbietet, zu übernehmen, ist hier nach anderen Perspektiven und Ansätzen zu fragen, die dem komplexen Ineinander verschiedener soziokultureller Kontexte - Stand, Religion, ökonomische Voraussetzungen, ethnische Zugehörigkeit u.a. - Rechnung tragen. Die eigentliche Arbeit scheint somit noch auszustehen - wobei im vorliegenden Buch immer wieder solche Fragen aufgegriffen und auf die hier vorgestellten Ergebnisse bezogen werden" (4).
In der Tat wäre eine "Geschlechtergeschichte der Musik(-kultur) der frühen Neuzeit" zum jetzigen Zeitpunkt und beim derzeitigen Forschungsstand ein wohl unmögliches Unterfangen; dass es hier aber viele höchst interessante Fragen zu stellen und Forschungen anzuschließen gälte, das zeigt Koldaus frauengeschichtliches "Handbuch" indes sehr deutlich. Insofern ist es denn auch mehr eine "Einladung" zur Vertiefung in diese faszinierende Thematik als deren abschließende, gleichsam "kanonisierte" historiographische Form.
Claudia Opitz-Belakhal