Samuel Y. Edgerton: Die Entdeckung der Perspektive. Aus dem Englischen von Heinz Jatho (= Bild und Text), München: Wilhelm Fink 2002, 191 S., 32 s/w-Abb., ISBN 978-3-7705-3556-9, EUR 27,90
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Samuel Y. Edgerton: Giotto und die Erfindung der dritten Dimension. Malerei und Geometrie am Vorabend der wissenschaftlichen Revolution. Aus dem Englischen von Fritz Böhler, Jürgen Reuß und Rainer Höltschl (= Bild und Text), München: Wilhelm Fink 2003, 358 S., 120 s/w-Abb., ISBN 978-3-7705-3884-3, EUR 38,90
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Die Bedeutung der Perspektive für die kunstgeschichtliche Entwicklung im Übergang vom Mittelalter zur Frühen Neuzeit ist kaum zu überschätzen. Die Forschung hat sich seit dem wegweisenden Aufsatz von Panofsky Die Perspektive als 'symbolische Form' (1927) intensiv mit diesem Thema befasst, wobei zumeist die Frage der "Erfindung" der Perspektivkonstruktion im Vordergrund stand. Das erstmals 1975 publizierte Buch von Edgerton The Renaissance Rediscovery of Linear Perspective war ein Beitrag zu dieser Debatte, der seinerzeit kritisch diskutiert und seither immer wieder zitiert wurde. Wenn dieses Buch nach fast 30 Jahren in deutscher Übersetzung vorgelegt wird, erwartet der Leser, einen grundlegenden Text vor sich zu haben.
Die "Entdeckung" der Perspektive, die nach Überzeugung des Autors um 1425 in Florenz stattfand, war für ihn im Grunde eine "Wiederentdeckung", weil die Perspektive auch in der Antike bekannt war. Über den Vermittlungsweg kann aber auch hier, wie schon in älteren Publikationen, kaum etwas gesagt werden, weil uns eine antike Theorie der Perspektive nicht überliefert wurde und die in diesem Zusammenhang wichtigen Werke der römischen und pompejanischen Wandmalerei damals noch nicht ausgegraben waren. Die Protagonisten der Wiederentdeckung waren nach Edgerton Filippo Brunelleschi und Leon Baptista Alberti als Theoretiker, sowie Masaccio und Donatello als Künstler. Diese "Entdeckung" soll nach Edgerton einen entscheidenden Impuls durch die Wiederentdeckung der Geografie des Ptolemäus erhalten haben, die Brunelleschi und den anderen durch Paolo dal Pozzo Toscanelli vermittelt wurde. Im Vorfeld spielte auch die scholastische Theologie und Naturphilosophie eine wichtige Rolle. Es ist ein Verdienst des Autors, darauf hingewiesen zu haben, wenn auch mit einer gewissen Einseitigkeit, denn er geht nur auf Roger Bacons Plädoyer für die Geometrie im 4. Teil seines Opus Magnum ausführlicher ein. In einem späteren Kapitel liefert Edgerton noch einen kurzen Überblick über die Entwicklung der Optik in Antike und Mittelalter, den man heutzutage allerdings kompetenter durch die Schriften von David C. Lindberg erhält. [1]
Die perspektivische Konstruktion erläutert Edgerton an dem Verfahren, das Alberti in seinem Malerei-Traktat von 1435 beschrieben hat. Er zeigt, dass Alberti in seiner Definition der Sehpyramide von der mittelalterlichen Optik-Tradition ausging, während er sich in den geometrischen Definitionen an Euklid orientierte und zugleich davon absetzte, beispielsweise mit dem Postulat, dass ein Punkt für Maler keine dimensionslose Entität sein kann. Edgertons Beschreibung von Albertis Verfahren enthält Unklarheiten und Fehler. So liest man auf Seite 44: "Von diesem Zentralpunkt zu der jeweils Diagonalen zu den Markierungen an der Grundlinie. Diese Linien sind das, was man heute in perspektivischer Sprache die Orthogonalen nennt." Der Begriff der Diagonale ist hier unangebracht. Die im Zentralpunkt (den man heute Hauptpunkt nennen würde) zusammenlaufenden Linien sind nicht die Orthogonalen, sondern die in der Projektion sich verkürzenden Bilder der Orthogonalen. Der zweiter Konstruktionsschritt Albertis wird von Edgerton "Distanzpunkt-Operation" genannt. Konkret handelt es sich dabei um einen Längsschnitt durch den im ersten Arbeitsschritt konstruierten Bildraum. Edgerton führt mit seiner Terminologie zu einiger Verwirrung. Er setzt Augenpunkt und Distanzpunkt gleich. Distanzpunkte aber sind der gültigen Definition nach die Punkte auf der Horizontlinie, deren Abstand zum Hauptpunkt dem Abstand vom Augenpunkt zum Hauptpunkt entspricht. Die zwei Distanzpunkte sind zugleich die Fluchtpunkte aller Linien, die parallel zur Standebene verlaufen und die Projektionsfläche im Winkeln von 45 Grad durchstoßen. Eine Konstruktion, die von diesen Punkten ausgeht, wie sie beispielsweise 1505 von Jean Pelerin vorgeschlagen wurde, wird als Distanzpunktkonstruktion bezeichnet. Edgertons Bezeichnung "Distanzpunkt-Operation" meint etwas ganz anderes und ist mithin irritierend. Wenn Edgerton von Ein-Punkt-Perspektive oder Zwei-Punkt-Perspektive spricht, verwendet er Begriffe, die zur genauen Bezeichnung des Konstruktionsverfahrens ungeeignet sind, denn in einem nach dem Verfahren Albertis angelegten Bild kann es weitere Fluchtpunkte geben, da jede Schar von Parallelen ihren eigenen Fluchtpunkt hat. Das Gleiche gilt für Bilder, die mit dem Distanzpunktverfahren konstruiert wurden. In dieser unscharfen Terminologie liegt eine bedenkliche Schwäche des Buches. Die Prinzipien der Perspektive werden dem Leser nicht hinreichend klar gemacht. Das zweite Perspektiv-Verfahren Albertis basiert auf dem von diesem als velo bezeichneten Apparat, einem Rahmen, der mit einem Schleier bespannt ist. Dieser ist mit einem Quadratnetz versehen, durch den hindurch von einem fixierten Augenpunkt aus Gegenstände in ihrer Verkürzung beobachtet und gezeichnet werden können. Dieses Verfahren wird nur kurz erwähnt, führt aber zu der zentralen These von Edgerton, dass das kartografische Projektionsverfahren, das Ptolemäus im 7. Buch seiner Kosmografie beschrieben hat, den entscheidenden Anstoß für die Entwicklung der Perspektivkonstruktion gegeben haben soll. Und das, obwohl es, wie Edgerton selbst sagt, in den älteren Handschriften nie illustriert wurde und so kompliziert war, dass die frühen Kartografen es nicht verstanden haben. Deswegen muss Toscanelli als Vermittler einspringen. Der 1397 geborene Gelehrte kehrte allerdings erst nach 1420 von seinen Studien in Padua zurück, sodass Edgerton für eine relativ späte Datierung der "Erfindung" der Perspektive plädieren muss. Der von ihm konstruierte Zusammenhang ist von der nachfolgenden Literatur zurückgewiesen worden. Wichtig ist jedoch das Prinzip der Rasterung, das bei allen Kartierungsverfahren des Ptolemäus eine Rolle spielt. Es war aber schon im 14. Jahrhundert bekannt und kommt selbst auf Portulankarten vor. Festzuhalten ist auch, dass die Rasterung der ptolemäischen Karten und die von den Künstlern verwendete Quadratrasterung nicht gleichzusetzen sind. Ptolemäus war nicht das "missing link" in der "Erfindung" der Perspektive, wie Edgerton meint.
Am Anfang der konstruierten Perspektive steht Brunelleschis Bild vom Florentiner Baptisterium. Edgerton vertritt die These, dass es mit einem Spiegel konstruiert wurde, doch so wie er es erläutert, kann es nicht gewesen sein. Er umgeht die entscheidende Frage, wie das Auge des Zeichners fixiert werden kann. Nur so aber ist eine genaue Projektion möglich. Falsch ist auch die These, dass mit diesem optischen Experiment "der" Fluchtpunkt entdeckt worden sein soll. Für die Demonstration des "punctus centricus" waren das Baptisterium und der über Eck gesehene Palazzo Vecchio die ungeeignetsten Objekte, weil es hier gar keine orthogonal zur Bildfläche laufenden Linien gab, die im Hauptpunkt konvergieren würden. In den "Rekonstruktionen" wird stets ein Bodenmuster hineingemogelt, das es so damals nicht gab. Falsch ist auch die Behauptung (44), dass die "Horizont-Isokephalie" bei Brunelleschi eine Rolle gespielt habe.
Die Thesen von Edgerton haben seit 1975 vielfach Widerspruch erfahren. Man kommt heute nicht an der von Martin Kemp und weiteren Autoren geäußerten These vorbei, dass die optischen Messtechniken grundlegend für die Erfindung der Perspektivkonstruktion waren. Auch Brunelleschi hat sich ihrer bedient, als er zusammen mit Donatello die antiken Ruinen Roms aufnahm. Brunelleschis Bildexperimente werden heute zumeist um 1413 angesetzt, sodass Donatello bei seinem 1417 datierbaren Georgsrelief schon davon profitieren konnte. Edgertons Buch repräsentiert einen heute in entscheidenden Punkten überholten Forschungsstand.
Das 1991 von Edgerton veröffentlichte Buch The Heritage of Giottos geometry ist eine Sammlung einzelner, zum Teil zuvor isoliert publizierter Aufsätze, mit denen der Verfasser die Thesen seines ersten Buches unterstützen und erweitern möchte. Ausgangspunkt ist die These, dass Perspektive und Chiaroscuro (Helldunkel) die "wissenschaftliche Revolution" der Frühen Neuzeit entscheidend beeinflusst haben. Die Anfänge dieser Entwicklung sieht er um 1300, in der Zeit Giottos. Nach einem kontrastierenden Vergleich der westlichen und der ostasiatischen Zeichnungskultur verweist er darauf, dass die in der Antike entwickelten Fähigkeiten zur räumlichen Darstellung im Frühen Mittelalter verloren gingen. Eine geistesgeschichtliche Voraussetzung der Neuentdeckung dieser Fähigkeiten war die Rezeption von Euklid und der antiken Optik. Konkret greifbar wird dieser Wandel für Edgerton in dem Konsolfries, der in der Oberkirche von S. Francesco in Assisi über dem unteren Bildregister entlang läuft. Die umständlichen Darlegungen von Edgerton greifen zu kurz. Er sieht nicht, dass das von der Cimabue-Werkstatt eingebrachte Motiv in der Bemalung der Rippen des ersten und dritten Joches weiterentwickelt worden war, und dass dieses Motiv nach Rom verweist, wo es mit einem der wenigen Stücke spätantiker Malerei, die damals bekannt waren, zusammen zu bringen ist: der nur in Zeichnungen dokumentierten Bassus-Aula. Im Streit um Giottos Anteil an den Fresken in Assisi bezieht Edgerton keine klare Stellung, schlägt aber vor, die Geometrie der Perspektive als Kriterium zu verwenden. Abgesehen davon, dass er damit die Bildkonzeption unterschätzt, hat er auch eine falsche Vorstellung von der Geometrie des Konsolfrieses. Die Abbildung auf Seite 58 suggeriert, dass es sich hier, wie auch frühere Autoren schon behauptet haben, um eine "Fluchtachsen-Konstruktion" handle. Doch dieses Verfahren ist eine Erfindung der Kunsthistoriker. Der Konsolfries entstand, wie Einstichpunkte im Intonaco zeigen, durch Parallelverschiebung mittels einer Schablone. Unzutreffend ist auch die Meinung, dass sich durch das Gebälk und die gedrehten Säulen ein Fenstereffekt ergebe. Dieser Eindruck wird durch den zweifarbigen flachen Streifen, der um die Szenen herumgeführt wird, verhindert. Die Arenakapelle in Padua wird nur kurz und wenig systematisch abgehandelt. Von der im Titel erwähnten Geometrie Giottos erfährt der Leser eigentlich nichts, dafür wird ihm über mehrere Seiten ein fiktiver Dialog zwischen Petrarca und Giotto geboten, mit dem suggeriert werden soll, dass der Maler als Leser des Opus Magnum von Bacon eine Ahnung von der "göttlichen Geometrie" gehabt und diese umgesetzt habe. Argumente werden durch dichterische Fantasie ersetzt.
Das dritte Kapitel bietet eine Interpretation von Fra Filippo Lippis Verkündigung in London. Deren Besonderheit ist es, dass der Weg der Taube des Heiligen Geistes durch eine Reihe von sich überschneidenden Kreisen aus goldenen Pünktchen markiert wird, die anzuzeigen scheinen, dass die Taube auf einer gekurvten Bahn herabgekommen ist. Edgerton deutet dies mit der beispielsweise von Bacon dargelegten Theorie der multiplicatio specierum, mit der auch der Sehvorgang erklärt wird. Diese Interpretation ist allerdings fragwürdig. Licht, das durch ein Fenster dringt, ohne dieses zu zerstören, war seit Langem Metapher der jungfräulichen Empfängnis, ohne dass dabei die Species-Lehre eine Rolle gespielt hätte. Der gekrümmte Weg entspricht nicht der Vorstellung von der gradlinigen Ausbreitung der visuellen Species. Theologisch schief ist es, wenn Edgerton die Aussage des Antoninus von Florenz, die Ausbreitung der göttlichen Gnade sei mit der des Lichtes zu vergleichen, aufgreift und diese Gleichsetzung auf die Inkarnation überträgt. Diese nämlich ist theologisch die Inkarnation des Logos (Jo 1,14), was auch durch die Hand Gottes als Bildmetapher der vox Dei angedeutet wird. Die höchst angreifbare Interpretation trägt zur Erhellung des Perspektivverständnisses und zur Auffassung von der Optik in der Frührenaissance nichts bei.
Die "Geometrisierung des irdischen Raumes" wird dann an der Entwicklung der technischen Zeichnung erläutert. Der Weg von den Zeichnungen Taccolas zu denen von Francesco di Giorgio Martini und weiter zu Leonardo führt zu einer immer größeren Präzision der Gegenstandswiedergabe, verbunden mit einer immer konsequenteren Berücksichtigung der Dreidimensionalität. Der weitere Weg der technischen Zeichnung im frühen Buchdruck wird im folgenden Kapitel nachgezeichnet. Zunächst allerdings geht Edgerton noch einmal auf seine These vom entscheidenden Einfluss der kartografischen Methode des Ptolemäus ein, an der er mithin festhält. Ein Beispiel für diesen Zusammenhang ist der Traktat des Johannes Rodler, wobei Edgerton allerdings nicht sagt, dass dessen Verfahren, bei dem der Zeichner die Landschaft, die in der gerasterten Fensteröffnung erscheint, auf sein ebenfalls gerastertes Blatt überträgt, nicht funktionieren kann, weil der Augenpunkt des Zeichners nicht fixiert ist. Das ptolemäische Kartennetz steht für Edgerton in unmittelbarem Zusammenhang sowohl mit der Gitterform, auf die Uccello in seinem perspektivischen Zeichnungen runde Gegenstände reduzierte, wie mit dem Fußbodenraster, das in Albertis Perspektivkonstruktion eine Schlüsselrolle spielt. Gegen diese These, die an verschiedensten Stellen suggestiv wiederholt wird, ist zu sagen, dass das Mittel der Bodenrasterung schon über ein Jahrhundert vor Alberti, beispielsweise bei den Brüdern Lorenzetti, eingesetzt wurde, wo Tiefe und Abstände kenntlich gemacht werden sollten. Uccellos Vorgehen entspricht der alten geometrischen Tradition, sich dem Kreis über Vielecke mit zunehmend größerer Eckenzahl anzunähern. Dieses Verfahren wurde unabhängig von der Tradition der Kartografie praktiziert. Edgerton schreibt, dass Raffael "dieselbe Idee eines Gitternetzes" wie sie Perugino in seiner Darstellung des Platzes der "Schlüsselübergabe" in der Sixtinischen Kapelle zeigte, "für die überirdische Szenerie seines Sposalizio" übernahm, um zu folgern: "am Ende des Jahrhunderts setzten die Künstler [...] als selbstverständlich voraus, dass das [sic] pavimento von Alberti sowie das Gitternetz von Ptolemäus sich dazu eigneten, nicht nur die Erde, sondern auch den heiligen Boden des Paradieses zu malen." (152). Das ist ein typisches Beispiel für Edgertons suggestive Art der "Beweisführung".
Im Mittelpunkt des 6. Kapitels steht eine Interpretation der Disputa Raffaels. Ausgangspunkt ist die Darstellung der Urania an der Decke der Stanza della Segnatura, in der sich die Muse über den Himmelsglobus beugt, der die kleine Kugel der Erde umschließt. In der Vorzeichnung hatte Raffael statt des Globus eine Armillarsphäre gezeichnet. Diese war nach Edgerton Basis der Anlage der Disputa. Die im Halbkreis angeordnete Gruppe der Heiligen soll Raffael dort platziert haben, wo sich im Sphärenmodell der Wendekreis des Krebses befindet. Den Engelsreigen darüber habe er dem nördlichem Polarkreis entsprechend eingesetzt. Edgerton erkennt darin zugleich einen Bezug auf Dantes Vision der Himmelsrose. Raffael "wusste (wie Dante), dass innerhalb des Polarkreises die Sonne sechs Monate im Jahr nicht unterging" (206): Aber die anderen sechs Monate ist es dunkel. Das kann wohl kaum das Vorbild für das von Dante beschriebene ewige Licht des Paradieses gewesen sein. Auch theologisch fragwürdige Äußerungen finden sich. Der Satz "Gott erscheint der Menschheit in Form der runden Hostie" trifft nicht die Theologie der Eucharistie. Dass die goldenen Kügelchen, die hinter dem Engelsreigen zu erkennen sind, "zweifellos als Ausdruck der Teilchennatur der göttlichen Substanz" zu verstehen sein sollen, werden Theologen wohl auch nicht hinnehmen. Die Disputa, so heißt es zusammenfassend, habe der Künstler "als Verherrlichung der Geometrie der Kugel gemalt [...], vielleicht sogar in geistiger Übereinstimmung mit Kopernikus, der in dieser Zeit in Bologna studierte." Spekulativ und suggestiv werden Befunde und Thesen so zurechtgerückt, dass sie zu passen scheinen.
Im Mittelpunkt des 7. Kapitels stehen Galileis Zeichnungen des von ihm mit dem Teleskop beobachteten Mondes. Edgerton vertritt die These, dass die künstlerische Tradition des Helldunkel Galilei in die Lage versetzt habe, das aus dem Schattenwurf zu erschließende Oberflächenrelief des Mondes genauer zu erfassen, als sein britischer Konkurrent Thomas Harriot. Das 8. Kapitel schließt an die beiden früheren Abschnitte über die technischen Darstellungen an und zeigt deren durch die Jesuiten vermittelte Rezeption in der ostasiatischen Illustration. Den Anfang macht eine Betrachtung der Evangelicae historiae imagines des Jesuiten Hieronymus Nadal (1593). Edgerton ist der Meinung, dass die Konzeption der Blätter, die neben der Hauptszene vorangehende, begleitende oder folgende Ereignisse zeigen, wobei jede Einzelszene oder wichtige Figuren und Gegenstände mit einem Buchstaben gekennzeichnet sind, mit denen auf die Erklärungen am unteren Bildrand verwiesen wird, sich am Vorbild der technischen Zeichnungen orientiert habe, doch findet man sie genauso in Flugblättern des 16. Jahrhundert. Ein Spezifikum technischer Zeichnungen ist es nicht.
Der Leser, der von dem vorliegenden Band aufgrund des Titels einen Abriss der Geschichte der Wechselbeziehungen zwischen Malerei und Geometrie erwartet hat, wird enttäuscht sein. Der Zusammenhang von künstlerischer Erfassung der Wirklichkeit und Wissenschaft wird vor allem in den Kapiteln zur technischen Illustration behandelt, doch eine grundsätzliche Erörterung, die auch auf die generelle Frage eines Wandels der Funktion von Bildern und ihres Verhältnisses zur Wirklichkeit einzugehen hätte, wird nicht geboten. Die Lektüre des Buches wird leider durch eine teilweise unbeholfene Übersetzung beeinträchtigt. Edgertons Terminologie der Perspektive ist auch in diesem Buch nicht gerade präzise. So wird nicht zwischen Fluchtpunkt und Hauptpunkt unterschieden. Im Englischen ist es wohl üblich für den Fachterminus vanishing point auch focus einzusetzen. Wenn im Deutschen aber dafür Brennpunkt eingesetzt wird, geht das an der geläufigen Perspektivterminologie vorbei. Als Einführung in die Geschichte der Perspektive ist das Buch nicht geeignet.
Anmerkung:
[1] David C. Lindberg: Augen und Licht im Mittelalter. Die Entwicklung der Optik von Alkindi bis Kepler, Frankfurt a. M. 1987.
Frank Büttner