Helmut Börsch-Supan: Bild-Erfindungen (= Karl Friedrich Schinkel. Lebenswerk; Bd. XX), München / Berlin: Deutscher Kunstverlag 2007, 701 S., ISBN 978-3-422-06672-4, EUR 168,00
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Das Werk, das Karl Friedrich Schinkel als Maler und Zeichner hinterlassen hat, war und ist dem kunstinteressierten Publikum nicht unbekannt, doch stand es stets im Schatten seines architektonischen Schaffens und wurde nicht entsprechend seiner Bedeutung, die es im Kontext der Kunst des frühen 19. Jahrhunderts hatte, gewürdigt. Helmut Börsch-Supan hat nun im Rahmen des von ihm zusammen mit Gottfried Riemann betreuten Korpus "Karl Friedrich Schinkel: Lebenswerk" einen opulenten Band vorgelegt, der erstmals eine Gesamtschau des malerischen und zeichnerischen Werkes von Schinkel bietet. Der Aufgabenstellung des Lebenswerk-Korpus entsprechend, ist die vorrangige Absicht des Buches die Erfassung des erhaltenen, dokumentierten oder quellenmäßig nachweisbaren Werkbestandes. Der Titel "Bild-Erfindungen" signalisiert bereits, dass hier nicht nur die Gemälde Schinkels aufgenommen wurden sondern auch Zeichnungen, die als "bildmäßig" charakterisiert werden können. Das Konzept des Bandes folgt damit demjenigen des Werkkataloges von Caspar David Friedrich, den Börsch-Supan auf der Grundlage der Vorarbeiten von Karl-Wilhelm Jähnig erarbeitet hat, ein seit seinem Erscheinen 1973 unentbehrliches Standardwerk über den Meister der romantischen Landschaft. Wie dort gibt es auch bei Schinkel Schwierigkeiten der Abgrenzung, weil "bildmäßig" ein dehnbarer Begriff ist. Vollständig aufgenommen wurden die Gemälde und alle "bildhaft angelegten" Zeichnungen, Guaschen und Aquarelle, Skizzen und Naturstudien hingegen nur dort, wo sie ausgeführten Werken zugeordnet werden konnten (sie erscheinen jeweils unter deren Katalognummer). Nicht aufgenommen wurden die Bühnenbildentwürfe, für die bereits ein eigener Band vorliegt (Ulrike Harten und Helmut Börsch-Supan, Die Bühnenentwürfe (Karl Friedrich Schinkel: Lebenswerk, Bd. 17), München [u.a.] 2000). Die Druckgrafik wird in einem eigenen Katalogabschnitt aufgeführt, was nicht ganz einsehbar ist, weil die Blätter oft strichgenau vorliegende Zeichnungen wiedergeben und mithin auch ganz unproblematisch in den Hauptkatalog eingereiht werden könnten. Ebenfalls in einem eigenen Katalogteil werden die von Schinkel entworfenen Dioramen behandelt. Die Arbeiten Schinkels für dieses um 1800 hochaktuelle Medium werden hier dank ausführlicher Quellenrecherchen erstmals in ihrem bemerkenswerten Umfang deutlich. Ein besonderes und gerade für einen Architekten zentrales Feld "bildmäßiger" Darstellungen sind die in der vitruvianischen Tradition als "Scaenographia" bezeichneten perspektivischen Ansichten eigener Architekturentwürfe. Von ihnen ist nur Einzelnes aufgenommen worden, z.B. der frühe Museumsentwurf (Nr. 58), die Ansicht von Schloss Köstritz (Nr. 79) oder das Schauspielhaus am Gendarmenmarkt (Nr. 270/271). Das meiste findet sich in einer Liste am Schluss des Bandes, mit der auf Publikation und Abbildung derartiger Zeichnungen an anderem Ort verwiesen wird.
Der Katalog ist konsequent chronologisch geordnet, wodurch gelegentlich Zusammengehöriges getrennt wird (z.B. das Gemälde "Schloss am Strom" von 1820 Nr. 274 und die zugehörigen Zeichnungen Nr. 243/244). Zuweilen lässt die Anordnung sehr Unterschiedliches aufeinanderfolgen, doch insgesamt werden so die Entwicklung und die erstaunliche Breite der künstlerischen Produktion Schinkels anschaulich. Die Katalogeinträge informieren mit aller wünschenswerten Genauigkeit über die Entstehungsgeschichte der einzelnen Werke und bieten vielfach ausführliche Zitate aus den Quellen zur Entstehungs- und frühen Rezeptionsgeschichte. Dem schließen sich genaue, ins Detail gehende Bildbeschreibungen an, die einzelne Hinweise zur Deutung geben, wobei insgesamt auffällt, dass sich der Autor im Gegensatz zu seinem Katalog der Werke Caspar David Friedrichs sehr mit eigenen Deutungen zurückhält. Die Katalogtexte werden für die Hauptwerke wie "Blick in Griechenlands Blüte" (Nr. 286), die Entwürfe für die Museumsfresken (Nr. 296) oder die Weimarer Goethe-Galerie (Nr. 328) zu kleinen Monografien, die sich allerdings kaum mit vorausgegangenen Interpretationen auseinandersetzen. An die Stelle einer eigenen Deutung treten zumeist lange Zitate aus zeitgenössischen Quellen.
Dem Katalog ist ein gut 110 Seiten langer Text vorangestellt, der mit einem erschöpfenden Forschungsbericht beginnt, welcher die Rezeptionsgeschichte des malerischen Œuvres von Schinkel nachzeichnet. Dem Verfasser ist es sehr wichtig zu betonen, dass es, auch wenn Schinkel aufgrund der wachsenden Aufgabenlast, die er seit 1815 als Architekt zu bewältigen hatte und die Malerei zunehmend zu einer Nebenbeschäftigung werden ließ, eine Kontinuität in seinem "Bilddenken" gibt, die zum einem in seiner Naturbegeisterung gründet, zum anderen in seiner Kunstauffassung, die im Symbolischen einen entscheidenden Wesenszug des Kunstwerks sieht. Börsch-Supan zitiert als Beleg eine Passage aus den von Wolzogen unter dem Titel "Gedanken und Bemerkungen über Kunst im Allgemeinen" publizierten Aufzeichnungen, die eine eingehendere Interpretation im Kontext der Kunstanschauungen um 1800 verdient hätten. Das zentrale Kapitel des Einleitungstextes, "Die Entwicklung des Bilddenkens" überschrieben, kann als Werkbiografie charakterisiert werden. Schritt für Schritt wird das bildnerische Schaffen Schinkels und dessen entscheidende Wendepunkte vorgestellt: Der Einfluss Friedrich Gillys, die erste Italienreise, die Blütezeit des als "romantisch" zu charakterisierenden bildnerischen Schaffens um 1810, der Austausch mit Goethe und die krisenhafte Spätzeit, in der Schinkel mit den Museumsfresken seinen größten und anspruchsvollsten Bildzyklus konzipierte. Ein kürzeres Kapitel über die Bildgegenstände Schinkels stellt die von diesem bevorzugten Motive, insbesondere die Landschaftsmotive, vor und berührt - allerdings mehr kursorisch - Motive der profanen und christlichen Ikonografie in seinem Werk. Ein eigenes Kapitel ist den Zeichenstilen gewidmet. Hier geht es um Differenzierung verschiedener von Schinkel eingesetzter Zeichenweisen, für die charakterisierende Begriffe wie Aquatinta-Stil, Kupferstich-Stil, minutiöser Bleistift-Stil etc. vorgeschlagen werden.
Leser, die von dem mit dem Begriff "Bilddenken" überschriebenen Kapitel eine eingehende Analyse der Bildauffassung Schinkels, insbesondere eine Charakterisierung seiner Auffassung der Landschaftsmalerei erwartet haben, werden enttäuscht sein, weil ihnen nur knappe Hinweise gegeben werden. Hier wäre es lohnend gewesen, tiefer zu graben und beispielsweise nach Schinkels Verhältnis zu den in der Gattungsgeschichte vorgegebenen Formen der Landschaftsmalerei, der idealen oder heroischen Landschaft wie der "naturalistischen" niederländischen Landschaft zu fragen, für die exemplarisch Claude Lorrain und Jacob van Ruisdael stehen. In beiden Sparten hat Schinkel sich versucht, um dann einen eigenen Weg zu gehen, von dem Waagen schreibt: "Ungleich bedeutender als in den Landschaften, welche den obigen beiden Richtungen angehören, erscheint Schinkel in einer anderen höchst eigenthümlichen Gattung, welche er, wo nicht erfunden, so doch zuerst auf eine geistreiche Weise in einem hohen Grade ausgebildet hat. Dieselbe unterscheidet sich wesentlich dadurch von allen bisher bekannten Arten der Landschaftsmalerei, dass sie uns das vollständige und getreue Bild der Natur und der Zustände von Kunst und Leben der verschiedensten Gegenden und Zeiten unseres Erdballs [...] zur Anschauung bringt." Der erste Typus ist von Schinkels Zeitgenossen, auch von Goethe, als Prospektmalerei bezeichnet worden. Für die zweite Form prägte Waagen den Begriff "historische Landschaftsmalerei", mit dem eine in der Tat neue, als romantisch zu bezeichnende Auffassung des Landschaftsbildes erfasst werden kann. Es wäre zu fragen, wie Schinkel diese beiden Arten der Landschaftsmalerei aufgegriffen und auf seine Weise weiterentwickelt hat. Das neue Feld der "historischen Landschaft" hat Schinkel nicht allein bestellt - auf Karl Philipp Fohr wäre in diesem Zusammenhang beispielsweise hinzuweisen -, doch er ist darin wirklich zu ganz eigenen Lösungen gekommen. Untrennbar mit dem Konzept der historischen Landschaft verbunden ist die Frage nach dem damit vermittelten Kulturbegriff und den implizit enthaltenen Beziehungen zur Gegenwart. Dazu ist natürlich schon manches in der Forschungsliteratur, insbesondere zum "Blick in Griechenlands Blüte" gesagt worden, aber eine kontextualisierende Zusammenfassung von Schinkels Anschauungen im Hinblick auf diesen zentralen Bereich seines Œuvres wäre sehr wünschenswert gewesen. Für seine Prospektmalerei wäre als ein Spezifikum die Vorliebe für das Panorama, das Bild mit extrem weitem Blickwinkel anzuführen, das im Gegensatz zur klassischen Landschaftskomposition keine seitlichen Begrenzungen kennt. Von hier aus würde sich auch die Frage nach seiner Beziehung zur zeitgenössischen "ästhetischen Geografie", der neu entstehenden Geomorphologie stellen, auf die Pia Müller-Tamm im Zusammenhang mit Rumohr hingewiesen hat. [1] In Verbindung mit der Prospektmalerei stellt sich auch die Frage, ob es bei Schinkel einen spezifischen Bildtypus der "Baudokumentation" gibt, den er bei der Bestandsaufnahme historischer Bauten einsetzt, ob er sich hier an das Vorbild von Gillys Marienburg-Darstellungen hält oder eigene Wege geht. Eine andere Frage wäre, ob bei seinen szenografischen Darstellungen eigener Architekturentwürfe eine Wechselwirkung mit seinen Formen der Landschaftsmalerei zu registrieren ist. Mit dem hier vorgelegten Katalog des Bildschaffens von Schinkel, der eine solide Basis für alle weitere Forschung ist, ein Standardwerk, an dem zukünftig niemand wird vorbeigehen dürfen, können diese weiterführenden Fragen angegangen werden.
Anmerkung:
[1] Pia Müller-Tamm: Rumohrs "Haushalt der Kunst". Zu einem kunsttheoretischen Werk der Goethe-Zeit, Hildesheim 1991.
Frank Büttner