David Jaffé / Elizabeth McGrath / Minna Moore Ede: Rubens. A Master in the Making, London: National Gallery Company 2005, 208 S., ISBN 978-1-8570937-1-1, GBP 25,00
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Ein Jahr nachdem die großen Rubensausstellungen in Lille, Braunschweig und Wien (und zahlreiche kleinere) abgelaufen waren, bot die National Gallery in London mit "Rubens. A Master in the Making" eine weitere Schau zum Werk des Flamen. Im Zentrum stand das frühe Œuvre des Malers von den Anfängen bis zu seiner Etablierung um 1615. Rubens' Frühwerk lässt nur bedingt etwas von dem erahnen, was seinen späten Malstil ausmacht, und kaum jemand wird ihn allein wegen seiner frühen Bilder schätzen. Sie wirken sehr steif und bemüht in Komposition und Farbauftrag - man sieht das Ringen des jungen Künstlers um eine eigene Sprache. Gerade dies war der gelungene Aufhänger von David Jaffés Ausstellung: Sie wollte nicht Rubens' Ruf als 'Apelles seines Jahrhunderts' rechtfertigen, sondern sein gezieltes und konzentriertes Erarbeiten eines eigenen und unverwechselbaren Stils aufzeigen, den der Künstler bereits 1603 selbstbewusst in einem Brief für sich in Anspruch nahm. [1]
Dem Katalog sind drei Beiträge vorangestellt. Einer biografisch ausgerichteten Einführung in Rubens' Frühzeit (D. Jaffé mit M. Moore Ede, 11-20) folgt eine knappe Zusammenfassung des Forschungsstandes (D. Jaffé mit A. Bradley, 21-27) zu Rubens' so genanntem theoretischen Skizzenbuch, anhand dessen beispielhaft das Kopieren von Motiven anderer Künstler als Ausgangspunkt des eigenen kreativen Schaffensprozesses des Malers vorgeführt wird. [2] Der Beitrag bereitet insofern die Grundlage für den Katalog, als mustergültig nachvollziehbar wird, wie Rubens ein Motiv auswählt, variiert und erprobt, bevor er es malerisch umsetzt. Das Skizzenbuch steht auch im Zentrum von Elizabeth McGraths Beitrag "Words and Thoughts in Rubens' Early Drawings" (29-37). Die Autorin zeigt auf, dass die in den Zeichnungen eingestreuten Worte Rubens' Notizen zu Ikonografie oder Komposition des Motivs sind. Auf diese Weise interpretiert, beschreibt das auf einer Zeichnung aus Edinburgh (Kat. 16) notierte "Leander natens Cupidine praevio" nicht, wie bislang fälschlich angenommen, das Bildmotiv der Zeichnung, auf der sich weder Leander noch Cupido finden lassen. McGrath vermutet vielmehr überzeugend, dass Rubens zuerst die Neriden im Sturm zeichnete und mit der Notiz das Motiv weiterdachte, das schließlich im Gemälde in New Haven (Kat. 17) umgesetzt wurde.
Der Katalog gliedert sich in sechs Teile, deren Überschriften unterschiedliche Aspekte des künstlerischen Schaffens oder bestimmte biografische Abschnitte benennen, ohne dabei eine strikte Chronologie einzuhalten. Alle Abschnitte sind mit einer kurzen Einleitung versehen, die die Überschrift erläutert und das Thema in Beziehung zu Rubens' Werk setzt. Dabei ist der Titel des ersten Abschnitts "Early Ambitions as a Battle Painter" irreführend, da die unter dieser Überschrift versammelten Werke keinesfalls nur Schlachtenszenen darstellen. Vielmehr zeigt Jaffé, wie sich der junge Rubens durch Kopieren ein Formen- und Kompositionsvokabular erarbeitete.
Einige Werke scheinen darüber hinaus willkürlich zugeordnet. So findet man Rubens' Zeichnung nach Michelangelos Schlacht der Kentauren und Lapithen (um 1600) und eine freie Zeichnung nach Leonardos Kampf um die Standarte (1605-1610) in dem mit "Reworking of Rome" überschriebenen Abschnitt, in dessen Einleitung die Bedeutung von Rubens' Antikenrezeption herausgestrichen wird. Zugleich firmiert eine Kreidestudie der Skulptur eines von einem Putto gezähmten Kentauren (Köln, Kat. 83), dessen durchgedrückter und leicht nach rechts geneigter Oberkörper ganz klar das Vorbild für den gemarterten Körper Christi in Ecce Homo (St. Petersburg, Kat. 84) gab, im letzten Abschnitt "Back to Antwerp". Da sich die meisten Werke gegen eine eindeutige inhaltliche und / oder formale Zuordnung sperren, fällt die gezielte Suche nach einzelnen Werken schwer. Zugleich unterstreicht dieses Problem die Vielschichtigkeit von Rubens' künstlerischen Grundlagen wie die des ambitionierten Ausstellungskonzeptes.
Dem Kurator David Jaffé kommt das Verdienst zu, seit Langem einige der weniger bekannten, weil in kleinen oder abgelegenen Sammlungen aufbewahrten Gemälde, etwa Demokrit und Heraklit (Valladolid, Kat. 18) oder Aeneas führt die Trojaner ins Exil (ausgestellt in Fontainebleau, Kat. 8) und das Martyrium der Hl. Ursula (Mantua, Kat. 3) zusammenzubringen. [3] Das möglicherweise spektakulärste Werk stellte eine kürzlich Rubens' Frühwerk zugesprochene Amazonenschlacht (Privatbesitz, Kat. 4) dar. Sie dürfte wie andere umstrittene Werke aus der Jugend des Malers die Fragen um Kriterien der Zuschreibung wieder anfachen.
Erstaunlich ist nicht nur die Fülle an systematisch zusammengetragenem Material zu den frühen Jahren von Rubens' Schaffen. Die von Jaffé versammelten Werke nötigen dem Betrachter trotz manch kruder Ausführung Bewunderung ab, weil sie vor allem im fünften Kapitel "Sequences: Building a Composition" eindrücklich belegen, mit wie viel Flexibilität und Geist Rubens ein Motiv variierte oder gleiche Motive in unterschiedlichen Zusammenhängen neu einsetzte. Als dankbarstes Beispiel führt der Katalog eine ganze Herde von steigenden, buckelnden oder stürzenden Pferden vor, die sich immer wieder in den Bildern wiederfinden.
Der Katalog bildet die ausgestellten Werke durchgehend vierfarbig ab und ergänzt sie um ein oder sogar mehrere Vergleichsbeispiele. Dem Leser eröffnet sich damit die Möglichkeit, etwa die ausgestellte Leda und der Schwan (Cambridge, M.A., Kat. 30) mit der auf der gegenüberliegenden Seite abgebildeten Version eines Nachfolgers Michelangelos (London) und mit Rubens' anderer Fassung aus Dresden zu vergleichen. Allerdings ist nicht immer sofort ersichtlich, welches der wiedergegebenen Kunstwerke nun tatsächlich in der Ausstellung zu sehen war. Die große Anzahl von abgebildeten Vergleichsbeispielen und Detailausschnitten trägt leider zur Unübersichtlichkeit des Katalogs bei.
Bei dem Band handelt es sich um einen opulenten Katalog, dessen gewissenhafte wissenschaftliche Aufbereitung Erkenntnis und Anstoß zu weiterer Forschung bietet. Dem postulierten Anspruch, dem Künstler zuzusehen, wie er sein künstlerisches Vokabular erlernt und anwendet, wird der Katalog überwiegend gerecht. Leider leidet die inhaltliche Kohärenz der Argumentation unter der Gruppierung der Werke in nicht konsequent durchdachte Abschnitte, die einerseits willkürlich gewählt sind, sich aber andererseits nicht ganz von einer chronologischen Ordnung frei machen. Innerhalb der Kapitel ergeben sich zwar spannende Einsichten, jedoch ist die Gesamtdarstellung der unterschiedlichen Facetten von Rubens' Lernen nicht immer stringent.
Anmerkungen:
[1] Vgl. Rubens' Brief vom 24. Mai 1603 an Annibale Chieppio: "mia [mano] [...] avendo avuto sempre per raccomandato il confondermi con nessuno qual si voglia grand un huomo", in: M. Rooses / C. Ruelens (Hg.): Codex Diplomaticus Rubenianus. Correspondance de Rubens et documents epistolaires concernant sa vie et ses œuvres, 6 Bde., Antwerpen 1887-1909, Bd. 1, 145 f.
[2] Grundlegend bleibt Arnout Balis: Rubens und Inventio. Der Beitrag seines theoretischen Studienbuches, in: U. Heinen / A. Thielemann (Hg.): Rubens Passioni. Kultur der Leidenschaften, Göttingen 2001, 11-40; s. hierzu die Rezension von Sibylle Appuhn-Radtke, in: sehepunkte 3 (2003), Nr. 1, URL: http://www.sehepunkte.de/2003/01/3440.html.
[3] Ein Großteil der ausgestellten Werke war 1977 in der Ausstellung "Peter Paul Rubens (1577-1640)" im Wallraf-Richartz Museum in Köln zu sehen.
Eveliina Juntunen