Caecilie Weissert: Die kunstreichste Kunst der Künste. Zur niederländischen Malerei im 16. Jahrhundert, München: Hirmer 2011, 256 S., 270 Farbabb., ISBN 978-3-7774-3631-9, EUR 69,00
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Die öffentliche Wahrnehmung der Kunst des 16. Jahrhunderts, insbesondere der Malerei, wird beherrscht von der italienischen Quadriga aus Leonardo, Michelangelo, Tizian und Raffael. Selbst unter Kunsthistorikern herrscht diese Wahrnehmung fort, vielleicht noch ergänzt um die deutsche Malerei von Dürer und Cranach. Die Malerei der Niederlande im 16. Jahrhundert können jedoch nur wenige in Künstlernamen fassen. Dies liegt zum einen daran, dass die Künste der Niederlande bis heute generell mehr als Materie für Spezialisten denn als kanonisch gelten, zum anderen aber auch an den vielfältigen, lange als eklektizistisch bewerteten Erscheinungsformen dieser Kunst. Insofern ist es sehr zu begrüßen, dass eine Monografie erschienen ist, die genau diesen blinden Fleck zum Thema hat und erstmals einen Überblick über Teile dieses Gebiets zusammenstellt.
Der Band, der aus der Habilitationsschrift von Caecilie Weissert an der Universität Stuttgart hervorging, ist opulent aufgemacht. Großformatig und konservativ in grobes Leinen gebunden bietet er durchgehend Vierfarbendruck. Das großzügige Layout präsentiert die Werke, selbst druckgrafische Blätter, meist halbseitig, Gemälde oft auf der ganzen Seite, der Text ist in Rot und Schwarz gesetzt. Unter den ganzseitig abgebildeten Werken finden sich allerdings auch solche wie eine Madonna Raffaels, die weder aus argumentativen Gründen noch wegen der Bedeutung für die dargestellte Kunst eine solche Größe nötig gehabt hätten. Die Vermutung, dass die bildliche Ausstattung über die Argumentation hinaus geht und Werke um der Werke willen abbildet, wird sich im Folgenden erhärten.
Die Arbeit gliedert sich neben der Einleitung und einem Epilog in vier Teile, die jeweils durch ein eigenes, ganzseitiges Titelblatt voneinander abgesetzt sind und in unterschiedlicher Länge und inhaltlicher Tiefe daherkommen. Der erste Teil schildert die Niederlande aus der Sicht der Zeitgenossen, als deren Gewährsmann vor allem Lodovico Guicciardini zu Wort kommt. [1] Seine Beschreibung der Niederlande, die einen Einblick gibt in die politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Bedingungen, aus denen die Künste im 16. Jahrhundert hervorgingen, liefert die Grundlage für eine wunderbar lesbare Einführung in die Zusammenhänge des historischen Hintergrunds. In einem anschließenden, wenn auch knapp gefassten und zeitweise etwas selektiv anmutenden Überblick referiert die Autorin die Rezeption der niederländischen Malerei des 16. Jahrhunderts und Facetten ihrer Forschungsgeschichte.
Im zweiten Teil unternimmt Weissert den Versuch, den Beitrag der Niederlande zur Kunst der frühen Neuzeit zu skizzieren, den sie zum einen in der engen Verbindung von Malerei mit dem Theater und der Bühne sieht, zum anderen in der engen Verknüpfung zwischen Malerei und ihrer Verbreitung durch die Druckgrafik. In der Tiefe der inhaltlichen Auseinandersetzung unterscheidet sich dieser Teil deutlich vom ersten. Hier wird die Autorin sehr speziell, zitiert aus zeitgenössischen Theaterstücken und deren Deutungen und stellt Bezüge her zu Kompositionsformen zeitgenössischer Gemälde und ihren Erzählstrukturen. Die Grundlage dieser Parallelen zwischen den Künsten Malerei und Dichtung bildete die bereits im 15. Jahrhundert erfolgte Verbindung der Antwerpener Lukasgilde mit denen der Rederijkers, deren Organisation und Bestreben die Autorin ausführlich beschreibt. Ziel der Bestrebungen war, das nationale Selbstbild durch Rückgriff auf die eigene Geschichte und den Bezug zur Antike zu formen. Dazu konnte insbesondere die Malerei mit ihren besonderen medialen Eigenschaften dienen. Auf diese Weise diene die Malerei wie die Dichtung der Erziehung des Menschen und erweise sich als freie Kunst.
Der dritte Teil ist den "Malern in Bild und Wort" (93) gewidmet und führt zu Beginn die lange Reihe niederländischer Gemälde seit dem frühen 15. Jahrhundert an, in denen die Malerei als künstlerisches Medium und die Arbeit des Künstlers implizit wie explizit thematisiert werden. Ausgehend von den Lukas-Darstellungen Rogier van der Weydens, Jan Gossaerts und Maarten van Heemskercks bis zu Frans Floris' Fassung stellt die Autorin Gedanken und Positionen zu Fragen der Kunsttheorie vor. Den hohen Grad an künstlerischer Selbstreflexion, nicht nur mit Blick auf den Status der Malerei als freier Kunst, sondern bezüglich ihres Leistungsvermögens, thematisieren ebenfalls Fassaden von Künstlerhäusern und Selbstbildnisse oder Porträts von Künstlern, die Weissert im Folgenden anführt. Mangels theoretischer Texte aus den Niederlanden zitiert sie immer wieder antike und italienische Literatur, ohne dies jedoch zu problematisieren. So findet sich beispielsweise in einer Passage zu Künstlerbildnissen (119-128) mehrfach der Verweis auf Giovanni Paolo Lomazzos Traktat von 1584 [2], der zum Entstehungszeitpunkt der Werke noch gar nicht geschrieben war. Die formulierte Erkenntnis, dass "das Selbstporträt neben dem Berufsbild zu einem zentralen Ort zur Formulierung neuer Ideen und Vorstellungen von Beruf und Aufgaben des Malers" wurde (140), ist so neu nicht, sondern kann als common sense in der Forschung gelten. [3]
Im letzten Kapitel geht es um frühneuzeitliche Sammler und Sammlungsgeschichte. Da die erhaltenen Dokumente umfassend bearbeitet sind, präsentiert Weissert die Ergebnisse der Forschung und stellt Überlegungen zu Ordnung und Aufstellung der Objekte an. Bezeichnend für die Bebilderung des Bandes ist, dass die kompletten grafischen Folgen nach den Floris-Werken für den Sammler Nicolaes Jongelinck abgedruckt sind (17) sowie sieben (der ursprünglich 16) Bilder Pieter Bruegels d.Ä. (173-188), ohne dass jedoch argumentativ Bezug darauf genommen würde. Sie dienen lediglich einer Illustration dessen, was in der wohl bedeutendsten Privatsammlung in Antwerpen der Zeit zusammengetragen war. Angehängt ist eine Beschreibung, die den Beitrag der Druckgrafik zur Blüte der Malerei im Antwerpen des 16. Jahrhunderts im Besonderen und ihre Bedeutung für den künstlerischen Austausch in Europa im Allgemeinen skizziert.
Die Arbeit ist kein Buch für Fachwissenschaftler, auch wenn es die eine oder andere Trouvaille enthält. Wahrscheinlich daher sind einige Aspekte der Arbeit mit einem großen Anteil wörtlicher Übernahmen in Aufsatzform publiziert. Insgesamt jedoch sind die Kapitel resümierend, greifen etablierte Werke und Meinungen auf und bringen kaum Neues innerhalb der thematisierten Aspekte. Das Buch ist also weder reine Forschungsliteratur, noch ist es eine Einführung und schon gar kein Überblick über die Malerei des 16. Jahrhundert in den Niederlanden, wie ärgerlicherweise durch den Untertitel und nicht zuletzt durch die aufwendige Ausstattung nahegelegt wird. Doch wird das Buch einen größeren Kreis an Lesern mit einigen zentralen Aspekten der Kunst der so lange zu Unrecht im Schatten ihrer italienischen Kollegen stehenden Niederländer vertraut machen, wie einige der fulminanten Abbildungen belegen.
Anmerkungen:
[1] Lodovico Guicciardini: Descrittione di tutti i paesi bassi, altrimenti detti Germania Inferiore, Antwerpen 1567.
[2] Giovanni Paolo Lomazzo: Trattato dell' Arte della Pittura, Mailand 1584.
[3] Zirka Zaremba Filipczak: Picturing Art in Antwerp 1550-1700, Princeton 1987 stellt eine der frühesten Studien in diesem Bereich dar.
Eveliina Juntunen