Werner Paravicini / Jan Hirschbiegel / Jörg Wettlaufer (Hgg.): Höfe und Residenzen im spätmittelalterlichen Reich. Bilder und Begriffe (= Residenzenforschung; Bd. 15.I / 15.II), Ostfildern: Thorbecke 2005, 2 Bde., XVI + 562 S. + 264 S., ISBN 978-3-7995-4519-8, EUR 140,00
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Werner Paravicini (Hg.): Höfe und Residenzen im spätmittelalterlichen Reich. Hof und Schrift. Bearb. von Jan Hirschbiegel und Jörg Wettlaufer, Ostfildern: Thorbecke 2007
Anzuzeigen ist eine wichtige Veröffentlichung der Residenzen-Kommission der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen, die unmittelbar an den 2003 erschienenen Band 15. I (Dynastien und Höfe, Residenzen) anschließt, ihn ergänzt und erweitert. [1]
Im ersten Teilband des vorliegenden Handbuches werden insgesamt 174 Beiträge (Artikel und Stichworte) geboten, die sich mit den verschiedenen Funktionen beschäftigen, die Höfe und Residenzen zu erfüllen hatten: Versorgung, Sicherheit, Repräsentation, Integration und Kommunikation, Administration. Vorgestellt werden in dem Band "Begriffe" und Begriffsfelder aus dem Umfeld an oder in Residenzen, die einen ersten Einblick in die höfischen Lebensbedingungen geben. Die Artikel im ersten Teilband sind über ein Verweissystem mit dem zweiten Teilband, in dem 440 Bilder - davon 152 Farbtafeln - dargeboten werden, verbunden.
Den ersten Teilband leiten drei Dachartikel ein, die in das weite Themenfeld Hof und Residenz, Alltag und Versorgung, Ordnungsformen und Vergesellschaftung der Menschen an den Höfen einführen. Oliver Auge und Karl-Heinz Spieß heben in ihrem Artikel über "Hof und Herrscher" ganz zu Recht die Bedeutung der Herrscher für den Hof hervor, denn der "Hof ist in seiner Organisation, Struktur, Lokalität, zeitlichen Erstreckung ganz auf die Bedürfnisse des Herrschers zugeschnitten" (4). Höfe waren "individuelle Gebilde mit allenfalls ganz allgemeinen Charakteristika" (14), die sich bislang hartnäckig allen Versuchen widersetzt haben, sie in wissenschaftliche Idealtypen zu pressen. Die beiden Autoren unternehmen zu recht keinen weiteren Versuch in dieser Richtung, sondern liefern eine sehr dichte Beschreibung der sehr unterschiedlichen Funktionen von Höfen und den an Höfen gepflegten Interaktionsformen zwischen dem Herrscher und den Hofleuten bzw. den Höflingen untereinander. Sie alle waren eingebunden in ein immer wieder neu auszutarierendes System des wechselseitigen Gebens und Nehmens von realem, symbolischem und sozialem Kapital.
Höfe konnten jedoch allein als Kommunikationsgemeinschaften nicht existieren, sie benötigten einen konkreten Ort und Gebäude, in denen sich das Hofleben mit all seinen Facetten abspielen konnte. Mit diesen Gebäuden, vor allem natürlich mit "Burg und Schloss" beschäftigt sich im zweiten Dachartikel Jens Friedhoff. Mit dem Blick auf die Architektur der Burg- und Schlossbauten zeichnet Friedhoff die durch den Wandel von Funktionen und (steigenden) Ansprüchen an das Wohnen motivierten Bauphasen nach. So ist nach 1450 ein Rückgang der Wehrhaftigkeit der Burgen zugunsten von mehr "Wohnqualität" zu erkennen (18), an der Wende vom 15. zum 16. Jahrhundert vollzog sich der Übergang von der spätmittelalterlichen Burg zum frühneuzeitlichen Schloss (20), das im 16. Jahrhundert durch die Rezeption von Dekorationsformen aus Italien und das "Bemühen um eine vereinheitlichte Gesamtgestaltung des Baukörpers" (22) weiter ausgebaut wurde. Im engen Zusammenhang mit dem Übergang von der Burg zum Schloss steht die engere Anbindung der (fürstlichen) Hofhaltungen in den Residenzschlössern an Städte. Andreas Ranft lenkt in dem dritten Dachartikel deshalb den Blick auf den Zusammenhang von "Residenz und Stadt". Er betont, dass die Fürsten auf die Infrastruktur und die weiteren Ressourcen der Städte angewiesen waren, um eine ihrem Stand angemessene Hofhaltung und Repräsentation (Feste, Turniere) aufrechterhalten zu können. Für die jeweilige Residenzstadt hatte das ambivalente Folgen: zum einen profitierten Handel, Handwerk und Gewerbe von dem Bedarf des Hofes und der Hofleute an Waren und Dienstleistungen aller Art, zum anderen entzündeten sich immer wieder Konflikte an der Divergenz von fürstlichem Dominanzanspruch und städtischem Autonomiebestreben (29). Das Zusammenwirken von Hof, Schoss (Residenz) und Stadt brachte schließlich einen "urbanen Sondertyp - die Residenzstadt" (30) hervor.
Die drei hier ausführlicher vorgestellten Einleitungsartikel stecken den Rahmen ab, der von den weiteren Artikeln und Stichworten weiter ausgefüllt wird. Die Artikel in dem Handbuch sind unter drei Großrubriken zusammengefasst: A. Versorgung und Administration, B. Repräsentation und Legitimation, C. Integration und Kommunikation. Die Großrubriken sind jeweils noch zweimal unterteilt, wie z. B. "A. Versorgung und Administration", darunter dann die Kategorie "Unterkunft", die wiederum unterteilt ist in die Themen "Wohnraum", "Mobiliar", "Versorgungsgebäude und Einrichtungen" mit je eigenen weiteren Untergliederungen. Unter jedem Artikel findet man Verweise 1. auf die zu diesem Text gehörenden Bilder im zweiten Teilband, 2. auf thematisch verwandte Bilder und 3. auf thematisch verwandte Artikel und Stichwörter. Durch den alphabetischen Index der Begriff lässt sich der Inhalt des Handbuches - von "Ahnengalerie" über "Drechseln", "Hofgelehrte" und "Kamine" bis zu "Zwerge, Reisen, Mohren" schnell erschließen.
Die Anordnung und Gliederung des Stoffes und die Handreichungen für die Benutzer, um die Informationen der Texte und Bilder verknüpfen zu können, sind gelungen. Die Auswahl der Stichworte / Artikel wird dem Anliegen des Bandes vollauf gerecht. Wenn man die Texte liest und die zugehörigen Bilder betrachtet, bekommt man einen sehr guten Eindruck von der vergangenen Lebenswelt an den Höfen und in den Residenzen.
Das Konzept, die Texte und Bilder in den beiden Teilbänden des Handbuches zusammenzubinden, ist alles in allem gut ausgeführt worden. Schade ist jedoch, dass - vermutlich wegen des engen finanziellen Rahmens - oft zwei Bilder auf einer Seite stehen (müssen). Dadurch leiden die Wirkung und die Aussagekraft von einigen Farbtafeln und (Schwarz-Weiß-)Abbildungen im zweiten Teilband, denn Details, auf die es gerade ankommt, sind nicht bzw. nur schlecht zu erkennen. Das gilt vor allem für Pläne und Stadtansichten, aber auch für weitere Abbildungen, wie z. B. die Farbtafel 4: Blick in den großen Saal des Hradschin oder Farbtafel 79: Jagd vor Schloss Torgau 1544 (der Bildausschnitt ist jeweils so klein, dass sich das dargestellte Geschehen nur erahnen lässt), Abb. 57: Bankett im 'Verzauberten Gemach' in Binche, Abb. 72: die wandfeste Bank mit Rückenlaken; Abb. 149: Die Ahnenreihe des Hauses Brabant ist ohne Vergrößerungsglas nicht zu erkennen.
Dagegen ist die Leistung des Herausgebers, der Bearbeiter und der rund achtzig Beiträger hoch zu bewerten. Das vorliegende Werk wird gemeinsam mit seinem Vorgänger und den geplanten Nachfolgern ein Standardwerk werden. In seinem Vorwort hat der Herausgeber, Werner Paravicini, den Rezensenten ein Angebot für ein Fazit gemacht, das ich gerne annehme: "Vergleichbares, das Hof und Residenz, Topographie und Soziographie, Dauerndes und Ephemeres, Text und Bild derart vereinte, gibt es ohnehin nicht, nirgends" (XIII).
Anmerkung:
[1] Werner Paravicini (Hg.): Höfe und Residenzen im spätmittelalterlichen Reich. Ein dynastisch-topographisches Handbuch. Teilband 1: Dynastien und Höfe, Teilband 2: Residenzen (= Residenzenforschung, Bd. 15. I), Ostfildern 2003.
Jörg Rogge