Rezension über:

Ursula Machoczek (Bearb.): Der Reichstag zu Augsburg 1547/48 (= Deutsche Reichstagsakten unter Kaiser Karl V. Jüngere Reihe; Bd. 18), München: Oldenbourg 2006, 3 Bde., 2760 S., ISBN 978-3-486-57820-1, EUR 328,00
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Rezension von:
Anja Kürbis
Historisches Seminar, Goethe-Universität, Frankfurt/M.
Redaktionelle Betreuung:
Michael Kaiser
Empfohlene Zitierweise:
Anja Kürbis: Rezension von: Ursula Machoczek (Bearb.): Der Reichstag zu Augsburg 1547/48, München: Oldenbourg 2006, in: sehepunkte 7 (2007), Nr. 4 [15.04.2007], URL: https://www.sehepunkte.de
/2007/04/12236.html


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Forum:
Diese Rezension ist Teil des Forums "Karl V. und die Politik seiner Zeit" in Ausgabe 7 (2007), Nr. 4

Ursula Machoczek (Bearb.): Der Reichstag zu Augsburg 1547/48

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Vor gut 35 Jahren beklagte Horst Rabe in seiner Monografie über den Augsburger Reichstag 1547/48 das Desinteresse der Reformationsgeschichtsforschung für den Zeitraum nach 1530. "Bescheiden" sei sowohl die historiografische Bearbeitung jenes richtungsweisenden Reichstages als auch die Kenntnis der einschlägigen Quellenbestände. [1] Dass sich dies in den letzten Jahren erheblich geändert hat, ist zuallererst Horst Rabe selbst zu verdanken, der mit seiner Habilitationsschrift und nachfolgenden Studien dem Reichstag 1547/48 die ihm gebührende Aufmerksamkeit verschafft hat. Sowohl die Forschungen zur politischen und Verfassungsgeschichte des Reiches als auch zur Geschichte der Konfessionen und der Religionspolitik im Reich haben jenen Reichstag in seiner anachronistischen Überzeichnung für ihre vielfältigen Fragestellungen entdeckt. Dafür steht insbesondere das Scheitern der kaiserlichen Bemühungen um eine universalmonarchisch inspirierte Neustrukturierung des Reiches im Reichsbund und die interimistische Regelung der Religionsfrage im Sinne der sakralen Kaiseridee. Die Ambivalenz der Politik und Verhandlungstaktik Karls V. gegenüber den Reichsständen, das Spiel mit Erwartungshaltungen und das Aushandeln von Gestaltungsspielräumen seitens der Reichsstände - all dies kann man nun endlich Wort für Wort nachlesen in den soeben erschienenen Akten des Reichstages.

Nachdem im Jahr 2005 die Akten der Reichstage zu Regensburg 1546 und zu Augsburg 1550/51 erschienen waren, liegen nun also die von Ursula Machoczek bearbeiteten Akten des Augsburger Reichstages 1547/48 vor. Die insgesamt 2760 Seiten umfassenden drei Bände sind das Ergebnis ihrer zehnjährigen Sondierungs-, Erfassungs- und Bearbeitungstätigkeit. Wohl in diesem Rahmen entstand auch die kleine Edition des ebenfalls von Ursula Machoczek bearbeiteten Tagebuches des Grafen von Waldeck, eines Teilnehmers am Reichstag 1548. [2] Die Edition der Reichstagsakten erfolgte nach den im Band 16 formulierten Editionsgrundsätzen, wobei entsprechend dem Prinzip "Reichstagsakten strictissimo sensu" die Texte in ihrem Entstehungskontext dokumentiert und wortwörtlich wiedergegeben wurden, selbst wenn - und dieses Verfahren ist nur zu begrüßen - einzelne Aktenstücke bereits in neueren Editionen vorliegen.

Um angesichts der Quellenmenge die Edition mit einem vertretbaren Aufwand realisieren zu können, lag der Fokus der Editorin auf der Dokumentation des Entscheidungsfindungsprozesses. Dieses Auswahlprinzip, das sich übrigens auch in archivischen Kontexten bewährt hat, führte dazu, dass der Schwerpunkt der Quellen auf den Protokollen liegt und Inhalte, die eher im weiteren Umfeld des Reichstages angesiedelt sind, wie z.B. die Beratungen zum Reichsbund, keine Berücksichtigung fanden. Das ist gerade im Falle des Reichsbundes etwas bedauerlich, ob der Fülle an Themen, die auf dem Reichstag zu verhandeln waren und die Akten füllten, dennoch verständlich. In 15 chronologisch-thematischen Kapiteln, denen eine hervorragende historische Einleitung vorangestellt ist, dokumentiert die Edition das Reichstagsgeschehen, von den ersten Plänen des Kaisers zu Beginn des Jahres 1547, der Eröffnung des Reichstages am 1. September 1547 bis zu dessen Schließung mit der Verlesung des Reichsabschiedes am 30. Juni 1548.

Karl V. hatte in der Ausschreibung vom 3. Juli 1547 ausdrücklich auf der persönlichen Anwesenheit aller Reichsstände auf dem Reichstag bestanden. Das war in dieser Form unüblich, gründete aber darin, dass sich der Kaiser mit seinem Sieg über das protestantische Verteidigungsbündnis, der Verlegung des Konzils nach Bologna und dem Abschluss eines fünfjährigen Friedensvertrages mit Sultan Süleyman II. im Besitz eines großen Spielraumes wähnte, den er zu seinen Gunsten zu nutzen gedachte. Die Reaktivierung des Reichskammergerichtes, die Regelung der Religionsfrage, die Errichtung des Reichsbundes standen nun ebenso an wie die in Worms 1545 vertagten Beratungen über die Reichsmatrikel, den Landfrieden, die Reichsmünzordnung und die Reichspolizeiordnung.

Kapitel I und II dokumentieren die Planung, Vorbereitung und Eröffnung des Reichstages sowie die Verhandlungen über die Proposition. Die Protokolle des Kurfürstenrates und des Städterates finden sich in Kapitel III, diejenigen des Fürstenrates sind leider verloren. Die Beratungen über den Landfrieden (Kap. IV) waren vor allem von der Notwendigkeit bestimmt, das noch in der Fassung von 1521 erwähnte Reichsregiment durch andere Exekutivorgane zu ersetzen. Während sich Stände und Kaiser auf das Reichskammergericht einigen konnten, vermochte sich der Kaiser mit seinem Vorschlag durchzusetzen, dass neben dem Reichskammergericht auch er selbst und in Vertretung der König die Reichsacht verhängen und vollstrecken könne. Die äußerst umfangreichen Verhandlungen über die Restitution und Neuordnung des Reichskammergerichtes (Kap. V) waren geprägt von den Bemühungen um die Abgrenzung der kaiserlichen Kompetenzen von denen des Gerichtes wie von der Problematik der Konfessionszugehörigkeit der neu zubesetzenden Richterstellen. Auch in dieser Frage setzte sich letztlich der Kaiser durch. Die Gespräche über die Reichsmatrikel (Kap. VI) und die Reichsmünzordnung (Kap. VIII) konnten auf dem Reichstag nicht abgeschlossen werden und erfuhren nur eine interimistische Lösung.

Dies galt ebenso für die Regelung der Religionsfrage, für die sich der Kaiser mit der Verlegung des Konzils von Trient nach Bologna als zuständig erachtete. Das Interim vom 15. Juni 1548 sollte einen religiösen Vergleich ermöglichen, wurde jedoch aufgrund des Protestes der Altgläubigen zu einem Sondergesetz für die Protestanten, denen lediglich Laienkelch und Priesterehe gestattet wurde. Das Kapitel VII enthält neben dem Text des Interims nicht nur die Aktenstücke der so genannten Interimskommissionen, jener Theologen also, die den religiösen Vergleich ausarbeiteten, sondern auch die Verhandlungen der Stände und die Einzelverhandlungen u.a. mit Moritz von Sachsen und dem Markgrafen Johann von Brandenburg-Küstrin. Trotz des Einspruchs der Reichsstädte und einiger Fürsten wurde das Interim in den Reichsabschied aufgenommen. Den Altgläubigen wurde mit der Formula reformationis ein Reformmandat durch den Kaiser vorgelegt, das die Reichsstände zunächst nur für ihre Person annahmen.

Der in Kapitel X dokumentierte Burgundische Vertrag vom 26. Juni 1548 stellt das Überbleibsel der seit dem Sommer 1547 in Ulm begonnenen und in Augsburg gescheiterten Verhandlungen zum Reichsbund dar. Zum Schutz und zur Bewahrung der Eigenständigkeit seiner burgundischen Erblande setzte Karl V. die Zusammenfassung der Niederlande mit Geldern, Utrecht und Zutphen zu einem Reichskreis durch, der formell zum Reich gehören und dem Landfrieden unterstellt werden sollte, aber dennoch seine Selbständigkeit und eigenen Rechte behielt. Die Beratung über die Reichspolizeiordnung (Kap. IX), die u.a. die Frage des Geldverleihs durch die Juden regelte, fand auf dem Reichstag ebenso ihren Abschluss wie die in Kapitel XI vorgestellten Verhandlungen über die Bewilligung finanzieller Mittel für den Kaiser und König Ferdinand zum Schutz des Reiches.

Die Kapitel XII bis XIII dokumentieren die Tätigkeit des interkurialen Supplikationsausschusses und jene Inhalte, die außerhalb des Ausschusses durch die Kurien unabhängig vom Reichstagsgeschehen verhandelt wurden, wie z.B. die Übertragung der sächsischen Kurwürde an Moritz. Da die Korrespondenzen mit einigen Gesandten in die Edition nicht aufgenommen wurden, enthält Kapitel XIV ein Verzeichnis jener Briefwechsel. Das Ende des Reichstages samt Abschied und den entsprechenden Verhandlungen und Protestationen finden sich dann in Kap. XV. Die Edition erschließt ein alle Bände erfassendes Register der Orts- und Personennamen.

Wer sich auf die 2760 Seiten einlässt, wird dem Reichstagsgeschehen neben dem bereits Bekannten sicher einige neue Aspekte abgewinnen können. So fanden z.B. die Verhandlungen des Kaisers mit den Reichsstädten über die Annahme des Interims vor, während und nach der formellen Bewilligung durch die Stände bisher nur sporadisch Berücksichtigung. Die hier edierten Quellen vermitteln nun auf ca. 50 Seiten (1855-1907) einen Eindruck von der kaiserlichen wie der städtischen Verhandlungstaktik, die von offenen Drohungen (z.B. das Gespräch des Frankfurter Gesandten mit dem kaiserlichen Kommissar Heinrich Hase) auf der einen bis hin zum untereinander abgestimmten Temporisieren, z.B. ob des Fehlens des Interimstextes, auf der anderen Seite reichte. Insbesondere die Frage der Rezeption des Interims im Reich erfährt zur Zeit eine intensive Debatte in der Reformationsgeschichtsforschung. Insofern erscheint die Edition der Akten des Augsburger Reichstages 1547/48 als willkommener Beitrag für die aktuelle Forschungsdiskussion und wird - nicht nur aus diesem Grund - als zuverlässige und zentrale Quellengrundlage aus der Forschung zum Alten Reich nicht mehr wegzudenken sein.


Anmerkungen:

[1] Horst Rabe: Reichsbund und Interim. Die Verfassungs- und Religionspolitik Karls V. und der Reichstag von Augsburg 1547/48, Köln/Wien 1971, 1.

[2] Tagebuch des Grafen Wolrad von Waldeck: Reise zum Augsburger Reichstag 1548 / für Johann Brenz 1563 von Nelle und R. Trygophorus abgeschrieben. Übers. von Gerhard Kappe. Historisch bearb. von Ursula Machoczek. Einf. von Gerhard Müller, Kassel 1998.

Anja Kürbis