Rosemarie Aulinger / Erwein H. Eltz / Ursula Machoczek (Bearb.): Der Reichstag zu Augsburg 1555 (= Deutsche Reichstagsakten unter Kaiser Karl V. Jüngere Reihe; Bd. 20), München: Oldenbourg 2010, 4 Bde., 3223 S., ISBN 978-3-486-58737-1, EUR 420,00
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Der Augsburger Religionsfrieden von 1555 gilt unter Historikern im Allgemeinen als wegweisend, als Meilenstein konfessionalisierender wie auch säkularisierender Entwicklungen im Alten Reich. [1] Kaum ein anderer Reichstag des 16. Jahrhunderts findet eine derart große Beachtung in der breiten Öffentlichkeit, wie die zahllosen Feierlichkeiten zum 450jährigen Jubiläum im Jahr 2005 zeigten. Gerne werden auch Gymnasiasten mit den 'fortschrittlichen' Elementen des Reichsabschiedes traktiert, der über den Westfälischen direkt hin zu neuzeitlichen Friedensschlüssen führe und als frühes Dokument religiöser Toleranz gelten könne. Trotz jener Interpretationen, Bewertungen und Inanspruchnahmen bleibt der Augsburger Reichstag selbst mit seinen Ausschüssen und Verhandlungen eher der blasse Hintergrund, von dem sich der Friedensschluss umso leuchtender abhebt. Dies könnte sich nun ändern. Denn seit 2009 liegt die Edition der Reichstagsakten auch für diesen Augsburger Reichstag des Jahres 1555 vor.
Diese vier Teilbände und 3223 Seiten umfassende Edition bildet den Abschluss der Jüngeren Reihe innerhalb der Reichstagsaktenedition, da der Augsburger Reichstag von 1555 der letzte in der Regierungszeit Karls V. war. Bekanntlich erfolgte und erfolgt die Edition der Reichstage nicht in chronologischer Reihenfolge; Bd. 13 zum Nürnberger Reichstag 1542 ist vor kurzem erschienen. Weitere Bände werden folgen, wenn auch - und dies soll hier nicht unerwähnt bleiben - nicht mehr durch jene Bearbeiter, die in gewohnt professioneller Weise und hoher Qualität für die letzten Bände verantwortlich zeichneten. Vorliegende Edition stellt insofern ein Novum dar, als sie durch Rosemarie Aulinger, Ursula Machoczek und Erwein H. Eltz gemeinsam bearbeitet wurde, um den engen, seitens der finanziellen Förderer in Gestalt der Union der deutschen Akademien der Wissenschaften und der Bayerischen Akademie der Wissenschaften gesetzten Zeitplan einhalten zu können. Ihnen wie auch dem Herausgeber Eike Wolgast sei an dieser Stelle für ihre Arbeit, die einen unverzichtbaren Beitrag zur Grundlagenforschung auf gleichbleibend hohem Niveau darstellt, gedankt. Künftig werden die noch ausstehenden Reichstage durch jeweils verschiedene Bearbeiter ediert.
Analog zu früheren Bänden erfolgte die Auswahl der aus dem Gros der Überlieferung editionswürdigen Dokumente nach dem Motto Reichstagsakten "strictissimo sensu", d.h. alles, was der Dokumentation des Reichstagsgeschehens dient, wie Instruktionen, Verhandlungen, Gutachten etc., wurde in die Edition aufgenommen. Um Textdopplungen und Redundanzen zu vermeiden, wurde nicht jede Hauptverhandlung vollständig wiedergegeben, sondern durch das editorische Mittel der Kollationierung in den Fußnoten - welches allerdings den Lesefluss doch sehr erschwert - dokumentiert. Die profunde Einleitung gibt einen Überblick über die Bearbeitungsgrundsätze und die Bandgliederung, über Quellen und Literatur sowie über die Vorgeschichte und den Verlauf des Reichstages. Insgesamt 9 Kapitel strukturieren die Reichstagsüberlieferung nach nachvollziehbaren Kriterien, die sich an der Organisation, den zu verhandelnden Inhalten sowie spezifischen Textsorten orientieren. Mit dem Religionsfrieden und dem Landfrieden sind thematisch die beiden Schwerpunkte angemessen präsentiert.
Artikel 6 des Passauer Vertrages vom 2. August 1552 (Nr. 3) sah vor, dass innerhalb eines halben Jahres ein Reichstag einzuberufen sei, welcher Möglichkeiten und Wege eines Religionsvergleiches beraten und beschließen sollte. Aufgrund der Unruhen, die durch die Auseinandersetzung des Markgrafen Albrecht Alkibiades von Brandenburg-Kulmbach mit der Fränkischen Einung sowie wegen Gerüchten um Truppenwerbungen des französischen Königs im Reich schwelten und die Anwesenheit der Reichsstände in ihren Territorien erforderlich machten, erfolgte die Einberufung des Reichstages nach Ulm und später nach Augsburg bekanntlich erst einige Jahre später. Die zentralen Dokumente dieser Vorbereitungsphase von den Passauer Gravamina über den Passauer Vertrag bis hin zur 4. Prorogation 1554 sind im Kapitel 1 enthalten. Insbesondere in den Schreiben, die zwischen dem Kaiser und seinem Bruder Ferdinand gewechselt wurden, wird deutlich, dass der König mehr und mehr die Initiative übernahm, bis ihm Karl V. die vollständige Verhandlungsvollmacht für den Reichstag erteilte (Nr. 60). Dennoch hatte der Kaiser durch die Instruktion an seine Kommissare vom 20. März 1554 (Nr. 26) inhaltliche Wegmarken gesetzt, an denen sich sein Bruder vor und während der Verhandlungen orientierte (z.B. Nr. 21). In der Forschung ist diese Instruktion als eine Art politisches Testament bewertet worden, da Karl V. darin ein Resümee seiner bisherigen Bemühungen um die Herstellung von Frieden und religiöser Einheit im Reich zieht. Die im Kapitel 2 versammelten Instruktionen der Stände an die jeweiligen Gesandten deuten bereits an, was zur Eröffnung am 5. Februar 1555 sichtbar wird: Der Reichstag muss auf die Anwesenheit zahlreicher Fürsten verzichten. Deutlich wird aber ebenso, dass gerade für die Augsburger Konfessionsverwandten der Beschluss des Religionsfriedens die Voraussetzung für alle anderen zu erörternden Inhalte war (z.B. Nr. 140), während die katholische Seite für die Fortsetzung von Interim und Formula Reformationis bis zum Konzil plädierte (z.B. Nr. 147). Die in Kapitel 3 dokumentierten drei Protokolle des Kurfürstenrates, des Fürstenrates und des Passauer Gesandten beinhalten vor allem die Verhandlungen um die Geschäftsordnung, in welchen die Kurien um die Reihenfolge der zu verhandelnden Themen stritten. Merkbar relativiert ist hier bereits die Rolle der Städte, denen in der Regel lediglich die Möglichkeit blieb, den Entscheidungen der beiden vornehmeren Kurien beizutreten.
Das dem Religionsfrieden gewidmete vierte Kapitel setzt ein mit der Proposition vom 5. Februar 1555 (Nr. 148) und schließt mit der Declaratio Ferdinandea vom 24. September 1555 (Nr. 231), die bekanntlich nicht Teil des Reichsabschiedes war. Fünf Abschnitte unterteilen das mit ca. 450 Seiten umfangreichste Kapitel nach chronologischen Fixpunkten. Die Entwürfe beider Kurien, der Kurfürsten und Fürsten, orientieren sich trotz verschiedener Schwerpunktsetzung an den Texten von Speyer 1544 und Passau 1552. Beide Kurien diskutierten intensiv jene sich auch später als äußerst problematisch erweisende Frage, wer und welche "Religion" unter den Landfrieden fallen solle. So plädierten die Augsburger Konfessionsverwandten innerhalb der Kurfürstenkurie geschlossen für die Aufnahme auch der künftig zur Augsburger Konfession hinzutretenden Stände, während Friedrich II. von der Pfalz eine freie Konfessionswahl selbst für die Untertanen für erforderlich hielt (Nr. 171). Auch der Brandenburger Kurfürst votierte für eine derartige Freistellung, eröffnete diese doch die Möglichkeit, die Hochstifte Brandenburg, Havelberg und Lebus in weltlichen Besitz unter Suspendierung der geistlichen Jurisdiktion umzuwandeln. Da die geistlichen Kurfürsten eine Freistellung des Konfessionswechsels ablehnten, enthielt der am 12. April (Nr. 178) an den Fürstenrat übergebene Entwurf des Kurfürstenrates zahlreiche dissimulierende Formulierungen, die auch den Religionsfrieden insgesamt prägen sollten. Der am 5. April den Kurfürsten übergebene Entwurf der Fürstenkurie (Nr. 174) wiederum vertrat eher die katholische Auffassung, dass der Besitz eines zur Augsburgischen Konfession übergetretenen Bischofs oder Prälaten bei der katholischen Kirche zu bleiben habe. Da sich beide Kurien nicht auf einen gemeinsamen Entwurf einigen konnten, übergaben sie am 21. Juni 1555 ihre Bedenken dem König (Nr. 195), das Bedenken der Städte blieb ob der Nichtvorlage der anderen Bedenken eher allgemein gehalten. Angesichts dieser Situation trug sich Ferdinand mit dem Gedanken, die Religionsfrage auf einem späteren Reichstag abzuhandeln. Da aber die Augsburger Konfessionsverwandten mit Androhung einer erneuten Protestation auf einer baldigen Regelung bestanden, konnten im September die Verhandlungen unter Absehung vom Austausch schriftlicher Bedenken wieder aufgenommen werden. Während die Freistellung der Konfessionswahl seitens der Reichsstände, der geistliche Vorbehalt sowie die Regelung über die Beibehaltung des bikonfessionellen Charakters der betroffenen Reichsstädte die katholische Seite zumindest zufrieden stellten (Nr. 223), vermochte der König die Zustimmung der Augsburger Konfessionsverwandten erst durch die gesonderte Declaratio, welche den Schutz der evangelischen Untertanen (Ritter, Städte) in geistlichen Territorien regelte, zu erlangen. Obwohl sich beide Konfessionsparteiungen letztlich auf diese temporäre politische Lösung einigten, blieb die Religionsfrage virulent; der Frieden war nur möglich durch die erneute Inaussichtstellung einer späteren religiösen Einigung (Nr. 390). Der Entwurf einer Protestation der Augsburger Konfessionsverwandten (Nr. 230) problematisiert den Tenor des geistlichen Vorbehaltes, welcher in ihren Augen eben doch keine Gleichberechtigung der Augsburger Konfession meinte und sowohl den Bischöfen und Prälaten als auch deren Untertanen den Konfessionswechsel erschwerte. Hier deutet sich eben jenes Grundproblem an, welches die Verlagerung der religiösen Frage auf die politische Ebene mit sich brachte: Je mehr divergierende Interpretationsmöglichkeiten die Nicht-Regelungen zuließen, desto stärker löste sich die politische Klammer um die zunächst zwei in ihrem Wahrheitsanspruch konkurrierenden Konfessionen.
Diese religionspolitische Lösung, der in Kapitel 6 thematisierte Konflikt zwischen Albrecht Alkibiades und der Fränkischen Einung sowie das stets virulente Problem umherziehenden herrenlosen Kriegsvolkes machte die in Kapitel 5 dokumentierten Verhandlungen über den Landfrieden und dessen Exekution ebenso erforderlich wie eine Bearbeitung der Reichskammergerichtsordnung. So beschließen denn auch der Bestallungsbrief zur Exekution des Landfriedens (Nr. 273) und die Reichskammergerichtsordnung (Nr. 274) jenes Kapitel. Es folgen in Kapitel 7 thematisch nicht zuzuordnende Aktenstücke, die Korrespondenz (u.a. der Habsburger) in Kapitel 8 sowie der Reichsabschied, das Münzmandat und ein Bericht des kursächsischen Gesandten über die Abfassung des Abschieds im letzten und 9. Kapitel.
Zusammenfassend ist festzustellen, dass mit dieser Edition der Augsburger Reichstag des Jahres 1555 hervorragend dokumentiert ist. Sie bietet genügend Material für weiterführende Forschungen nicht nur auf der Ebene der politischen und der Reichstagsgeschichte. Das hohe Niveau der Edition konnte in den abschließenden vier Bänden erneut gehalten werden, auch wenn die drei oben genannten Bearbeiter angesichts des Zeitdrucks nicht alle Abschnitte vereinheitlichen konnten und der eine oder andere Flüchtigkeitsfehler in der Endredaktion übersehen wurde. [2] Es bleibt zu hoffen, dass die künftigen Bearbeiter die Jüngere Reihe in ähnlicher Qualität fortzusetzen vermögen.
Anmerkungen:
[1] U.a. Axel Gotthard: Der Religionsfrieden und das politische System des Reiches, in: Der Augsburger Religionsfrieden 1555, hgg. von Heinz Schilling und Heribert Smolinsky, Schriften des Vereins für Reformationsgeschichte Bd. 206, Heidelberg 2007, 43. Dieser Band konnte in der Edition nicht mehr berücksichtigt werden, da der redaktionelle Abschluss bereits 2006 erfolgte.
[2] Die im Literaturverzeichnis genannten Reichstagsakten, Bd. 19, betreffen den Reichstag 1550/51 und nicht 1559/51.
Anja Kürbis