Agnieszka Pufelska: Die "Judäo-Kommune". Ein Feindbild in Polen. Das polnische Selbstverständnis im Schatten des Antisemitismus 1939-1948, Paderborn: Ferdinand Schöningh 2007, 284 S., ISBN 978-3-506-76380-8, EUR 39,90
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Andrzej Krzysztof Kunert: Polacy - Zydzi. Polen - Juden. Poles - Jews. 1939-1945. Wybór źródeł. Quellenauswahl. Selection of documents, Warszawa: Oficyna Wydawnicza Rytm 2001
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Die Kulturwissenschaftlerin Agnieszka Pufelska (Frankfurt/Oder) untersucht in ihrer überarbeiteten Dissertation, welche Rolle dem Feindbild der żydokomuna ("Judäo-Kommune") für das polnische Selbstverständnis zukommt. Zeitlicher Schwerpunkt ist der Zehnjahreszeitraum unter der deutschen und der sowjetischen Okkupation Polens von 1939 bis 1948. Pufelska sieht in der żydokomuna erstens ein "Gegenbild zur polnischen Nation", das sich bereits vor dem September 1939 herausgebildet hatte. Sie hält zweitens die żydokomuna - bezogen auf die Kriegs- und Besatzungsjahre - für ein "Gegenbild zum polnischen Kriegsopfer". Und mit Blick auf die unmittelbare, von antijüdischer Gewalt geprägte Nachkriegszeit macht sie drittens in der żydokomuna ein "Gegenbild des polnischen Antikommunismus und Kommunismus" aus. In ihrer Analyse gelangt sie zu dem Ergebnis, dass "die Vorstellung von der Kommunismusanfälligkeit der Juden [für die Polen] seit Jahrzehnten die Funktion einer identitätsstiftenden Weltanschauung erfüllt, die 'Orientierung' in Geschichte und Gegenwart leistet" (251f.).
Die Autorin stützt sich im Wesentlichen auf zwei Quellengattungen: die einschlägige Überlieferung von beteiligten Organisationen, die sie in sechs polnischen Archiven und im Bundesarchiv eingesehen hat, sowie auf einige Veröffentlichungen der offiziellen und der illegalen polnischsprachigen Publikationstätigkeit. Warum die Verfasserin gerade diese ausgewählt hat, wird nicht begründet. [1] Im Unterschied zu der bisher nahezu einhelligen Position in der polnischen Historiografie belegt Pufelska, dass antijüdische Einstellungen und Handlungen von polnischer Seite ihren Ursprung in erster Linie in der in Polen verbreiteten Judenfeindschaft hatten. Damit stellt dieses Buch zugleich eine kritische Auseinandersetzung mit der Forschungsliteratur dar (etwa 68ff., 87f., 94, 104, 129, 200, 250). Die Autorin bemängelt insbesondere den Missstand, dass "[a]n die Stelle historischer Erinnerung [...] ein Opfergedächtnis" getreten sei, "das der Mythenbildung und Instrumentalisierung von Geschichtsschreibung Tür und Tor öffnet" - wodurch die polnische "Geschichtswissenschaft sich in eine politisch orientierte Gedächtniskultur hineinziehen läßt und sich den darüber hinausweisenden wissenschaftlichen Fragen nicht mehr stellt" (247).
Das politisch-freiheitliche Handlungsmotiv der (national-)polnischen Widerstandsgruppen - also deren Ablehnung des Kommunismus und militanter Einsatz für die Verteidigung der nationalen Unabhängigkeit - sei den antisemitischen Beweggründen gegenüber nachrangig.
Zu Recht weist Pufelska darauf hin, dass antijüdische Vorstellungen keineswegs bloß für die Nationaldemokraten handlungsleitend waren, sondern auch für weite Teile der (christlich-)demokratischen Mitte - und nicht zuletzt für die seit 1942 in Erscheinung tretenden 'national gewendeten' Kommunisten der Polnischen Arbeiterpartei (PPR).
In der Tendenz misst die Verfasserin Politik und Ideologie indes eine allzu große und im Gesamtkontext daher verengende Bedeutung zu. Weit zurückreichende religiöse, soziale und ökonomische Ursachen des Antisemitismus bleiben somit unbeleuchtet. Ebenso mangelt es an einer gründlicheren Darlegung, wie das politische Schlagwort żydokomuna sich nach dem bolschewistischen Umsturz in Polen etabliert hat. [2] Immerhin war der Großteil der polnischen Gebiete, wenngleich von den Mittelmächten besetzt, seinerzeit de iure Russland noch zugehörig. Auch wäre es nützlich gewesen, die Spezifika im polnischen Diskurs über eine besondere Affinität der Juden zum Kommunismus mit Blick auf die internationale (oder zumindest ostmitteleuropäische) Dimension der Debatte aufzunehmen, wie dies schon Gabriele Eschenazi und Gabriele Nissim sowie André Gerrits getan haben.[3]
Auch die den Zwischenkriegszeitraum prägende Konkurrenz der Nationalismen und das Gegeneinander zwischen den Homogenisierungsbestrebungen der Warschauer Regierungen und den sprachlich-kulturellen Abgrenzungsbemühungen der jüdischen Minderheitsbevölkerung Polens hätten im Rahmen der Fragestellung Aufmerksamkeit verdient. Pufelskas strikte theoretische Unterscheidung zwischen dem für die Kriegsjahre postulierten polnischen Feindbild żydokomuna einerseits und dem Stereotyp anderseits (21, 104) kann nicht überzeugen, zumal sich erst während des Krieges die vor-urteilende Denkfigur in das übergreifende "Feindbild Jude" ausweitete. Dieses schloss dann im Allgemeinen die Juden in ihrer Gesamtheit - also auch jene in den angelsächsischen Ländern - mit ein. [4] In Bezug auf die polnische kommunistische Erinnerungspolitik hätte deren propagandistisch-taktischer Anti-Antisemitismus angesprochen werden müssen.
Fragwürdig erscheint, dass die Verfasserin sich Aussagen über "das Feindbild der 'Judäo-Kommune'" in einem Zeitraum erlaubt, in dem es diesen Begriff "noch gar nicht gab" (25). Wie kann es sich hier überhaupt um ein "jahrhundertealtes" Phänomen (14) handeln? Unklar sind ferner die Ausführungen zur Entwicklung der Militärorganisation der aus der Nationalpartei (SN) hervorgegangenen nationaldemokratischen Gruppierungen, die in zwei Aufnahmeverfahren 1942 und 1944 jeweils nur zum Teil der Heimatarmee eingegliedert werden konnten (100/103), ehe die Nationalen Streitkräfte (NSZ) nach dem Warschauer Aufstand wieder ihre eigenen Wege gingen.
Richtigzustellen ist u. a., dass die Nachrichten- und Propagandastelle (BIP) der Heimatarmee (AK) mitnichten die "Hauptkommandantur der AK" (131) war, sondern deren in Warschau ansässige, den Umgang mit Informationen und die Herausgabe von Nachrichten steuernde Zentralstelle; ethnisch polnische Helfer von Juden wurden bei Entdeckung durch deutsche Verfolgungsorgane keineswegs stets mit dem Tode bestraft (187). Hinter "Sielce" verbirgt sich das russische Sel'cy an der Oka (172), wo die sowjetpolnische (Volks-)Armee 1943/44 ihr Trainingslager hatte.
Zu den sprachlichen Unbeholfenheiten gehört die gestelzte und allzu akademische Übersetzung des Begriffs żydokomuna, die dessen Charakter als allgegenwärtiges Schlagwort nicht gerecht wird; treffender ist der in der Literatur eingeführte Ausdruck "Judenkommune" (vgl. Gerrits: Judeo-Communism; Eschenazi/Nissim: giudeocomune). Schwer verständlich ist, was Pufelska mit dem die polnische Seite kritisierenden Satz sagen will: "Billigend in Kauf genommen wurde ein Gefühl der Genugtuung über die deutschen Verbrechen an den Juden im GG [=Generalgouvernement]" (104).
Obgleich Pufelskas Darstellung methodologisch und argumentativ nicht durchgehend überzeugen kann, arbeitet sie doch akute Kritikpunkte heraus und wirft wichtige Fragen auf, denen sich die polnische Zeitgeschichtsschreibung in den kommenden Jahren zu stellen hat, will sie sich von der Last verzerrender und beschönigender Geschichtsmythen befreien.
Anmerkungen:
[1] Man vermisst neben etlichen einflussreichen Organen der Untergrundpresse etwa die damals viel diskutierte Schrift von L. Podolski [=K. Stojanowski]: Przyszła Polska - państwem narodowym [Das künftige Polen - ein Nationalstaat], o.O., o.J. [1940].
[2] Das Gleiche gilt für ihren Aufsatz: Die Konstruktion des Feindbildes der "Judäo-Kommune" im Polen der Zwischenkriegszeit, in: Selbstbilder - Fremdbilder - Nationenbilder, hrsg. von Juliette Wedl u. a., Berlin u. a. 2007, 45-62. Eingehender zur Entstehung dieses politisch-propagandistischen Kampfbegriffs siehe Klaus-Peter Friedrich: Von der żydokomuna zur Lösung einer "jüdischen Frage" durch Auswanderung. Die politische Instrumentalisierung ethnischer und kultureller Differenzen in Polen 1917/18 bis 1939, in: Zwischen großen Erwartungen und bösem Erwachen. Juden, Politik und Antisemitismus in Ost- und Südosteuropa 1918-1945, hrsg. von Dittmar Dahlmann und Anke Hilbrenner, Paderborn u. a. 2007, 53-77.
[3] Siehe Gabriele Eschenazi und Gabriele Nissim: Ebrei invisibili. I sopravvissuti dell'Europa orientale dal comunismo a oggi, Milano 1995; André Gerrits, Antisemitism and Anti-Communism: The Myth of "Judeo-Communism" in Eastern Europe, in: East European Jewish Affairs 25 (1995), H. 1, 49-72.
[4] Siehe Klaus-Peter Friedrich: Der nationalsozialistische Judenmord und das polnisch-jüdische Verhältnis im Diskurs der polnischen Untergrundpresse (1942-1944), Marburg 2006, 161-183.
Klaus-Peter Friedrich