Roger S. Bagnall: Hellenistic and Roman Egypt. Sources and Approaches (= Variorum Collected Studies Series; 864), Aldershot: Ashgate 2006, 352 S., ISBN 978-0-7546-5906-8, GBP 60,00
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Bereits 2003 hatte der New Yorker Althistoriker und Papyrologe Roger S. Bagnall den Band "Later Roman Egypt: Society, Religion, Economy and Administration" in der Reihe "Variorum Collected Study Series" veröffentlicht. Damals hatte er auch einen weiteren Band mit einigen seiner kleinen Schriften zu Ägypten in der gleichen Reihe nicht ausgeschlossen, die sich nicht ausschließlich mit der Spätantike befassen sollten. Diesen hat Bagnall nun vorgelegt, wobei einige Beiträge erst in den letzten Jahren entstanden sind.
Die Aufsätze sind weitgehend im Faksimileverfahren abgedruckt und entsprechend dieser Reihe ohne neue durchgehende Paginierung. Stattdessen sind die meisten der 24 Aufsätze im Inhaltsverzeichnis mit römischen Nummern versehen, die auch in den Kopfzeilen und im Inhaltsverzeichnis des Buches zur leichteren Orientierung dienen. Bagnall hat seine Schriften nach vier Themengruppen zusammengestellt: 1. Methodische Fragen, 2. Hellenistisches Ägypten, 3. Römisches Ägypten und 4. Spätantike. In seiner Einleitung betont der Verfasser, dass er mehr als 60 Prozent seiner Beiträge in diesem Buch aufgrund von Einladungen verfasst hat.
Der erste Hauptabschnitt - das Methodenkapitel - hat drei Beiträge. I: "Archaeological work on Hellenistic and Roman Egypt, 1995-2000" ist eine Zusammenfassung der wichtigsten internationalen archäologischen Grabungsmissionen an griechisch-römischen Stätten in ganz Ägypten. Ein eigener Abschnitt gilt hier der christlichen Archäologie. II: "Restoring the text of documents" ist ein kurzes Essay, in dem sich Bagnall kritisch zur Wiederherstellung verlorener Textpassagen, besonders in "nonformulaic texts" äußert. III: "Evidence and models for the economy of Roman Egypt" wurde erst 2005 veröffentlicht und ist eine kritische Betrachtung der Thesen von Moses I. Finley, der zeitlebens eine sehr ablehnende Haltung gegenüber dokumentarischen Quellen wie Inschriften und Papyri einnahm. In diesem Zusammenhang befasst sich Bagnall auch mit den Versuchen anderer Forscher, Modelle für die Wirtschaft des römischen Ägypten zu finden. Sein Fazit ist, dass dieses noch nicht gelungen sei: "Egypt would be the only part of the ancient world for which there is enough evidence to test a reasonable number of assumptions" (III, 201).
Im zweiten Hauptteil sind acht Schriften zum hellenistischen, d.h. ptolemäischen Ägypten zusammengestellt. Zunächst (IV) eine kurze Miszelle zum Gründungsdatum von Alexandria, der eine Forschungsübersicht V: "Papyrology and Ptolemaic history: 1956-1980" folgt. In dieser Übersicht kommentiert Bagnall die innerhalb von 29 Jahren erschienenen Texteditionen - auch im Demotischen - und Studien, die unser Verständnis zur ptolemäischen Geschichte und Verwaltung vertiefen. Der Beitrag VI: "Decolonizing Ptolemaic Egypt" ist eine kritische Auseinandersetzung mit einer Forderung von Will, wonach der Historiker des Hellenismus bewusst die anthropologische und soziologische Annäherung an die moderne koloniale Welt - besonders die postkoloniale Nachkriegsära - als Modell wählen solle. Im Beitrag VII: "Archagathos son of Agathocles, Epistates of Libya" werden die prosopographischen Hintergründe einer 1956 publizierten Inschrift (vgl. SEG XVIII 833) aus der Zeit Ptolemaios' II. Philadelphos untersucht, die durch einen neueren Papyrus (P.Oxy. XXXVII 2821) in einem neuen Licht erscheinen. Archagathos ist nach Meinung von Bagnall der Sohn des Agathokles von Syrakus und der älteren Theoxena (Tochter von Berenike I.) sowie Bruder der jüngeren Theoxena. Ferner war Archagathos titularer Epistates von Libyen und offenbar auch Alexanderpriester im Jahre 270/69 (siehe Addenda, 2). Im Beitrag VIII: "The orgins of Ptolemaic cleruchs" führt Bagnall auf der Basis der Listen von Fritz Uebels bedeutendem Werk "Die Kleruchen Ägyptens unter den ersten sechs Ptolemäern" (Berlin 1968) und späterer Studien eigene Untersuchungen zum ethnischen Ursprung dieser Bevölkerungsgruppe durch. Aufgrund des vorhandenen Quellenmaterials geht er davon aus, dass ein Drittel von ihnen aus Gebieten kam, die nicht unter ptolemäischer Kontrolle standen. Die ersten Kleruchen kamen nicht als "intended immigrants", sondern als "professional soldiers" (VIII, 19). IX: "Alexandria: library of dreams" ist eine wichtige quellenkritische Studie zur Geschichte der schon im Altertum von Legenden umwobenen Bibliothek von Alexandria. Bagnall versucht, in den überhöhenden Darstellungen der antiken Schriftsteller die tatsächliche Bibliothek offenzulegen. Auch der Artikel X: "Dioskourides: three rolls" thematisiert die große Bibliothek. Hier geht es um einen Steinblock im Kunsthistorischen Museum in Wien, der nach Bagnalls Nachweis nicht ein Container für Buchrollen in der Bibliothek gewesen sei, sondern lediglich ein Sockel für eine Büste des Philosophen Dioskourides. XI: "An unrecognized date by the rebellion of 131 B.C." ist eine Miszelle zu einem zweisprachigen Ostrakon aus Edfu, das Bagnall entgegen den Erstherausgebern vom Jahre 246 v.Chr. in das Jahr 131 v.Chr. datiert und mit dem Aufstand des - mittlerweile in seiner Historizität bezweifelten - Gegenkönigs Harsiese in Verbindung bringt.
Sieben Schriften zu Ägypten in römischer Zeit befinden sich im dritten Hauptteil. In XII: "Publius Petronius, Augustan prefect of Egypt" publiziert der Verfasser ein Papyrusfragment aus der Sammlung Lessing J. Rosenwald in der Library of Congress, Washington D.C. Als Ausgangspunkt thematisiert er unser dürftiges Wissen über die Augusteischen Präfekten Ägyptens in den Jahren 21 v.Chr. bis 10 n.Chr. In dem von ihm auf den 23. September 22 v.Chr. datierten Papyrus kann er einen Publius Petronius als Amtsträger zu dieser Zeit ausmachen. Der Aufsatz endet mit einer ausführlichen Zusammenfassung der Familie des Petronius. XIII: "The beginnings of the Roman census in Egypt" geht der Frage nach, wann die römische Administration in Ägypten mit ihrem wohl alle 14 Jahre stattfindenden Zensus zum ersten Mal begann. Die frühesten gesicherten Daten fallen in das Jahr 33/34 n.Chr., während die Informationen vor diesem Zeitpunkt sehr obskur sind. Auf der Basis von P. Col. inv. 8 und vergleichbarer Dokumente kann Bagnall eine Tabelle mit Steuerregistrierungen unter Augustus vorlegen, die wohl ab dem Jahr 11/10 v.Chr. ihren Anfang nahmen. Der ethnische Hintergrund der Bewohner des römischen Fajjum ist Gegenstand des folgenden Aufsatzes (XIV). Den Beitrag beschließt eine Tabelle mit den Namen der Katoikoi im Arsinoites-Gau. In dem kurzen Beitrag "Egypt and the Lex Minicia" (XV) gibt der Verfasser eine kurze kritische Antwort auf einen Artikel D. Cherrys über das Gesetz zur Ehe zwischen Römern und Nicht-Römern. Auf der Basis des "Gnomon des Idios Logos" (BGU V 1210) vermutet Cherry, dass in Ägypten örtliche Varianten der Lex Minicia anzutreffen waren. Bagnall widerlegt diese Deutungen und stellt fest, dass das Gesetz im Römischen Reich überall gleich gehandhabt wurde, wonach ein Kind aus einer ungleichen Ehe den Status des nicht-römischen Elternteils erhielt. Artikel XVI: "A trick a day to keep the tax man at bay? The prostitute tax in Roman Egypt" ist die Antwort auf einen Beitrag von Th. McGinn, in dem eine römische Steuer auf Prostitution in einem größeren Zusammenhang kaiserlicher Politik gesehen wird. Bagnall gelingt es, durch eine Neubewertung der vorhandenen Quellen (hauptsächlich Ostraka), dessen Thesen zu entkräften. Demnach gibt es keinen Beleg für einen Ursprung dieser Steuer in ptolemäischer Zeit. Vielmehr geht diese Steuer vielleicht auf Gaius zurück - Claudius schaffte sie wieder ab - und erst Anfang des 2. Jahrhunderts, so die Quellen, wurde sie offenbar wieder eingeführt. XVII: "Managing estates in Roman Egypt: a review article" ist eine ausführliche Besprechung der Monographie von D. P. Kehoe, "Management and Investment on estates in Roman Egypt during the Early Empire" (Bonn 1992). In dem sehr interessanten Aufsatz XVIII: "Army and police in Roman Upper Egypt" untersucht Bagnall anhand der Quellen das Polizeiwesen unter der römischen Verwaltung. Hier geht er den auf thebanischen Ostraka vorkommenden Dekania-Listen nach. Die von den Ptolemäern eingeführten Polizeikräfte, die Phylakitai, wurden nach und nach angeschafft, während neue Strukturen für Polizeiaufgaben geschaffen wurden. Bei den Dekanioi handelt es sich nun um Personen - überwiegend Bauern -, die turnusmäßig Wachdienste übernahmen. Diese Dienste wurden anderswo in Ägypten als Liturgien zugeteilt; in Theben dagegen als Corvée auferlegt. Dennoch war diese Tätigkeit sehr begehrt. Eine Liste der ausgewerteten Ostraka ist als Anhang angefügt.
Sechs Artikel zur Spätantike in Ägypten befinden sich im vierten Hauptteil. XIX: "Public administration and the documentation of Roman Panopolis" gilt den wenigen Papyri zum spätantiken Panopolis, dem heutigen Achmim. Diese Verwaltungsurkunden wurden später oft in der Form wieder verwertet, indem sie zu Kodizes zusammengebunden wurden und Texten (z.B. koptische religiöse Texte, antike Autoren, Quittungen) verschiedenster Art als Schreibträger dienten. Diese spärlichen Quellen ermöglichen dennoch einen interessanten Einblick in die panopolitanische Verwaltung. XX: "The date of the Hermopolite land registers: a review article". In diesem Beitrag bespricht der Verfasser die Neuedition von P. Flor. I 71 und P. Giss. I 117 von Sijpensteijn und Worp (= P. Landlisten) und bringt hier eigene Beobachtungen ein. [1] XXI: "Les lettres privées des femmes: un choix de langue en Égypte byzantine" ist ein Nebenprodukt eines über einen langen Zeitraum angelegten Projektes - zusammen mit R. Cribiore - zu Frauenbriefen in den ägyptischen Papyri. In XXII: "Monks and property: rhetoric, law, and patronage in the Apophthegmata Patrum and the papyri" vergleicht Bagnall die in den Spruchsammlungen der ersten Mönche Ägyptens vertretenen Idealvorstellungen von Eigentum mit den in den Papyri überlieferten Realitäten. "Women's petitions in late antique Egypt" (XXIII) gehört thematisch zum gleichen Projekt wie Artikel XXI und ist eine kurze Auswertung von 192 Petitionen, die zwischen den Jahren 183 und 400 eingebracht wurden und von denen 52 mit Sicherheit Frauen zugewiesen werden können. Mit dem Literaturüberblick "Greek papyri and Coptic studies, 1990-1995" (XXIV) schließt der Band ab. In einem kurzen Anhang am Ende des Buches kommentiert Bagnall die seit der Erstpublikation einiger Beiträge erschienene Forschungsliteratur (IV, VII, VIII, XI, XIII, XVI, XVII, XVIII, XX).
Bagnalls Aufsatzband ist eine sehr wichtige, wie auch dankbare Zusammenstellung seiner Schriften. Gerade auch im Hinblick auf einige nicht immer leicht zugängliche Beiträge wird jeder Forscher der Ptolemäerzeit, aber auch des römisch-byzantinischen Ägypten dieses Buch griffbereit haben und mit Gewinn nutzen.
Anmerkung:
[1] P. J. Sijpensteijn / K. A. Worp: Zwei Landlisten aus dem Hermupolites (= P. Landlisten), Zutphen 1978.
Peter Nadig