Rezension über:

Rolf-Dieter Müller: An der Seite der Wehrmacht. Hitlers ausländische Helfer beim "Kreuzzug gegen den Bolschewismus" 1941-1945, Berlin: Ch. Links Verlag 2007, 275 S., ISBN 978-3-86153-448-8, EUR 24,90
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Rezension von:
Gustavo Corni
Universität Trient
Empfohlene Zitierweise:
Gustavo Corni: Rezension von: Rolf-Dieter Müller: An der Seite der Wehrmacht. Hitlers ausländische Helfer beim "Kreuzzug gegen den Bolschewismus" 1941-1945, Berlin: Ch. Links Verlag 2007, in: sehepunkte 8 (2008), Nr. 6 [15.06.2008], URL: https://www.sehepunkte.de
/2008/06/14176.html


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Rolf-Dieter Müller: An der Seite der Wehrmacht

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In den letzten Jahren hat die Tatsache zunehmend die Aufmerksamkeit der Geschichtswissenschaft gefunden, dass sich in den von den Truppen des 'Dritten Reiches' eroberten Territorien größere Teile der einheimischen Bevölkerung in verschiedener Form am Besatzungsregime beteiligten, indem sie entweder direkt für die fremden Herren Partei ergriffen oder sogar an der Ermordung ihrer jüdischen Mitbürger mitwirkten. Der Begriff Kollaboration wurde immer wieder neu diskutiert, verfeinert und in seiner heuristischen Kraft gestärkt. Die jüngsten Studien auf diesem Feld - insbesondere zu Frankreich, Belgien und Italien - machen die Komplexität des Phänomens deutlich, das sich nicht auf eine dichotomische, moralisch aufgeladene Interpretation reduzieren lässt. Über die besetzten Gebiete Osteuropas wissen wir erheblich weniger, zumal die systemtreuen Historiker nicht müde wurden zu betonen, es habe unter deutscher Besatzung nur Opfer oder heldenhafte Widerstandskämpfer gegeben.

Der Zusammenbruch der kommunistischen Regime hat nicht nur zu einer - wenigstens partiellen - Öffnung der Archive geführt, sondern auch einen vielschichtigen Prozess der Wiedergewinnung einer jahrzehntelang unterdrückten Erinnerung in Gang gesetzt. So kam es vielfach dazu, dass Kollaborateure, von denen man bisher nur abfällig als "Helfershelfer des Faschismus" gesprochen hatte, heute als Exponenten von Patriotismus und Nationalismus gelten. Diese Entwicklung verweist darauf, wie zerrissen das kollektive Gedächtnis in vielen Staaten des ehemaligen Ostblocks nach wie vor ist.

Rolf-Dieter Müller blendet den schwierigen Prozess der Vergangenheitsbearbeitung in Wissenschaft und Öffentlichkeit der osteuropäischen Staaten, die zwischen 1939 und 1945 von den Streitkräften des 'Dritten Reiches' besetzt waren, aus und zitiert auch die entsprechende - mittlerweile reichhaltige - Literatur etwa russischer, ungarischer oder polnischer Provenienz nicht. Allerdings hat er auch einen spezifischen Ansatzpunkt gewählt, der dies nicht zwingend notwendig macht. Müller unternimmt den - weitgehend gelungenen - Versuch, einen Überblick über die Beteiligung nichtdeutscher Soldaten am "Kreuzzug gegen den Bolschewismus" zu geben. Dabei gliedert sich seine Darstellung in drei Teile: Zunächst analysiert Müller die Rolle der Satellitenstaaten (von Italien über Finnland bis Kroatien) und ihrer Kontingente bei den militärischen Operationen gegen die Rote Armee. Dann untersucht er in einem kürzeren Kapitel die Rolle der Freiwilligen aus neutralen oder besetzten Ländern, die sich überwiegend der Waffen-SS anschlossen, um schließlich in den Blick zu nehmen, wie sich die Völkerschaften in den besetzten - zumeist sowjetischen - Gebieten am Krieg gegen den Stalinismus beteiligten.

In den ersten beiden Kapiteln bietet Müller eine zusammenfassende, aber dem Thema angemessene Rekonstruktion der Geschehnisse unter besonderer Berücksichtigung der militärischen Formationen. Der Autor - einer der besten Kenner des Krieges an der Ostfront - bewegt sich vornehmlich auf dem Feld der Politik- und Militärgeschichte, während er etwa der Frage nach der Bedeutung ideologischer Faktoren weit weniger Bedeutung beimisst. Letztlich bietet er ein ebenso abwechslungsreiches wie interessantes Panorama der spezifischen Interessen und Beweggründe, die Verbündete und Satellitenstaaten dazu brachten, sich am angeblichen "Kreuzzug" gegen die Sowjetunion zu beteiligen und macht zugleich die Grenzen ihrer Autonomie in einer Konstellation deutlich, die von der militärischen Stärke des Deutschen Reiches und der bornierten Politik seines "Führers" beherrscht wurde, der Bündnissen keinen großen Wert zumaß. Erst das dritte Kapitel beschäftigt sich mit dem Themenkomplex Kollaboration im eigentlichen Sinne des Wortes, wobei Müller insbesondere auf einzelne Völkerschaften eingeht - von den Balten über Russen und Ukrainer zu den Volksgruppen Kaukasiens. Hier wird auch die ausgesprochene Vielfalt der Motive deutlich, die vor allem Mitglieder der Führungsschichten dazu bewogen hat, den deutschen Besatzern die Zusammenarbeit anzubieten, nicht zuletzt auch im militärischen Sinne. Dabei unterstreicht der Autor den grundsätzlichen Widerspruch zwischen dieser Bereitschaft zur Zusammenarbeit und der nationalsozialistischen Besatzungspolitik, die in erster Linie ideologisch konditioniert war und überdies auf die ökonomische Ausbeutung der eroberten Gebiete zielte.

Auch wird die enorme militärische Bedeutung des Beitrags deutlich, den die nichtdeutschen Soldaten an der Seite der Wehrmacht im schrecklichen Krieg gegen die Sowjetunion leisteten. Müller rechnet vor, dass sich dieser Beitrag auf mehr als ein Fünftel der Invasionsarmee summiert habe, die Hitler im Sommer 1941 aufbieten konnte und kommt zu dem Schluss, dass sowohl die Offensiven des Jahres 1941 als auch die großangelegten Operationen im Sommer 1942 (in ihrer ersten Phase) ohne die Truppen der Verbündeten einen anderen Verlauf genommen hätten. Selbst während des langen Rückzugs nach der Katastrophe von Stalingrad spielten die nichtdeutschen Truppen eine wichtige Rolle, bis hin zur Schlacht um Berlin.

Müller hat ein aufschlussreiches Buch vorgelegt, zumal er sich erstmals an die Überblicksdarstellung eines bisher stiefmütterlich behandelten Themas heranwagt. Es bleiben freilich zwei Defizite, die nicht eben leicht wiegen. Zum einen scheint Müller - vermutlich wegen fehlender Sprachkenntnisse - die neue Historiografie in den Staaten des ehemaligen Ostblocks nicht zu Kenntnis genommen zu haben; auch einschlägige Arbeiten in italienischer oder französischer Sprache ignoriert er. Zum anderen gewichtet er in meinen Augen das militärische Element zu stark, während er Aspekte der Wirtschaft, der Ideologie und auch der Politik vernachlässigt. Schließlich hätte man auch eine Frage von besonderer Bedeutung ausführlicher behandeln können: die Frage nach dem Beitrag von Hitlers fremden Heeren an der Ermordung der jüdischen Bevölkerung in den besetzten Gebieten der Sowjetunion.

Aus dem Italienischen übersetzt von Thomas Schlemmer.

Gustavo Corni