Rezension über:

Nawal Nasrallah: Annals of the Caliphs' Kitchen. Ibn Sayyār al-Warrāq's Tenth-Century Baghdadi Cookbook. English Translation with introduction and glossary (= Islamic History and Civilization. Studies and Texts; Vol. 70), Leiden / Boston: Brill 2007, x + 867 S., ISBN 978-90-04-15867-2, EUR 139,00
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Rezension von:
Jens Scheiner
Freie Universität Berlin
Redaktionelle Betreuung:
Stephan Conermann
Empfohlene Zitierweise:
Jens Scheiner: Rezension von: Nawal Nasrallah: Annals of the Caliphs' Kitchen. Ibn Sayyār al-Warrāq's Tenth-Century Baghdadi Cookbook. English Translation with introduction and glossary, Leiden / Boston: Brill 2007, in: sehepunkte 9 (2009), Nr. 1 [15.01.2009], URL: https://www.sehepunkte.de
/2009/01/14136.html


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Forum:
Diese Rezension ist Teil des Forums "Islamische Welten" in Ausgabe 9 (2009), Nr. 1

Nawal Nasrallah: Annals of the Caliphs' Kitchen

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Man nehme eine Edition von erster Güte, reichere sie an mit einer unbehandelten Handschrift, würze das Ganze durch handgezeichnete Darstellungen und beschäftige sich mehrere Monate damit. Zum Schluss verfeinere man das Ganze durch eine Auswahl von Farbtafeln und serviere es mit einem Glossar. Voilà, fertig ist eine vorzügliche Übersetzung des "ältesten bekannten Kochbuches aus dem Mittelalter" (IX).

"Annals of the Caliphs' Kitchens" ist die englische Übersetzung eines arabischen Kochbuches (Kitāb aṭ-ṭanbīḫ), das vor zwei Jahrzehnten von Kaj Öhrnberg und Sahban Mroueh ediert wurde. [1] Autor ist der unbekannte Ibn Sayyār al-Warrāq, der es um die Mitte des 10. Jahrhunderts als Auftragswerk zusammenstellte.

Kaj Öhrnberg und Sahban Mroueh fertigten die Edition auf Grundlage zweier Handschriften (Oxford, Helsinki) an, wobei sie bei Drucklegung von einer dritten Handschrift in Istanbul erfuhren. [2] Das geplante Vorhaben einer Übersetzung setzten sie nie um. Deswegen griff Nawal Nasrallah das Thema wieder auf, übersetzte den edierten Text und zog die Istanbuler Handschrift als Referenzwerk heran, die eine Adaption von Ibn Sayyārs Kochbuch ist (7).

Nach einer Einleitung zu den Handschriften, dem Autor und den Quellen des Kitāb aṭ-ṭanbīḫ (1-29) beschreibt die Autorin die Küche der Abbasiden (29-55). Im Anschluss stellt sie die galenische Lehre von den humores mit Bezug auf die Zubereitung von Speisen sehr anschaulich dar (55-64). Es folgt die Übersetzung des Kochbuches (65-519), eine ausführliche Aufstellung von Personen und Orten (520-540) und 35 kollorierte Tafeln, die meist Essszenen darstellen. Das Buch schließt mit einem sehr ausführlichen arabisch-englischen Glossar, in dem viele wichtige termini technici des cuisine-Arabischen erklärt werden (543-803), mit einem kurzen englisch-arabischen Glossar (805-842), einer Bibliographie (843-849) und Indices zu Personen, Zutaten, Gerichten und medizinischen Begriffen (850-867).

Die Übersetzung wurde von den Grundprinzipien Genauigkeit und gute Lesbarkeit geleitet (IX). Zusammen mit dem ausführlichen wissenschaftlichen Apparat ist dies eine Übersetzung, die den höchsten Standards von Wissenschaftlichkeit genüge tut.

Nawal Nasrallah macht damit das älteste Kochbuch der islamischen Welt (24), das eine bagdader "haute cuisine" des 10. - vermutlich sogar des 9. - Jahrhunderts widerspiegelt und dessen Rezepte ihren Weg in die mittelalterlichen Kochbücher Europas und in die irakische Neuzeit gefunden haben (28), einem breiten Publikum zugänglich.

Dieses Kochbuch ist in 132 Kapitel eingeteilt und beinhaltet 615 Rezepte, für die 20 Quellen angegeben werden (25), und 86 Gedichte, die meist bestimmte Speisen lobend behandeln. Einige der Gedichte (168, 170, 175, 206, 259, 281 etc.) sind "Rezeptgedichte", das heißt sie beschreiben die Zubereitung eines Gerichtes sehr detailliert. Vermutlich dienten diese Rezeptgedichte - ähnlich wie die Gedichte zur arabischen Grammatik - dazu, sich den Inhalt über Reime leichter merken zu können.

Das Kochbuch beginnt mit der Schilderung der Küchenutensilien und der humoralen Kräfte der einzelnen der Zutaten (Kap. 1-30). Die Kochrezepte setzen mit Snacks und kalten Speisen aus Fleisch, Geflügel, Fisch und Gemüse ein (Kap. 31-47), schildern Ofengerichte, Breie, Bohnen- und Fleischgerichte sowie Omletts (Kap. 48-86) und zeigen Grill- und Grillspießgerichte auf (Kap. 87-92). Desweiteren enthält das Kochbuch Dessertrezepte (Kap. 92-104), Gerichtsvorschläge für Kranke (105-109), sowie alkoholische und nichtalkoholische Getränkerezepte (Kap. 110-126). Es schließt mit Rezepten für Handwaschwasser (Kap. 127-129), Benimmregeln für das Speisen bei Hofe (Kap. 130-131) und einem Kapitel über die Vorteile des Kurzschlafes nach dem Essen (Kap. 132).

Dieses Kochbuch ist für die Sozialgeschichte eine Quelle erster Güte. Es lässt Einblicke in die abbasidische Hof- und insbesondere Speisekultur des 10. Jahrhunderts zu. Es zeugt nicht nur von der Verfügbarkeit zahlreicher Nahrungsmittel (Obst-, Gemüse- und Fleischsorten), sondern auch von der Raffinesse, mit der gekocht und präsentiert wurde. Die Betonung der Hygiene und der Frische der Zutaten gleich am Anfang des Kochbuches zeigen, dass dem Autor die ewiggültigen Prinzipien einer guten Küche bekannt waren. Gleichzeitig bezeugt es den persischen Einfluss am Hof, der sich auch auf Speisen und Gerichte bezog. Insbesondere die Kapitel zu den Speise- und Trinksitten spiegeln die sozialen Regeln zwischen dem Kalifen und dem höfischen Gesellschafter (an-nadīm) wider. Dieser Gesellschafter sollte nicht nur feine Bildung (adab) besitzen, sondern auch kochen können, um mit einem Gericht zur Unterhaltung des Kalifen, der zuweilen ebenfalls einige Gerichte zubereiten konnte, beizutragen.

Gleichzeitig verdeutlicht dieses Kochbuch, inwieweit die Essenskultur in die philosophische Theorie der humoralen Kräfte eingebunden war. Die Aufgabe des Kochs war es, die humoralen Eigenschaften der Zutaten zu kennen und ein Gericht zu komponieren, das zu einem ausgeglichenen körperlichen Zustand des Essenden führte. So sollten zum Beispiel die kalten Eigenschaften der Zutaten, zum Beispiel des Fisches oder der Pfanne, mit den heißen Eigenschaften des Feuers aufgewogen werden (57).

Zu den besonderen Stärken dieser Publikation gehört darüberhinaus der Glossar, in dem sich nahezu alle arabischen Termini zu Speise und Küche finden lassen. Für alle diejenigen, die auf unbekannte Begriffe zur Kochkunst in den Quellen stoßen, bildet dieser Glossar das einschlägige Fachwörterbuch.

Kritisch anzumerken ist der regelmäßige Gebrauch von "bin" anstatt des sonst üblichen "ibn". Die Autorin erklärt ihn damit, dass "bin" für eine direkte Sohn-Vater-Beziehung steht, wohingegen "ibn" auf eine Auslassung (mindestens) des Vatersnamens hindeutet (520, FN 2). Da das alif in "ibnun" ein alif waṣl ist, das als Aposition in Namensketten nicht geschrieben wird, gibt es keinen Grund das ba' mit kasra zu vokalisieren. Ebenfalls gewöhnungsbedrüftig ist die Schreibweise von umm (Mutter) nur mit einem m (165, 348, 539). Irritierend ist die Schreibung eines arabischen Begriffes nach der Nennung des englischen Begriffes ohne den arabischen Begriff in Klammern zu setzen, da der Bezug einem des Arabischen unkundigen Lesers zwischen beiden Begriffen kaum deutlich wird. Darüberhinaus gibt es Inkonsistenzen und (Rechtschreib-) Fehler im Gebrauch der wissenschaftlichen Umschrift: Das Längenzeichen beim Personalsuffix der 3. Person Singular (-hū/-hu) fehlt (36, 37 FN 103 und 106, 45, 520). Fehler treten auf bei Naßr anstatt Naṣr (529), bei al-Warrā'q anstatt al-Warrāq (530), bei Ibn Khillikān anstatt Ibn Khallikān (278 FN 4, 521), bei Aṣfahān für Iṣfahān (230 FN 13) und regelmäßig bei der Zitierung der Quellen nach http://www.alwaraq.net Ein gutes Lektorat hätte solche Ungenauigkeiten erkennen und korrigieren können.

Aus wissenschaftlicher Hinsicht ist die Nutzung von online-Datenbanken, wie http://www.alwaraq.net, sicher von großem Nutzen. Dennoch bleibt das Problem, dass die zitierten Quellen nur schwer zu identifizieren sind, da keine vollständigen bibliographischen Angaben gegeben werden. So ist vor allem die Herkunft der Angaben im Glossar kaum nachzuvollziehen, da die Editionen der nach der online-Datenbank zitierten Quellen nicht genannt werden (543 FN 1).

Abschließend, erschließt sich dem Rezensenten der Obertitel dieser Monographie nicht. Inwiefern kann man von einem Kochbuch als "Annalen", also als Jahrbücher, sprechen? Der Untertitel weist dann den Inhalt des Buches genau aus.

Der hier aufgeführten Kritikpunkte ungeachtet, bleibt diese Monographie eines der wichtigsten Bücher zur mittelalterlichen Kochkunst in der islamischen Welt. Die darin enthaltenen Zeichnungen der Autorin ergänzen den übersetzten Text auf anschauliche Weise. Dieser Band ist ein Schmuckstück unter den Büchern dieser Reihe!


Anmerkungen:

[1] Ibn Sayyār al-Warrāq: Kitāb aṭ-ṭanbīḫ. Ed. K. Öhrnberg/S. Mroueh. Helsinki 1987.

[2] Ibidem, S. IV, FN 9.

[3] W. Fischer: Grammatik des klassischen Arabisch. 2. Aufl. Wiesbaden1987, § 21 a) und § 22 b).

Jens Scheiner