Paul Christesen: Olympic Victor Lists and Ancient Greek History, Cambridge: Cambridge University Press 2007, xvii + 580 S., ISBN 978-0-521-86634-7, GBP 60,00
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Erst kürzlich wies Christian Wallner darauf hin, dass noch kein ausführlicher Kommentar zu einer Liste von Olympioniken aus dem 4. Jahrhundert n. Chr. vorliegt, die auf einer 1994 gefundenen Bronzetafel verzeichnet waren. Wallner hofft, dass bis zur Publikation entsprechender Erläuterungen kein neues Buch über die Olympischen Spiele in der Antike erscheint. [1] Kurz zuvor hatte Christesen sein Opus magnum über die olympischen Siegerlisten in der Antike vorgelegt, das von Wallner noch nicht benutzt werden konnte und eine erschöpfende Behandlung des genannten Themas bietet. Christesen will sowohl einen hohen wissenschaftlichen Standard erreichen als auch einen breiteren Leserkreis ansprechen. Beides ist ihm durchaus gelungen. Er erklärt alle einschlägigen Fachausdrücke, erläutert Fragen der Überlieferung und der Datierung, begründet seinen methodischen Ansatz sowie die historische Relevanz der Namen und der Herkunft der Olympioniken. Darüber hinaus legt er alle wichtigen Quellen für seine Untersuchungen im Originaltext vor und leistet mit einer großen Zahl von Appendizes einen wertvollen Beitrag zu einem weiteren wissenschaftlichen Diskurs über sein Thema.
In einer umfangreichen Einleitung erörtert er zunächst die Bedeutung einer systematischen Interpretation der olympischen Siegerlisten, die nicht nur für die Chronographie in der Antike, sondern auch zum Verständnis antiker Gesellschaftsgeschichte wichtig sind. Außerdem gibt er einen Überblick über die Erweiterung der Spiele durch Einführung neuer Wettkampfarten und vergleicht die Veranstaltungen in Olympia mit den drei anderen großen panhellenischen Sportfesten in Delphi, in Nemea (Argolis) und am Isthmos von Korinth.
Durch einen Sieg in Olympia gewann ein Athlet das größte Prestige, von dem auch die Heimatstadt des Siegers profitierte. Ein Verzeichnis der Olympioniken wurde erstmals von Hippias aus Elis redigiert. Plutarch (Numa 1,4) bezeichnet die Liste als "mühsames Werk" und fügt hinzu, dass es hierfür keine verlässliche Grundlage gegeben habe. Die ersten Olympischen Spiele sollen (nach heutiger Rechnung) 776 v. Chr. stattgefunden haben. Christesen bemerkt hierzu (158), dass es sich nur um einen Annäherungswert handeln könne, aber kein Grund bestehe, die antike Tradition hierüber mit absoluter Skepsis zu beurteilen, da kultische Aktivitäten in Olympia bereits um 1000 v. Chr. begannen. Er räumt aber ein, dass Funde von dreifüßigen Kesseln aus der Zeit um und nach 875 v. Chr. in Olympia noch kein Beweis für die Durchführung festlicher Wettkämpfe sind (479). Gleichwohl möchte er nicht ausschließen, dass die Spiele vor 700 begannen, und zwar in einem bescheidenen lokalen Rahmen (21). Er betont aber auch, dass nur Vermutungen zur Datierung des Beginns der Siegerliste des Hippias möglich sind. Es sei nicht auszuschließen, dass Hippias von der Schlacht bei den Thermopylen 480 v. Chr. ausging, sich an einer Generationenrechnung und an der spartanischen Königsliste orientierte und auf diese Weise das Gründungsjahr der Olympischen Spiele in die vermeintliche Lebenszeit des fiktiven spartanischen 'Staatsgründers' Lykourgos datierte (146-157). In der Folgezeit begannen jedenfalls alle Olympionikenlisten mit dem Jahr 776 v. Chr.
Die Frage der Zuverlässigkeit der Liste der frühen Olympioniken erörtert Christesen in einer Appendix (475-481). Er mahnt hier selbstverständlich zur Vorsicht, zumal die Namen der ersten Sieger vor den Aufzeichnungen des Hippias anderweitig nicht belegt sind.
Das Problem der historischen Relevanz der Liste der frühen Sieger für die Datierung des ersten Messenischen Krieges behandelt Christesen gleichfalls in einer Appendix (482-487). Er polemisiert hier insonderheit gegen die vor längerer Zeit von Franz Kiechle vertretene These, dass Hippias nicht zwei Messenische Kriege, sondern nur einen großen Krieg zwischen Messeniern und Spartanern in archaischer Zeit kannte und die Olympionikenliste unabhängig von antiken Spekulationen zur Chronologie der Messenischen Kriege redigiert haben könnte. [2] Kiechle war überzeugt, dass die Liste eine bessere Grundlage als die unsichere Generationenrechnung biete. Der ungefähre Beginn des ersten Krieges sei in den Zeitraum zwischen dem Ende einer Reihe von messenischen Olympioniken (736 v. Chr.) und der ersten Erwähnung eines spartanischen Siegers in den Spielen des Jahres 720 zu datieren. Demgegenüber sieht Christesen hierin keinen Beleg für die Annahme, dass Hippias die Olympionikenliste unabhängig von der Tradition über die Messenischen Kriege konstruierte. Offenbar hat er die Arbeit von Mischa Meier nicht benutzt, der die größere Zahl der spartanischen Olympioniken im 7. Jahrhundert v. Chr. mit einer wachsenden Bedeutung der spartanischen Aristokratie seit dem späten 8. Jahrhundert erklärt und die Olympionikenliste als Kriterium zur Datierung des ersten Messenischen Krieges für unbrauchbar hält. [3]
Insgesamt hat Christesen eine überaus umfangreiche Forschungsliteratur zu seiner Thematik mit großer Sorgfalt bearbeitet und durch Präsentation der verschiedenen antiken Olympionikenlisten eine solide Grundlage für die Benutzung dieser Quellen geschaffen sowie darüber hinaus methodische Paradigmen für die historische Auswertung dieser Listen geliefert.
Anmerkungen:
[1] Chr. Wallner: Die Olympioniken des 4. Jahrhunderts n. Chr.: Bemerkungen zur Bronzeplatte von Olympia, in: Antike Lebenswelten. Konstanz - Wandel - Wirkungsmacht. Festschrift für Ingomar Weiler zum 70. Geburtstag, hg. von P. Mauritsch, W. Petermandl, R. Rollinger und Chr. Ulf unter Mitarbeit von I. Huber, Wiesbaden 2008, 87-95.
[2] F. Kiechle: Messenische Studien. Untersuchungen zur Geschichte der Messenischen Kriege und der Auswanderung der Messenier, Kallmünz 1959, 9-14.
[3] M. Meier: Aristokraten und Damoden. Untersuchungen zur inneren Entwicklung Spartas im 7. Jahrhundert v. Chr. und zur politischen Funktion der Dichtung des Tyrtaios, Stuttgart 1998, 92; vgl. auch E. Stein-Hölkeskamp, Adelskultur und Polisgemeinschaft. Studien zum griechischen Adel in archaischer und klassischer Zeit, Stuttgart 1989, 119-122.
Karl-Wilhelm Welwei