Manuel Schramm: Wirtschaft und Wissenschaft in DDR und BRD. Die Kategorie Vertrauen in Innovationsprozessen (= Wirtschafts- und Sozialhistorische Studien; Bd. 17), Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2008, XII + 355 S., ISBN 978-3-412-20174-6, EUR 44,90
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Schramm folgt mit seinem Buch, einer von der TU Chemnitz angenommenen Habilitationsschrift, nicht dem einschlägigen Untersuchungsraster im Verhältnis zwischen Wissenschaft, Politik und Wirtschaft, das in der Wissenschaftsgeschichte sonst üblich ist. Stattdessen analysiert der Autor anhand der Kategorie Vertrauen, auf welche Weise Methoden der historischen Innovationsforschung auf die Untersuchung von Wirtschaft und Wissenschaft in der deutschen Nachkriegsgeschichte anwendbar sind.
Zunächst werden Konzepte der Innovationsforschung vorgestellt und ihre Anwendbarkeit auf Untersuchungen in der Wirtschafts- und Wissenschaftsgeschichte erläutert. Schramm sieht seinen methodischen Ansatz als Teil einer "Kulturgeschichte von Innovationsprozessen", die sowohl über einen engen geografischen Rahmen hinausgeht als auch die Heterogenität von Innovationsprozessen in unterschiedlichen Branchen sowie die Dynamik kulturellen Wandels berücksichtigt. Derartigen Anforderungen entspricht seiner Meinung nach am ehesten das in der Unternehmensgeschichte praktizierte Konzept der "Mikropolitik im Unternehmen", das den Betrieb als "komplexes Interaktionsgefüge aus Arbeits-, Kooperations- und Kommunikationsbeziehungen, aus Akteurskoalitionen und Machtstrukturen" begreift (18). Dadurch soll die Interaktion zwischen Akteuren unterschiedlicher Organisationen (Wissenschaftler, Ingenieure, Unternehmer, Politiker) im Innovationsprozess in den Mittelpunkt rücken, um dabei den konkreten Formen der Kooperation, aber auch der Konfrontation und deren Folgen für den Erfolg bzw. Misserfolg von Innovationen näher zu kommen.
Als zentralem Bezugspunkt in diesem Interaktionsgefüge kommt der Kategorie Vertrauen besondere Bedeutung zu. Vorrangige Absicht ist es denn auch, die Bedeutung eben dieses Vertrauens als einer formlosen Institution für den wirtschaftlichen Erfolg einer Gesellschaft zu belegen. Im Lichte dieses Konzepts erschien es besonders ertragreich, DDR und Bundesrepublik miteinander zu vergleichen, da hier die Unterschiede im Hinblick auf gegebene Vertrauensstrukturen besonders augenfällig sind.
Das Vorhaben, den herausragenden Stellenwert von Vertrauen in wirtschaftlichen und wissenschaftlichen Innovationsprozessen anhand von Fallbeispielen aus verschiedenen Branchen (Maschinenbau, Feinmechanik/Optik, Chemie/Pharmazie) sowohl in der DDR als auch in der Bundesrepublik nachzuweisen, hat Manuel Schramm überzeugend umgesetzt. Anhand von regionalen Branchenfallstudien aus Ost und West, in denen Kooperationsbeziehungen zwischen Hochschulen und Forschungsinstituten sowie volkseigenen Betrieben und privaten Unternehmen analysiert werden, weist er schlüssig nach, dass ein großes Maß von Vertrauen zwischen diesen Akteuren tatsächlich eine große Bedeutung dafür besitzt, ob Innovationen gelingen oder scheitern.
Von besonderem Interesse ist die Frage, ob und unter welchen Bedingungen Vertrauensnetzwerke in der DDR entstanden sind und fortdauern konnten. Aus fünf Fallbeispielen für Kooperationen zwischen staatlichen Betrieben auf der einen und Universitäten und außeruniversitären Forschungsinstituten auf der anderen Seite leitet Schramm den Befund ab, dass Innovationen unter den gesellschaftspolitischen Bedingungen einer Planwirtschaft zwar grundsätzlich möglich waren. Jedoch resultierten die nachweisbaren Innovationen auf einigen Technologiefeldern (Lasertechnik, Interferenzmikroskopie) nur zu einem äußerst geringen Teil aus Vertragsbeziehungen zwischen Forschungsinstituten und der Industrie. Wenn es zu einer Innovation kam, so beispielsweise zur Entwicklung und Herstellung eines Interferenzmikroskops durch Carl Zeiss Jena im Jahre 1968, dann ging diese aus einer Eigenentwicklung der Forschungsabteilung des volkseigenen Betriebes hervor. Zwar gab es vertraglich geregelte Beziehungen zwischen Carl Zeiss und dem Institut für Optik und Spektroskopie in Jena, doch seien die Kontakte von gegenseitigen Vorbehalten und Misstrauen geprägt gewesen. Ähnliche Einschätzungen leitet Schramm aus den anderen Fallbeispielen ab.
Die begrenzte Kooperationsfähigkeit zwischen den Akteuren mag zunächst überraschen, denn in der zweiten Hälfte der 1960er Jahre wurde gerade die Vertragsforschung in der DDR staatlich verordnet und reglementiert. Es fehlte aber, so die Quintessenz des Buches, an Vertrauen als wichtiger Basis für erfolgreiche Forschungs- und Entwicklungsbeziehungen zwischen Hochschulen, Instituten und Betrieben, das auch in einem diktatorisch strukturierten Gesellschaftssystem nicht erzwungen werden konnte. So war das Klima der Zusammenarbeit, das zeigt Manuel Schramm am Beispiel der Kooperation zwischen Carl Zeiss und der Universität Jena eindrucksvoll, in den 1960er Jahren "von einem tiefen Misstrauen geprägt, und vieles spricht dafür, dass sich daran nichts Grundsätzliches änderte." (104)
Allerdings ergibt sich aus den Untersuchungen Schramms keineswegs eine Bestätigung der bislang als unumstößlich geltenden Behauptung, die Innovationsschwäche der DDR resultiere aus einer sträflichen Vernachlässigung der Grundlagenforschung, wodurch sich der Rückstand gegenüber dem Westen seit den 1970er Jahre stetig vergrößert habe. In einigen Bereichen, so lässt sich am Beispiel der Molekularbiologie zeigen, bewegte sich die naturwissenschaftliche Forschung - zumindest eine Zeitlang - auf einem hohen Niveau. Schramm kann nun anhand seiner fünf Fallbeispiele fundierte Erklärungen für die Innovationsschwäche der DDR aufzeigen, die über die bislang üblichen Hinweise auf die Grenzen des planwirtschaftlichen Systems weit hinausgehen.
Für die Bundesrepublik werden Beziehungen zwischen Unternehmen (Siemens, Carl Zeiss, Bayer AG) und Universitäten bzw. Hochschulen anhand von Fallbeispielen aus denselben Branchen analysiert. Erwartungsgemäß gelangt Schramm im Vergleich zur DDR zu gegenteiligen, gleichwohl branchenspezifisch differenzierten Ergebnissen. Wird im Maschinenbau über den gesamten Zeitraum von 1949 bis Anfang der 1990er Jahre eine bemerkenswert enge Zusammenarbeit zwischen mittelgroßen Unternehmen und einzelnen Instituten der Technischen Hochschulen und Universitäten diagnostiziert, präsentiert er für die Biotechnologie ein weniger erfolgreiches Untersuchungsergebnis. Hier griffen Unternehmen wie Bayer insbesondere in den 1980er Jahren auf eigene Forschungskapazitäten oder auf Innovationsleistungen aus dem Ausland zurück.
Schramm trübt das ansonsten als makellose Erfolgsgeschichte dargestellte Bild über das westdeutsche Innovationssystem merklich ein. Während in den 1950er und 1960er Jahren die Kooperation zwischen wissenschaftlichen Einrichtungen und Unternehmen relativ stabil funktioniert habe, seien derartige Netzwerke in den Jahrzehnten danach zunehmend fragiler geworden. Auch die gängige These von der wachsenden Verbindung zwischen Hochschule und Wirtschaft in den beiden letzten Jahrzehnten wird durch quantitative Untersuchungen Schramms widerlegt: Seit den 1960er Jahren hat es einen signifikanten Rückgang der Verbindungen zwischen Hochschulen und Industrie in der Bundesrepublik gegeben. Gleichwohl, so resümiert er, habe das westdeutsche Innovationssystem über die Jahrzehnte hinweg seine Anpassungsfähigkeit demonstriert.
Alles in allem belegt der deutsch-deutsche Vergleich, dass der Durchbruch zu wirtschaftlichen Innovationen nicht vordergründig von diesem oder jenem Regierungsprogramm abhing, sondern dass bestimmte kulturelle und gesellschaftliche Bedingungen zu Innovationsschwäche, aber auch -stärke führten. Am Beispiel der staatlich geregelten Vertragsbeziehungen zwischen Wissenschaft und Wirtschaft in ausgewählten Branchen kann Schramm zeigen, auf welche Weise das Fehlen von zivilgesellschaftlichen Strukturen in der DDR zum Scheitern der staatlichen Forschungs- und Innovationspolitik geführt hat. In Anbetracht der vordergründigen Fixierung auf die Kategorie Vertrauen wäre es allerdings doch ratsam gewesen, eine weitere Differenzierung nach Branchen und Technologiefeldern vorzunehmen, um Schramms pauschale Kennzeichnung der DDR als "Vertrauensmangelwirtschaft" stichhaltiger begründen zu können. Insgesamt handelt es sich jedoch um eine anregende Studie, die mit einem tragfähigen und originellen Untersuchungsansatz einen differenzierten Einblick in das Netzwerk von Wissenschaft und Wirtschaft in der deutschen Nachkriegsgeschichte ermöglicht.
Andreas Malycha