Ruth Heftrig / Olaf Peters / Barbara Schellewald (Hgg.): Kunstgeschichte im 'Dritten Reich'. Theorien, Methoden, Praktiken (= Bd. 1), Berlin: Akademie Verlag 2008, XVI + 444 S., ISBN 978-3-05-004448-4, EUR 49,80
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54 Jahre nach Kriegsende stellt der vorliegende Sammelband zur Methodik und Praxis der "Kunstgeschichte im 'Dritten Reich'", der die Ergebnisse einer 2006 in Bonn organisierten internationalen Tagung bündelt, als erster Band der neuen Reihe "Schriften zur modernen Kunsthistoriographie" den längst erforderlichen Auftakt zu einer systematischen Aufarbeitung der kunsthistorischen Fachgeschichte dar. In 22 Beiträgen liefert er nicht nur "zum größten Teil neues Material für die Beschäftigung mit dem schwierigen Kapitel Wissenschaft im 'Dritten Reich'", sondern berücksichtigt zudem "angrenzende Bereiche, in denen Kunsthistoriker während des Nationalsozialismus tätig waren, wie das Museum, die Kunstkritik oder die Denkmalpflege" (XI). So vermag diese aufschlussreiche Publikation, die die Aufmerksamkeit des Lesers bis zur letzten Seite fesselt, nachdrücklich den Wunsch nach weiterreichenden fachspezifischen Selbstreflexionen zu wecken.
Der Band gliedert sich in vier unterschiedlich gewichtete Teile, von denen der erste "Aspekte der Fachgeschichte heute" behandelt. Frank-Rutger Hausmann eröffnet ihn mit Überlegungen zur grundsätzlichen Bedeutung von Fachgeschichte. Ihm zufolge beginnt die relevante "Zeitachse mit dem Ende der napoleonischen Ära" und der Gründung der Humboldt-Universität, in der sich die Geisteswissenschaften auf die Erforschung des europäischen "Volksgeist[es]" konzentrierten (6). In der Folgezeit hätten sich vier Paradigmenwechsel vollzogen. Der erste habe sich nach dem Ersten Weltkrieg in dem divergenten Verständnis von der landeseigenen Kultur als "individuelle" Schöpfung "des menschlichen Geistes" und von der fremdländischen als Ausdruck eines "Volkscharakter[s]" manifestiert (6). Der zweite situiere sich "nach 1933", als die "Entbarbarisierungsthese" kulturelle Errungenschaften "einem germanischen Superstaat" zuschrieb; der dritte "nach 1945" mit der Rückbesinnung auf "idealistische" Werte und der vierte in die Jahre "um 1960" mit der "verspätete[n] Rezeption des Strukturalismus" (6).
Heute hätten die "deutschen Geisteswissenschaften" generell "immer noch unter ihrer Vergangenheit zu leiden", da sie "keineswegs alle ihnen zu Gebote stehenden Möglichkeiten" ausschöpfen und "sich mit ihrer jüngeren Vergangenheit nicht kritisch auseinander[setzen]" würden (6). Ein Anfang sei jedoch gemacht, indem die Internetdatenbank des von Barbara Schellewald geleiteten Projektes "GKNS Geschichte der Kunstgeschichte im Nationalsozialismus" die Grundlagen zur Erforschung der Geschichte "wichtiger kunsthistorischer Institute" liefere (13). [1] Papenbrock sieht in der Adaption von soziologischen und kommunikationswissenschaftlichen "handlungs- und diskurstheoretische[n] Konzepte[n]" weitere "methodische Perspektiven" für die kunsthistorische Fachgeschichte (31-32).
Im zweiten Teil exemplifizieren "Biographische Zugriffe" den Umgang mit national(sozial)istischen Ideologien im akademischen Umfeld. Im Fokus stehen zunächst drei Hochschullehrer für Kunstgeschichte: Hubert Schrade, der nach Dietrich Schubert als "strammer Nazist" (71) an der Heidelberger Universität Karriere machte und diese, wie Nicola Hille weiter ausführt, nicht nur ab 1941 an der "nationalsizialistischen Musteruniversität" (92) in Straßburg ausbauen, sondern auch nach 1945 - wie "viele ehemalige Straßburger" Professoren (102) - unbehelligt in Tübingen fortsetzen konnte (101-102). Der in Wien lehrende Josef Strzygowski, der Ernö Marosi zufolge bereits "um 1920 [...] seine Milieutheorie [...] zu einem System der Rassentypologie der Kulturen ausgebaut" hatte (107) und den "eher organisatorisch-politische[n] als wissenschafliche[n] Bestrebungen" leiteten (109). Und Ernst Diez, der Kunstgeschichte als Lehrfach in der Türkei etablierte und nach Burcu Dogramaci mit seinem Buch "Türkische Kunst" (1946) schließlich "mit eben jenen nationalistischen Tendenzen in Konflikt [geriet], die seinem Lehrer und Mentor Josef Strzygowski einst zu großer Beachtung in der Türkei verholfen hatten" (129), weshalb er 1950 die Türkei verlassen musste (131).
Für den Kunstkritiker Paul Fechter umreißt Andreas Zeising "eine publizistische Laufbahn im 'Dritten Reich', deren Weg von Affirmation zu Resignation und 'innerer Emigration' exemplarisch sein dürfte" (172). Auch der Hannoveraner Museumsdirektor Alexander Dorner befand sich Ines Katenhusen zufolge "auf und zwischen den Stühlen" (156). Hingegen erwies sich der in Bremen als Museumsleiter und Hochschullehrer tätige Emil Waldmann nach Kai Artinger über die bisherige Einschätzung als "Mitläufer" hinaus (154) als "loyal bis in den Untergang" (134). Insgesamt verdeutlicht diese Sektion, wie politische Ideologien in unterschiedlichen historischen Epochen, Ländern und Tätigkeitsfeldern den vorgeblich wissenschaftlichen Anspruch dominiert haben, weshalb Fachgeschichte grenzüberschreitende Perspektiven erfordert.
Der dritte Teil widmet sich der "Methodik, Terminologie und Vermittlung einer 'deutschen' Kunstgeschichte". Besonders aufschlussreich ist Anja Schürmanns Beitrag über "'rechte' und 'linke' Ideologisierungen. Wilhelm Pinder und Richard Hamann beschreiben staufische Kunst" (245), in dem sie zu dem überraschenden Ergebnis kommt, dass sich die jeweiligen "ideologischen Überschreibungen [...] durch ein relativ einheitliches sprachliches Instrumentarium nachweisen" lassen, durch das zugleich aber "die eigenen Intentionalitäten verschleiert werden" sollten (259). Ebenso erhellend ist Stefan Schweizers Untersuchung der "historischen Festumzüge zum Tag der Deutschen Kunst in München" (260): Er weist "eine auf die 'Versinnlichung des Politischen' zielende Programmatik" der nationalsozialistischen Kunstbestrebungen nach (262) und zeigt auf, dass "die Münchner Festumzüge als der erstaunliche Versuch bewertet werden [müssen], [...] einen nationalsozialistischen Minimalkonsens der Geschichts- und Kunstgeschichtsvorstellungen zu veranschaulichen" (264), dessen Ausarbeitung zu einer "rassisch geleiteten 'Deutschen Kunstgeschichte'" am "Kriegsverlauf" scheiterte (279).
Im letzten Teil nimmt der Band "Kunstgeschichte zwischen Propaganda und Verbrechen" in den Blick, wobei der Schwerpunkt nun auf Aspekten der Denkmalpflege liegt. Im Schlussbeitrag "Tatort Nizza: Kunstgeschichte zwischen Kunsthandel, Kunstraub und Verfolgung" skizzieren Christian Fuhrmeister und Susanne Kienlechner die berufliche Vita des jüdischen Kunsthistorikers August Liebmann Mayer, der im Lauf seiner Karriere mit sich steigernden Schikanen konfrontiert worden ist, die 1944 "schließlich mit Mayers Ermordung in Auschwitz enden sollten" (406). Das Resümee der beiden Autoren lautet wie folgt: "Insgesamt kann festgehalten werden, dass Karrierestreben, Habgier und Opportunismus deutscher Kunsthistoriker es verhinderten, [...] [den vom Regime attackierten Kollegen] jene Hilfe und Unterstützung zu gewähren, die auch unter den geschilderten Bedingungen jederzeit möglich gewesen wäre" (429). Möge uns dies im medienübergreifend gefeierten "Darwin-Jahr 2009" eine Mahnung sein - und möge die Forschung den mit dieser hervorragenden Publikation beschrittenen Weg frei weiter gehen.
Anmerkung:
Marion Bornscheuer