Hansjörg Küster: Schöne Aussichten. Kleine Geschichte der Landschaft, München: C.H.Beck 2009, 127 S., 7 Farbabb., ISBN 978-3-406-58570-8, EUR 12,00
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Der Hannoveraner Ökologe Hansjörg Küster hat es unternommen, die Geschichte der Mensch-Natur-Beziehung im nacheiszeitlichen Europa auf etwa 100 Textseiten darzustellen. Der Titel "Schöne Aussichten" führt insoweit in die Irre, denn es geht Küster um mehr als nur die Entwicklung des 'landschaftlichen Auges' (W.H. Riehl) der Menschen. Der Autor will "die großen Linien der Landschaftsgeschichte" nachzeichnen, ebenso wie die "verschiedenen Einflüsse auf die Entwicklung der Landschaft" (16) selbst. Dass es dabei nicht bloß um Rekonstruktionen geht, sondern um eine typologische Neukonstruktion, macht Küster gleich zu Anfang deutlich. Das Buch selbst ist im Innern ansprechend gestaltet und übersichtlich gesetzt und gegliedert. Den einzelnen Kapiteln gehen sieben farbige Abbildungen des Genres der Landschaftsmalerei voran. Äußerlich kommt das Bändchen allerdings etwas bieder daher, im 'blassgrünen Rock' sozusagen. Da das Buch augenscheinlich für ein breites Sachbuchpublikum verfasst wurde und historische wie natürliche Prozesse und wissenschaftliche Erkenntnisse dementsprechend auf ein allgemein verdauliches Niveau gehoben werden mussten, liegt die Aufgabe des Rezensenten vor allem darin zu beurteilen, ob dies verständlich und ohne allzu starke Verzerrungen und Vereinfachungen gelungen ist.
In Kapitel zwei und drei geht es dem Autor zunächst um grundlegende Funktionsweisen natürlicher Prozesse, beispielsweise der Sukzession in Waldlandschaften, und um die Prinzipien menschlichen Handelns in der Natur, die Züchtung von Kulturpflanzen etwa. Ganz nebenbei bringt Küster dann auch jene moralischen und normativen Botschaften unter, die es uns immer wieder schwer machen, die Ökologie im Konzert der Natur- und Kulturwissenschaften genau zu verorten. Ein Beispiel: "Wandel ist eine wesentliche Eigenschaft von Natur!" (27) Und: "Während die Natur die Landschaft stets verändert, haben die Menschen die Absicht, Stabilität in ihrer Umwelt und infolgedessen auch in der Landschaft zu erreichen." (31) Mag dies auch apodiktisch klingen, so finden sich doch immer wieder schöne Abschnitte, in denen auch komplexere Prozesse eingängig und verständlich erklärt werden, etwa eine Problematisierung der Begriffe "Naturlandschaft" und "Kulturlandschaft" (40) oder die Ökotopen-Grenzlage vieler vormoderner Siedlungen (44f.). Kritischer zu beurteilen sind Küsters Ausflüge in die Universalgeschichte im vierten Kapitel, die die zwischen den Polen sesshafter und nicht sesshafter Lebensweise operierenden Bevölkerungen als "Zivilisierte" bzw. "Wilde", wahlweise auch "Barbaren" oder "Unzivilisierte" kategorial einordnen. Diese im 19. Jahrhundert konstruierten Begriffe dienten nicht zuletzt häufig der Legitimierung imperialer und kolonialer Ansprüche und inspirierten die vermeintlich Zivilisierten, die 'Anderen' mit Zivilisierungsmissionen zu überziehen. "Wildheit" ist wie "Wildnis" vor allem eine ideologielastige Zuschreibung, die man schlecht zu heuristischen Zwecken einsetzen kann, noch weniger zum Wissenstransfer im populären Sachbuch. Ein Beispiel ist "Kaiser Karl der Große, unter dem die Zivilisierung Europas weit nach Norden und Osten ausgeweitet wurde." (61) Dass dem Autor die Problematik bewusst sein dürfte, machen die eher willkürlich anmutenden Anführungszeichen deutlich, zwischen die Zivilisation und Wildnis manchmal gestellt werden, und manchmal nicht.
Im fünften Kapitel stellt Küster eine ganze Reihe metaphorischer Landschaften vor: Von der 'erhabenen' Wildnis über 'paradiesische', italienische, französische und englische Gärten bis hin zur amerikanischen Wildnis, den Schweizer Bergen, dem 'deutschen Wald' oder der dörflichen Idylle. Die eigentliche Stärke des Buches sind die beiden letzten Kapitel, die sich mit der Idee des Naturschutzes seit dem 19. Jahrhundert befassen und Vorschläge für die "Zukunft" der Landschaft machen. Kurz und prägnant schildert Küster die romantische Neukonstruktion einer urwüchsigen Natur am Beispiel der Lüneburger Heide und ihrer Unterschutzstellung und problematisiert den fehlenden Blick für das Prozesshafte der Natur und die Auswirkungen dieses Fehlens in der Begriffsbildung und Gesetzgebung zum Naturschutz. Die Zukunft der Landschaft hat für Küster schon begonnen, etwa in der europäischen Landschaftskonvention, die Landschaftsschutz als demokratisches und kulturelles Aushandlungsproblem fasst. Für den Ausstieg aus dem fossilen Zeitalter, mit dem auch eine neue Nahrungskrise droht, schlägt Küster vor, Anleihen in der vorindustriellen Zeit zu nehmen, die einzelne natürliche Ressourcen nicht simplifiziert nutzte, sondern vielfältig, und auf die Diversität der Nutzpflanzen achtete. Landschaft ist für Küster ein Identitätsanker - hier trifft er sich mit den bürgerlichen Naturschützern des Fin de Siècle - und Landschaftsschutz oder -planung ein Mittel der 'Landflucht'. Allerdings empfiehlt er, kreativ mit der identifikatorischen Funktion der Landschaft umzugehen, neu Zugezogene zu integrieren, landschaftliche Identitäten nicht als naturgegeben zu betrachten.
Die "Kleine Geschichte der Landschaft" ist in vielen Teilen lesenswert, erklärt ökologische Zusammenhänge eingängig und legt besonders im letzten Teil eine routinierte und klare Bewertung des Natur- und Landschaftsschutzes der letzten beiden Jahrhunderte vor. Die abgeleiteten Thesen für die Zukunft sind ein fundierter Debattenbeitrag, wenn ihnen auch nicht jeder zustimmen wird. Störend allerdings sind die allzu schematischen Ausführungen zum menschlichen Handeln in der Natur, die in weiten Teilen auf den Konflikt zwischen 'Zivilisierten' und 'Wilden' reduziert werden.
Richard Hölzl