Barbara Kink: Adelige Lebenswelt in Bayern im 18. Jahrhundert. Die Tage- und Ausgabenbücher des Freiherrn Sebastian von Pemler (1718-1772) (= Studien zur bayerischen Verfassungs- und Sozialgeschichte; Bd. 26), München: Kommission für bayerische Landesgeschichte 2007, XLVI + 398 S., ISBN 978-3-7696-6876-6, EUR 42,00
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Barbara Kink widmet sich in ihrer Dissertation einem bayerischen (Klein-)Adligen und seinem Umfeld, dem Freiherrn Sebastian Joseph Anton von Pemler (1718-1772), der seit 1760 Hofmarksherr in Hurlach und seit 1762 in Leutstetten war.
Trotz der Fokussierung auf eine Person besteht Barbara Kinks Anliegen darin, "nicht nur im Detail und im Konkreten eines einzelnen Menschenlebens zu verharren, sondern allgemeine und wiederholbare Haltungen im Besonderen wiederzufinden und herauszufiltern" (1). Dabei ist sie sich der Schwierigkeit des von ihr gewählten personenzentrierten, mikrohistorischen Ansatzes bewusst. Ihre Studie versteht sie daher als ein einzelnes Element im Bemühen, die Lebensumstände des Landadels zu erforschen, der, obwohl er in Spätmittelalter und Früher Neuzeit überall äußerst präsent war, von der Forschung nicht genügend beachtet worden ist. Das Buch gliedert sich in ein dem Hauptteil vorangehendes Abkürzungs- sowie ein Quellen- und Literaturverzeichnis und wird durch ein kombiniertes Orts- und Personenverzeichnis erschlossen. Fünf Großkapitel, welche wiederum in Kapitel und Unterkapitel untergliedert sind, bilden den Hauptteil.
Die Einleitung (1-43) befasst sich mit dem methodischen Gerüst und geht vor allem auf die Begriffe "Lebenswelt" und "Alltag" sowie ihre Beziehung zueinander ein, außerdem auf Forschungsstand und Quellenbasis der vorliegenden Untersuchung. Das zweite Kapitel widmet sich dem Freiherrn von Pemler, seiner Familie und seiner Zeit (44-109), das dritte und umfangreichste dem "ganzen Haus", der Ökonomie und dem Haushalt (110-286). Kapitel IV (287-385) schließlich geht - bevor Kap. V (386-389) die Ergebnisse zusammenfasst - auf den adligen Alltag mit Tages- und Jahresablauf, die Personennetze, nicht alltägliche Ereignisse, adlige Muße und existentielle Bedrohungen ein sowie auf die Frömmigkeitsformen und die Geisteswelt Sebastian von Pemlers.
Freiherr von Pemler war "ein klassischer Vertreter des im 16. und 17. Jahrhundert aus dem bürgerlichen Milieu emporkommenden Dienstadels", an dem "spezifische Verhaltensmuster" zu erkennen sind (386). Durch den Besuch der Jesuitenschule in Landsberg und der Ingolstädter Universität war er juristisch gebildet und besaß Kenntnisse in mehreren Sprachen sowie verschiedenste weitere Interessen. Doch gelang es ihm nicht, wie sein Großvater eine Stelle am kurfürstlichen Hof in München zu erlangen, vermutlich weil sein Vater, Franz Joseph von Pemler, seine Amtspflichten dort vernachlässigt hatte.
Obwohl er sich vorwiegend auf seinen Landsitzen, insbesondere in Hurlach, aufhielt, bemühte sich Sebastian um Kontakte zum Münchener Hof und zur Münchener Gesellschaft. Sein Beziehungsnetz, das er vor allem seiner Verwandtschaft zu verdanken hatte, reichte bis in den Hochadel hinein. In der Hofmark Hurlach lässt sich der positive Effekt einer fast ständigen Anwesenheit des Grundherrn an seinem Verhältnis zu den Untertanen feststellen, was sich in Leutstetten erkennbar anders gestaltete. Nicht nur finanziell profitierten die Hurlacher, von Pemler trat auch als Streitschlichter auf, kümmerte sich um die Armenfürsorge und machte zu besonderen Anlässen Geschenke.
Wie im bayerischen Landadel üblich, waren Hurlach und Leutstetten klassische Rentengrundherrschaften, von deren Abgaben in Geld und Getreide Sebastian von Pemler neben den Erträgen aus seiner zunehmend reduzierten Eigenwirtschaft lebte. In seiner Person begegnet ein Vertreter des Niederadels, dem es - ganz im Widerspruch zu gängigen Klischees - sehr wichtig war, den Überblick über seine Finanzen und ein ausgeglichenes Verhältnis von Einnahmen und Ausgaben zu erhalten - insbesondere als er über keine Ämter oder andere zusätzliche Geldquellen verfügte.
Seine Einkünfte verwendete er vor allem für die anfallenden Kosten und den Statuskonsum, der erforderlich war, um den Standesgenossen gegenüber einen angemessenen Lebensstil zu demonstrieren. Dabei war sein Haushalt keineswegs autark und völlig anders organisiert als es die Hausväterliteratur mit der Beschreibung des "ganzen Hauses" propagierte. In Bezug auf das (vermutlich) relativ konfliktfreie Verhältnis zu seinen Geschwistern, die späte Heirat, die Wahl einer Ehefrau aus dem böhmischen Adel und die im Haushalt fehlenden Kinder, unterschied sich der Freiherr jedoch vom durchschnittlichen bayerischen Landadligen seiner Zeit.
Barbara Kink nähert sich dem Freiherrn, seiner Lebens-, Gedanken- und Gefühlswelt vor allem über die von ihm geführten Tage- und Ausgabenbücher, welche "sowohl die materielle als auch die geistige Beschaffenheit der Lebenswelt des Freiherrn von Pemler" zeigen (2). Ergänzungen in verschiedenen Punkten erlauben Einzeldokumente, wie Ehevertrag und Testament, sowie das sogenannte "Miszellenbändchen", in dem genealogische Mitteilungen über die Familie von 1644 bis zu Sebastians Tod, aber auch Kompositionen des Freiherrn und verschiedenste Informationen wie Rezepte, Verse und Sentenzen oder Anleitungen für Kartenkunststücke enthalten sind.
Die Tagebücher - allesamt höchst private, teilweise in Schreibkalender eingetragene Gedächtnistagebücher oder Erinnerungsjournale - informieren über den Tagesablauf, berichten (wenn auch in geringem Maß) über Gefühle und außergewöhnliche Ereignisse, die Lektüre oder die Spielleidenschaft Sebastians. Die rein chronologisch aufgebauten Ausgabenverzeichnisse geben tiefe Einblicke in die Organisation des Haushalts und sein Ausgabenprofil. Wie bei "alltäglichen" Quellen zu erwarten, hat sich nur ein Bruchteil des Materials erhalten: die Tagebücher aus den Jahren 1748-1751 und 1763-1765 sowie die Ausgabenbücher aus den Jahren 1763-1782. Ob niederadlige Rechnungsbücher allerdings so selten überliefert sind, wie die Verfasserin meint (40f.), darf zumindest mit Blick auf das Rheinland bezweifelt werden. Da die Autorin eine möglichst sämtliche Lebensabschnitte und -bereiche umfassende Biographie ihres Protagonisten entwerfen möchte, die erhaltenen, auf unterschiedliche Archive verteilten Quellen aber über manches, wie etwa die Jugendzeit, kaum Auskunft geben, ist sie gezwungen, die Lücken durch aus anderen Quellen und der Literatur gewonnene Erkenntnisse zu rekonstruieren. Insbesondere die Aufzeichnungen von Sebastians Neffen Franz Caspar von Donnersberg boten sich zur Ergänzung an. Der Blick auf die "Lebenswelt" rechtfertigt diese Vorgehensweise, bei der biographische und strukturgeschichtliche Ansätze miteinander verbunden werden, nicht zuletzt, um den Einfluss der kollektiven Bindungen und den Gruppenzwang innerhalb des Adels aufzuzeigen. Dass dabei dennoch vieles hypothetisch bleiben muss, versteht sich von selbst und unterstreicht die hier in der Quellenlage begründeten Grenzen des mikrohistorischen Ansatzes.
In Anbetracht der Fülle von - oft längeren - Zitaten aus den Aufzeichnungen Sebastian von Pemlers und anderer Personen, hätte man sich die ein oder andere Bemerkung zu den Transkriptionskriterien gewünscht. Die hier offenbar gewählte Form der paläographischen Abschrift erschwert dem Leser die Lektüre unnötig, da weder Satzzeichen, noch Groß- und Kleinschreibung bzw. Getrennt- und Zusammenschreibung vereinheitlicht oder Abkürzungen aufgelöst wurden. Irreführend ist beispielsweise die Wiedergabe der in der Frühen Neuzeit üblichen Abkürzungsschlaufe als Kleinbuchstabe "l", wie es u.a. bei "Herr" (abgekürzt "hl" für "h" plus Schlaufe) oder "gnädig" (abgekürzt "gnädl" für "gnäd" mit Schlaufe) in der gesamten Arbeit verwendet wird. Die in Anmerkung 164 (32) angegebene Bedeutung "hl" = hochlöblich ist mit Sicherheit unzutreffend.
Einige weitere Unstimmigkeiten in dem insgesamt gut lesbaren und informativen Werk sollen zum Schluss dennoch angesprochen werden: Neben den relativ zahlreichen Druck-, Interpunktions- und Grammatikfehlern (z. B. "plenitudine protestatis", 120) sticht die auf Seite 60 angegebene Jahreszahl 1276 für den Beginn der Postanbindung Hurlachs ins Auge. Bei dem genannten Titel der Braut von Pemlers, Anna Maria von Karwinsky, handelt es sich wohl um den Titel ihres Vaters, da er den Bestandteil "Herrn auf Zwiefon, Sihlapanow" etc. enthält (97). Paragraph 4 des Heiratsvertrags ("4to die hochzeit schenckhung erlangend wird solche der gnädl. freule selbst aigner gnädiger willkur. und bestimmung gänzlich anheimbgestellt") (100) ist nach Ansicht der Rezensentin keinesfalls so zu verstehen, dass die Braut ein weiteres Geschenk frei wählen konnte (102), sondern meint die Verfügungsgewalt über die zuvor genannten Summen. Die Morgengabe wiederum bestand nicht aus 3000 Gulden, sondern aus 2000, die von der Verfasserin hinzu addierten 1000 Gulden bildeten die Widerlage, d.h. den Betrag in Höhe der Mitgift der Braut, welchen der Bräutigam unabhängig von der Morgengabe zu zahlen verpflichtet war. Zudem sollte man die oft floskelhaften Teile aus Rechtsdokumenten wie dem Testament nicht wörtlich nehmen: So kann man allein auf Grundlage des Testaments wohl nicht darauf schließen, dass der Freiherr seinem Tod gefasst entgegensah und auch nicht auf die Qualität des Verhältnisses zu seiner Ehefrau. Nicht ganz nachvollziehbar ist die Behandlung des "Pemlerschen Stipendiums" im Unterkapitel "Der Schulmeister", da es nicht für Kinder von Dorfbewohnern, sondern für Standesgenossen vorgesehen war (130), ebenso wenig die Einordnung des Kapitels "Der Kammerherr", das die kurfürstliche Bürokratie behandelt, in das Großkapitel über das "ganze Haus".
In Bezug auf das Kapitel "Der Untertan", das die Domestizierung des bayerischen Adels im Absolutismus im Sinne von Norbert Elias beschreibt, soll an dieser Stelle noch auf das Werk von Aloys Winterling hingewiesen werden, der Elias These für Kurköln zurückgewiesen hat. [1] Ungeachtet der Unschärfen im Detail handelt es sich insgesamt um eine Studie, die aufschlussreiche Befunde zum Landadel in der Frühen Neuzeit bietet und damit einen weiteren Beitrag zu einer Thematik leistet, die nach wie vor umfangreicher Forschungsanstrengungen bedarf.
Anmerkung:
[1] Aloys Winterling: Der Hof der Kurfürsten von Köln 1688-1794. Eine Fallstudie zur Bedeutung "absolutistischer" Hofhaltung (=Veröffentlichungen des Historischen Vereins für den Niederrhein, insbesondere das Alte Erzbistum Köln; 15), Bonn 1986.
Monika Gussone