Michael Stöneberg: Arthur Köster - Architekturfotografie 1926-1933. Das Bild vom "Neuen Bauen", Berlin: Gebr. Mann Verlag 2009, 414 S., 330 Bildtafeln, ISBN 978-3-7861-2583-9, EUR 118,00
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Der bis heute weit verbreitete, unzutreffende Eindruck, dass das "Neue Bauen" im Deutschland der Weimarer Republik vorherrschend war, ist maßgeblich der medialen Vermittlung dieser Bauten mittels der Architekturfotografie zu verdanken. Nicht zuletzt aufgrund der in den 1920er- und 1930er-Jahren noch sehr begrenzten Mobilität waren Architekturfotografien maßgebend für die Rezeption zeitgenössischer Bauten. Viele zeitnahe Publikationen von Neubauten besaßen auch einen werbenden Charakter. Einer der wichtigsten Architekturfotografen dieser Zeit war Arthur Köster (1890-1965), der lange auch unter Kunsthistorikern weitgehend unbekannt war. Seine Aufnahmen hingegen haben viele bedeutende Bauwerke des "Neuen Bauens" über Architekturzeitungen einem breiten Publikum nahe gebracht und prägen die öffentliche Wahrnehmung dieses Zeitabschnittes bis heute. Beispielhaft seien hier neben den Bauten Erich Mendelsohns die Berliner Großsiedlungsbauten aus der Zeit der Weimarer Republik (Siedlung Siemensstadt, Hufeisensiedlung in Britz und die Waldsiedlung Onkel Toms Hütte in Zehlendorf) oder die Dokumentation der städtebaulichen Wettbewerbe um den Potsdamer Platz (1928/29) und den Alexanderplatz (1929) genannt.
Während Michael Stönebergs mit seinem gewichtigen Buch, zugleich die Publikation seiner Dissertation an der Universität Göttingen, erstmals ein bisher fehlendes Werk- und Publikationsverzeichnis von Kösters Fotografien des "Neuen Bauens" vorlegt, wird er seinem Anspruch, die Rolle der Fotografie im Vermittlungsprozess der Architekturauffassungen der 1920er- und 1930er-Jahre zu untersuchenöäö, leider nur in Ansätzen gerecht. In fünf Kapiteln beschreibt Stöneberg Kösters Biografie und Fotowerkstatt, die Umstände seiner Beauftragung, Kösters Darstellungen moderner Architektur sowie die Verwendung seiner Fotos und schließlich Kösters Beitrag zum Bild des "Neuen Bauens". Lesenswert ist seine Biografie Arthur Kösters. Zum ersten Mal hat hier ein Autor den Lebensweg dieses bedeutenden Fotografen rekonstruiert. Während seiner Zeit als Chef-Fotograf seit 1919 bei Ernst Wasmuth, dem Herausgeber der 1914 gegründeten berühmten "Wasmuths Monatshefte für Baukunst", arbeitete Köster schon für Mendelsohn. Nach Gründung seiner eigenen "Fotowerkstatt" 1926 konnte sich Köster bei 16 Architekten des "Neuen Bauens" als Hausfotograf etablieren, neben Mendelsohn u.a. bei Bruno Taut, den Brüdern Luckhardt & Anker, Max Taut & Hoffmann und Otto Haesler, sowie in geringerem Umfang bei Hans Poelzig, Thilo Schoder, Rudolf Otto Salvisberg, Martin Wagner, Walter Gropius, Hans Scharoun und Hugo Häring. Die durch Emigration verlorenen Kunden kompensierte Köster ab 1933 pragmatisch durch wichtige Großaufträge für das NS-Regime (u.a. Fotos vom Reichsluftfahrtministerium, dem Flughafen Tempelhof, den neuen Reichsautobahnen und Speers Modelle für Germania), die ihm Ernst Sagebiel, Mendelsohns ehemaliger Mitarbeiter, der 1933 dessen Büro übernahm, vermittelte. Warum das NS-Regime an Kösters vorheriger Arbeit für die Architekten des "Neuen Bauens" keinen Anstoß nahm, wäre interessant gewesen zu erfahren. Leider beschränkt sich auch Stönebergs Darstellung im Folgenden auf Kösters Aufnahmen aus den Jahren 1926-33.
Die unbestritten große Leistung Stönebergs ist seine systematische Auswertung von 16 Architekturfachzeitschriften und 15 architekturnahen Periodika aus den Jahren 1926-33 nach Bildern Kösters sowie u.a. des Nachlasses Kösters, des Archivs der Berliner Akademie der Künste und des Bauhausarchivs. So kann der Autor detailliert nachweisen, welche Bilder Köster für wen aufgenommen hat. Zusätzlich zu den über 1.000 Glasplattennegativen Arthur Kösters aus dem Archiv der Akademie der Künste hat Stöneberg auf diese Weise rund weitere 1.000 der oftmals unsignierten und nicht gestempelten Fotos identifiziert und Köster zugeschrieben. öDa viele Originalaufnahmen oder Negative verschollen sind, ist die Reproduktionsqualität der 390 Abbildungen mitunter recht unterschiedlich.
Ausführlich beschreibt der Autor den Prozess der Bildherstellung. Üblich waren Retuschen von sichtbaren Baumängeln, störenden Schildern und Passanten oder im Kundenauftrag - wie Stöneberg mutmaßt - zur Aufhellung und Abdunkelung ganzer Partien, um den Bau hervorzuheben. Zwar kann Stöneberg beeindruckend viele Auftraggeber Kösters identifizieren, jedoch bleibt die für die Architekturfotografie zentrale Frage einer Abstimmung zwischen Fotograf und Auftraggeber leider weitgehend ungeklärt. Genaue Vorgaben seitens der Auftraggeber, die Stöneberg lediglich vermutet, dürften nahe gelegen haben. Denkbar ist, dass die Architekten mehr als nur den Standpunkt für die Aufnahmen vorgegeben haben und so die Bildgestaltung maßgeblich beeinflusst haben, wie dies Simone Förster etwa für die Aufnahmen der Bauten Mendelsohns nachgewiesen hat. [1] Kösters Lehrlinge, die Stöneberg gegenüber zur Bildherstellung detaillierte Angaben gemacht haben, hätten hier vielleicht näheren Aufschluss geben können. Bei einer, wie Stöneberg einleitend konstatiert, intendierten Funktionalität der Architekturfotografie für einen werbenden Vermittlungsprozess wäre dies eine der zentralen Fragen für das Verständnis von Kösters Bildern gewesen.
Die Schwierigkeit und der Reiz von Architekturfotografie liegen jedoch immer in der Verbindung und dem Wechselspiel von Dokumentation und Interpretation der Bauten. Hier bleibt der Erkenntnisgewinn von Stönebergs umfangreichen formalen Bildanalysen im dritten Teil des Buches offen. Die Gruppierung von Kösters Aufnahmen nach Kriterien wie z.B. Tages-, Nacht- oder Kunstlichtaufnahmen, Rahmungen durch Bäume und Laternenmasten oder nach Automobilen im Bild scheint allzu schematisch. Der Aussagewert der verschiedenen Diagramme, etwa zu Lichtverhältnissen in Kösters Aufnahmen, bleibt begrenzt. Gleichzeitig jedoch verharrt die Untersuchung der Bilder zu sehr im Formalen, so dass Stönebergs enzyklopädische Arbeit den Zugang zur Architekturfotografie nicht vom Bild als Objekt her sucht, sondern allein von der Publikation her. Die Rolle der Fotografien als Architekturvermittlung und Interpretation der Bauten, die im Idealfall in einer visuellen Manifestation der Architekturgedanken münden kann, hätte hier stärker beleuchtet werden können. Instruktiv wäre zudem ein Vergleich von Kösters Aufnahmen des "Neuen Bauens" mit denen gewesen, die er nach 1933 für die Nationalsozialisten anfertigte, um Kontinuitäten und Wechsel in der Blickweise und der Bildstrategie des Fotografen herauszuarbeiten.
Eine Stärke von Stönebergs Buch ist, dass er viele Bauten zeigt, die den Zweiten Weltkrieg nicht überlebt haben oder später verunstaltet wurden. Hilfreich wären genaue Angaben zu den heutigen Zuständen der Bauwerke gewesen. Vor diesem Hintergrund ist es bedauerlich, dass ein Stichwortregister fehlt, um gezielt nach Architekten und einzelnen Bauten suchen zu können. Es hätte schließlich die Leistungen von Arthur Köster keinesfalls geschmälert, wenn Stöneberg zu ihrer Charakterisierung in seiner abschließenden Würdigung weniger absolute Formulierungen verwandt hätte als "meisterlicher Architekturfotograf" oder "absolut herausragender Dokumentarist".
Da Stöneberg die Bildrechte am Nachlass Kösters übernommen hat, konnte er sein Buch großzügig illustrieren. Angesichts des phantastischen Fundus an rund 2.000 Bildern ist die Wahl der Abbildungen, insbesondere des Titelbildes mit der unspektakulären Aufnahme der Berliner Otto-Lilienthal-Gedenkstätte aus dem Jahr 1932, unverständlich. Unbestritten bleibt dennoch Stönebergs Verdienst, erstmals ein überfälliges Standardwerk zu Arthur Kösters Architekturaufnahmen des "Neuen Bauens" vorgelegt zu haben.
Anmerkung:
[1] Simone Förster: Masse braucht Licht. Arthur Kösters Fotografien der Bauten von Erich Mendelsohn, Berlin 2008.
Lucas Elmenhorst