Matthias Asche / Anton Schindling (Hgg.): Das Strafgericht Gottes. Kriegserfahrungen und Religion im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation im Zeitalter des Dreißigjährigen Krieges, Münster: Aschendorff 2001, 465 S., 53 Abb., ISBN 978-3-402-05910-4, DM 59,00
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Das dem anzuzeigenden Sammelband zugrunde liegende Thema "Kriegserfahrung und Religion" geht nicht nur einher mit dem in jüngster Zeit verstärkt wahrnehmbaren Interesse der deutschen Frühneuzeitforschung an der Kategorie "Erfahrung", die bekanntlich das Leitthema der Essener Tagung der "Arbeitsgemeinschaft Frühe Neuzeit" im September 1999 bildete, sondern es hat auch angesichts der jüngsten politischen Ereignisse einen unvorhersehbaren Aktualitätsbezug erhalten, der die Relevanz der Erforschung dieses Sujets unmittelbar greifbar werden lässt.
Der Band vereinigt als erste Zwischenbilanz vier Untersuchungen des Teilprojekts B1 "Unbewaffnet im Krieg - Regionale Kriegserfahrung des 17. Jahrhunderts im Südwesten des Alten Reiches" im Rahmen des zum 1. Januar 1999 an der Eberhard-Karls-Universität Tübingen eingerichteten Sonderforschungsbereiches 437 der Deutschen Forschungsgemeinschaft "Kriegserfahrungen - Krieg und Gesellschaft in der Neuzeit". Dies erfolgt, wie dem Vorwort der Herausgeber zu entnehmen ist, in bewusster Anknüpfung an die Tübinger Forschungstradition zur Religions- und Konfessionsgeschichte, die eng mit den Namen Josef Engel, Volker Press und Ernst Walter Zeeden verbunden ist; letzterem ist dieser Band anlässlich seines 85. Geburtstags gewidmet.
Den vier Fallstudien, die vornehmlich auf den Examensarbeiten bzw. Dissertationsprojekten ihrer Verfasser beruhen, ist ein ausführlicher einleitender Aufsatz des Projektleiters Anton Schindling vorangestellt. Schindling führt in die Konzeption des Forschungsprojekts ein, nimmt Begriffsbestimmungen vor (Kriegserfahrung, Erfahrungsräume und -gruppen, Deutungsmuster und Bewältigungsstrategien) und resümiert wesentliche Ergebnisse der Einzelbeiträge des Bandes. Der zentrale Begriff der Kriegserfahrung wird hier in Entsprechung zum Erfahrungsbegriff der neueren Wissenssoziologie verstanden "als die jeweils gegenwärtige Reflexion und Praxis von Menschen im Verlauf von Kriegen im Spannungsfeld von Erleben, Wissen, Deuten und Tun und als Sinnstiftungs- und Deutungsmuster sowie handlungsanleitendes Modell in Kommunikations- und Interaktionsprozessen außerhalb von Kriegszeiten" (13f.). Es geht letztlich vor allem, wie Schindling herausstellt, um den "Krieg in den Köpfen", um Perzeptions- und Deutungsmuster sowie um die entsprechenden Strategien zur Bewältigung des Wahrgenommenen und Erlebten.
Schindlings Beitrag ist weit mehr als eine bloße Einleitung. Er liefert zugleich in souveräner Manier ein Panorama der neueren und jüngsten Forschung zum Alten Reich im Zeitalter des Dreißigjährigen Krieges und des Westfälischen Friedens. Wie nicht anders zu erwarten war, fällt die Leistungsbilanz, die Schindling für das Reich vorlegt, positiv aus. Einige ausgewählte Stichpunkte seien hier genannt: Die Reichsverfassung wird verstanden als Barriere gegen den Konfessionskrieg; herausgestellt wird die Vorreiterrolle des Reiches für die zukunftsweisende staatsrechtliche Regelung von Mehrkonfessionalität sowie die Schutzfunktion, die das Reich gerade für die sogenannten mindermächtigen Reichsstände besessen habe. Diesem im Vergleich zur älteren Forschung positiveren Bild des Reiches und seiner politischen Strukturen ist grundsätzlich zweifelsohne zuzustimmen, auch wenn, was hier nicht weiter auszuführen ist, kritisch angemerkt werden muss, dass es zum Beispiel die Realität vieler kleinerer Reichsstände im eher kaiserfernen Teil des Reiches, die verstärkt seit der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts in den Sog der mächtigeren, armierten Nachbarn gerieten, nur unvollständig wiedergibt.
Die vier Einzelstudien sind geschickt ausgewählt, da sie Forschungsterrain betreten, das bisher eher vernachlässigt worden ist: Sie konzentrieren sich auf kleinere Territorien im Südwesten des Alten Reiches, die zudem allesamt stark vom Dreißigjährigen Krieg betroffen waren, und laden infolge der Tatsache, dass zwei lutherische und zwei katholische Fallbeispiele in den Blick genommen werden, zu konfessionsübergreifenden Betrachtungen ein.
Die ähnlich strukturierten Beiträge von Frank Kleinehagenbrock über den Dreißigjährigen Krieg als Bedrohung der Konfession in der Grafschaft Hohenlohe und von Carsten Kohlmann über Kriegs- und Krisenerfahrungen von lutherischen Pfarrern und Gläubigen im Amt Hornberg des Herzogtums Württemberg liefern gerade in vergleichender Perspektive interessante Aufschlüsse. Beiden gelingt es, für die von ihnen untersuchten Erfahrungsräume überzeugend darzulegen, in welch hohem Maße religiöses Denken prägend für die in den herangezogenen Quellen greifbaren Kriegserfahrungen war und welche Überlebens- und Bewältigungsstrategien entwickelt wurden. Das Leitthema des Bandes, der Krieg als Strafgericht und Prüfung Gottes infolge der Sündhaftigkeit des Menschen, nimmt in diesem Kontext einen zentralen Stellenwert ein.
Anders als in den eindeutig territorienzentrierten Beiträgen Kleinehagenbrocks und Kohlmanns rücken in den Aufsätzen von Christian Schulz über die Tagebücher des Benediktinerabtes Georg II. Gaisser (1595-1655) als Quelle für die Kriegserfahrung von Ordensleuten und von Matthias Ilg über den Kult des Kapuzinermärtyrers Fidelis von Sigmaringen (1578-1622), des "Heiligen der Spanischen Straße", als Ausdruck katholischer Kriegserfahrungen konkrete Individuen in das Zentrum der Analyse. Schulz, der die von ihm intensiv ausgewerteten Tagebücher Gaissers wohl zu Recht als herausragendes frühneuzeitliches Ego-Dokument für die Geschichte des Dreißigjährigen Krieges im südwestlichen Teil des Reiches bezeichnet, gelingt ein ebenso plastisches wie nuanciertes Bild des Benediktinerabtes und seines Wirkens inmitten einer als zunehmend unmenschlich wahrgenommenen Umwelt. Der sehr umfangreiche Beitrag Ilgs vermag es, anhand des konkreten Einzelfalls des bei Missionierungsversuchen ermordeten, 1729 selig und 1746 heilig gesprochenen Kapuzinerpaters Fidelis von Sigmaringen, nachdrücklich aufzuzeigen, wie konfessionell geprägte Wahrnehmung und politische Instrumentalisierung im Rahmen der Kreierung einer Märtyrergestalt Hand in Hand gingen und einander bedingten.
Besonders erwähnt werden soll, dass die vier genannten Einzelstudien auch zahlreiche Bildquellen einbeziehen, die jeweils ausführlich beschrieben und interpretiert werden. Intermezzoartig zwischen den Aufsätzen plaziert finden sich zwei kleinere Beiträge von Gregor Maier, die eingehend vier ausgewählte Bildquellen kommentieren - darunter das als Umschlagbild verwendete Emblem aus einer Emblemsammlung des lutherischen Geistlichen Johann Mannich (1580-1637) - und die mit dazu beitragen, die auf die verstärkte Heranziehung von Bildquellen ausgerichtete Gesamtkonzeption des Bandes umzusetzen (insgesamt enthält der Band 59 schwarz-weiße Abbildungen). Ein Orts- und ein Personenregister, ein Abbildungsverzeichnis sowie ein Verzeichnis der Herausgeber und Autoren runden den Band ab, der durch seine konzeptionelle Geschlossenheit, die beachtliche Qualität der Einzelbeiträge und insbesondere die Dichte der Quellenanalyse zu überzeugen weiß.
Michael Rohrschneider