Rezension über:

Heinz Heinen (Hg.): Antike Sklaverei: Rückblick und Ausblick. Neue Beiträge zur Forschungsgeschichte und zur Erschließung der archäologischen Zeugnisse (= Forschungen zur antiken Sklaverei; Bd. 38), Stuttgart: Franz Steiner Verlag 2010, X + 247 S., 44 s/w Abb., davon 35 auf Tafeln, ISBN 978-3-515-09413-9, EUR 42,00
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Rezension von:
Alexander Juraske
Institut für Alte Geschichte und Altertumskunde, Papyrologie und Epigraphik, Universität Wien
Redaktionelle Betreuung:
Mischa Meier
Empfohlene Zitierweise:
Alexander Juraske: Rezension von: Heinz Heinen (Hg.): Antike Sklaverei: Rückblick und Ausblick. Neue Beiträge zur Forschungsgeschichte und zur Erschließung der archäologischen Zeugnisse, Stuttgart: Franz Steiner Verlag 2010, in: sehepunkte 11 (2011), Nr. 3 [15.03.2011], URL: https://www.sehepunkte.de
/2011/03/18951.html


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Heinz Heinen (Hg.): Antike Sklaverei: Rückblick und Ausblick

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Die in diesem Band gesammelten Vorträge, entstammen der an der Universität Edinburgh organisierten Tagung "Table Ronde on Ancient Slavery" (14.-16.09.2007) und sind in die beiden Teilbereiche Forschungsgeschichte und Erschließung der archäologischen Zeugnisse zu unterscheiden. [1] Gerade die Beiträge zur Forschungsgeschichte dienen einerseits der Aufarbeitung des von Dissonanzen nicht freien (Spannungs-)Verhältnisses zwischen britischer und deutscher altertumskundlicher Spezialforschung und sollen andererseits den in der Zwischenzeit in Gang gesetzten positiven Austausch stärken.

Keith Bradley skizziert in seinem Beitrag "Römische Sklaverei: Ein Blick zurück und eine Vorschau" (15-38) die eigenen wissenschaftlichen Anfänge in der antiken Sklavenforschung und präsentiert ein Plädoyer für eine interdisziplinäre Einbettung des antiken Bereichs in die internationale Sklavenforschung in Nord- und Südamerika mit gesteigerter Konzentration auf religiös, psychologisch sowie archäologisch motivierte Fragestellungen.

In seinem Artikel "Inventing Slaveries: Switching the Argument" (39-60) unternimmt Niall McKeown, basierend auf seinen umfangreichen Untersuchungen [2], einen kurzen Rückblick auf die moderne Forschung zur antiken Sklaverei und geht eindringlich auf die methodischen Unterschiede zwischen britischer und deutscher Altertumskunde ein. Der Autor betont die Wichtigkeit der unterschiedlichen Ansätze und sucht das Verbindende im Trennenden zu unterstreichen.

Elisabeth Herrmann-Otto gibt in ihrem Beitrag "Das Projekt "Forschungen zur antiken Sklaverei" an der Akademie der Wissenschaften und der Literatur Mainz" (61-76) einen Überblick über den seit nunmehr 60 Jahren bestehenden Tätigkeitsbereich des Projekts an der Mainzer Akademie [2], welchen die Autorin in drei Zeitphasen - Gründungs- und Aufbauphase (1950-1978), Konsolidierungs- und Ausbauphase (1978-2002) sowie Abschlussphase (2002 bis heute) - unterteilt. Die Autorin, selbst langjährige Mitarbeiterin des Mainzer Projektes, zeigt eindringlich die Motivation des Projektinitiators Joseph Vogt, seine Humanitätsidee den Positionen des historischen Materialismus entgegenzustellen, und thematisiert dabei die - teilweise berechtigte - Kritik der anglo-amerikanischen Forschung am Mainzer Ansatz.

Der wissenschaftlichen Auseinandersetzung zwischen britischer und deutscher Spezialforschung spürt der Abschnitt "Cold Case? Die Finley-Vogt-Kontroverse aus deutscher Sicht" (77-94) von Johannes Deissler nach. Finleys Kritik entzündet sich am Humanitätsgedanken Vogts, sowie an der aus seiner Sicht unzureichenden philologisch-historischen Untersuchungsmethode der Mainzer Projektmitarbeiter. Auf die harschen Angriffe Finleys und die verweigerte Auseinandersetzung Vogts mit den Kritikpunkten folgte, wie der Autor richtig feststellt, eine spürbare Beeinträchtigung der Beziehungen zwischen britischer und deutscher Spezialforschung.

Inwiefern in autoritären politischen Systemen politische Einflussnahme auf die Wissenschaft genommen wird, zeigt Heinz Heinen in seinem Beitrag "Aufstieg und Niedergang der sowjetischen Sklavereiforschung. Eine Studie zur Verbindung von Politik und Wissenschaft" (95-138) wobei der Autor seinen Betrachtungszeitraum von den Ereignissen unmittelbar nach der Oktoberrevolution bis zum Ende der 1980er Jahre spannt. Dabei schildert Heinen die unmittelbare Ausstrahlung politischer Entwicklungen auf den wissenschaftlichen Bereich - von der thematischen Blockierung und Verengung der sowjetischen Anfänge über die Stalinzeit bzw. deren Überwindung bis zum Ende der Sowjetunion -, von der die russische Forschung bis heute beeinträchtigt bleibt.

Hatten die ersten fünf Beiträge Bereiche und Entwicklungen der Forschungsgeschichte thematisiert, setzen sich die letzten fünf Abschnitte mit der Erschließung der archäologischen Zeugnisse auseinander. Diesen zweiten Teil eröffnet Michele George mit ihrem Artikel "Archaeology and Roman Slavery: Problems and Potential" (141-160). Um das Lebensumfeld von Sklavinnen und Sklaven besser fassen zu können, drängt die Autorin auf eine stärkere Berücksichtigung der archäologischen Quellen.

In ihrem Beitrag "Archäologie und Sklaverei: Möglichkeiten und Perspektiven einer Bilddatenbank zur antiken Sklaverei" (161-178) geht Andrea Binsfeld der Frage nach, wie die Archäologie einen Beitrag zur Erforschung der antiken Sklaverei leisten kann. Um die Begrenztheit der archäologischen Zeugnisse wissend, schlägt die Autorin den Aufbau einer kombinierten Bilddatenbank vor, in der ein umfassender Querschnitt des Bildmaterials zu Unfreiheit, Abhängigkeit und Sklaverei aus den unterschiedlichen Quellengattungen zusammengestellt werden kann.

Henner von Hesberg unterteilt in seiner Untersuchung "Die Wiedergabe von Kriegsgefangenen und Sklaven in der römischen Bildkunst" (179-192) die Darstellung von Kriegsgefangenen in drei Grundformen und zeigt überzeugend, dass nicht der Akt der Versklavung, sondern der Ausdruck des Sieges im Vordergrund der Darstellungen steht. Im zweiten Teil seiner Ausführungen widmet sich der Autor den Darstellungen vom Handel mit Sklaven, wobei Sklaven nicht spezifisch oder negativ, sondern neutral wiedergegeben werden.

Ausgehend von ihrer Dissertation [3] zeigt Claudia von Behren in ihrem Abschnitt "Grabreliefs als Quelle für die Sklaverei im nördlichen Schwarzmeerraum: Das Beispiel der Hausdienerinnen und Hausdiener" (193-202), unter welchen Kriterien Unfreie auf Reliefs identifiziert werden können und welche Aussagen in einem zweiten Schritt über ihre Tätigkeitsfelder im Vergleich zum klassischen Griechenland getroffen werden können.

Abschließend gibt Tracey Rihll in ihrem Beitrag "Skilled Slaves and the Economy: the Silver Mines of the Laurion" (203-222) wichtige Einblicke in die attische Silbergewinnung, eine hochspezialisierte Arbeitsorganisation, welche von angelernter bis zu hochqualifizierter Sklavenarbeit dominiert war.

Beschlossen wird die Publikation durch ein Abkürzungsverzeichnis (223-226), ein Register (227-234) sowie durch ein Mitarbeiterverzeichnis (235-240) und die englischen Zusammenfassungen der deutschen Beiträge (241-243). Die angefügten 31 Bildtafeln gestalten die archäologischen Beiträge besonders anschaulich.

Wie schon im Titel durch "Rückblick und Ausblick" ausgedrückt, funktioniert der nun vorliegende Sammelband auf zweierlei Ebenen fulminant. Einerseits rezipieren die Beiträge in ihrer Rückschau auf die britische, deutsche und sowjetische Spezialforschung im Themengebiet Antike Sklaverei ein wichtiges Kapitel der Forschungsgeschichte, wobei die einzelnen Autorinnen und Autoren nicht davor zurückschrecken, die eigene Wissenschaftstradition, mit klarem und selbstkritischem Blick zu hinterfragen. Andererseits weisen die archäologischen Beiträge, in ihrer Auseinandersetzung mit dem Potential und den Problemen einer speziellen Quellengattung, auf eine nutzbringende Erweiterung der methodischen Palette hin und leisten so einen wichtigen Beitrag für die zukünftige Entwicklung der Erforschung der antiken Sklaverei.


Anmerkungen:

[1] Die wirtschaftshistorisch orientierten Beiträge der Tagung finden sich im von der Organisatorin Ulrike Roth herausgegebenen Sammelband: By the Sweat of Your Brow: Roman Slavery in its Socio-Economic Setting, London 2010.

[2] Zum Vergleich der unterschiedlichen Ansätze siehe ausführlich: Naill McKeown: The Invention of Slavery? London 2007.

[3] Siehe dazu auch: Heinz Heinen: Das Mainzer Akademieprojekt "Forschungen zur antiken Sklaverei" Geschichte und Bilanz. Perspektiven und Desiderate, in: Elisabeth Herrmann-Otto (Hg.): Unfreie Arbeits- und Lebensverhältnisse von der Antike bis in die Gegenwart (Sklaverei-Knechtschaft-Zwangsarbeit, Bd. 1), Hildesheim u.a. 2005, 371-394.

[4] Claudia von Behren: Sklaven und Freigelassene auf den Grabdenkmälern des nördlichen Schwarzmeerraumes, unpublizierte Dissertation / Universität Trier.

Alexander Juraske