Simone Förster: Masse braucht Licht. Arthur Kösters Fotografien der Bauten Erich Mendelsohn. Ein Beitrag zur Geschichte der Architekturfotografie der 1920er Jahre, Berlin: dissertation.de 2008, 401 S., ISBN 978-3-86624-314-9, EUR 49,90
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Arthur Köster, bis 1933 einer der gefragtesten Architekturfotografen Berlins, war bis vor kurzem allenfalls einem kleinen Kreis von Architektur- und Fotohistorikern ein Begriff. Dass durch seine Fotografien die Berliner Bauten von Erich Mendelsohn (1887-1953) überhaupt einem breiten Publikum bekannt geworden sind, ist kaum einem Betrachter bewusst. Bis heute prägen sie maßgeblich die Wahrnehmung von Mendelsohns Bauwerken, nicht zuletzt da sie als historische Fotografien die Bauten noch im Originalzustand vor den Kriegszerstörungen und späteren Veränderungen zeigen. Erschwerend kommt hinzu, dass bereits in den zeitgenössischen Publikationen Köster (1890-1965) nur selten als Fotograf genannt wurde. Umso erfreulicher ist, wenn Köster jüngst nun fast zeitgleich in zwei Publikationen wissenschaftlich aufgearbeitet und angemessen gewürdigt wurde. Während Michael Stöneberg [1] das gesamte Œuvre Kösters zwischen 1926 und 1933 behandeln will, konzentriert sich Simone Förster auf die Bauten Erich Mendelsohns.
Der Erkenntnisgewinn aus dieser selbst auferlegten Beschränkung ist beträchtlich. Anders als Stönebergs enzyklopädisch angelegtes Standardwerk liefert Förster eine erhellende, detailreiche und tiefgehende Einzelstudie und beleuchtet erstmals die enge Zusammenarbeit von Mendelsohn als Architekten und Köster als Fotografen. Zentrale These ihrer Untersuchung ist, dass die Architekturfotografie nicht nur reines Dokumentationsmittel der Architektur ist, sondern sie die künstlerische Arbeit des Architekten, und damit dessen Ideen, Konzepte und deren Ausführung, visualisieren kann. Diese Aspekte bleiben in einem theoretischen Text mitunter abstrakt und gehen damit in der unmittelbaren Wahrnehmung der Bauten vor Ort im Original oft unter.
Als eine subjektive visuelle Interpretation der Bauten lenkt die Architekturfotografie mithin die Sicht des Betrachters im Sinne des Architekten und des Fotografen. Kösters bewusste fotografische Inszenierung der Mendelsohn-Bauten, die bei Stöneberg nicht im Zentrum steht, beeinflusst mit ihren mitunter ikonenhaften Ansichten, wie Förster nachweist, im Sinne einer Wechselwirkung ebenso Mendelsohns Schaffen wie umgekehrt.
Kösters Sichtweisen prägten offenbar auch Mendelsohns Architekturwahrnehmung, der auf seiner Amerikareise 1924 begann, selbst für ein Buchprojekt Architektur zu fotografieren.[2] Die von ihm gewählte dramaturgische Bildfolge mit Wechsel von Nah- und Panoramaaufnahmen und die filmisch-rhythmische Bildmontage übernahm Köster wiederum für seine Aufnahmen.
Für ihre Arbeit hat Förster den Nachlass Mendelsohns mit vielen bis dahin unveröffentlichten Originalfotografien im Erich-Mendelsohn-Archiv der Berliner Kunstbibliothek und in der Akademie der Künste Berlin sowie zeitgenössische Publikationen ausgewertet. Infolgedessen begreift sie Mendelsohn als simultan bauenden, schreibenden, zeichnenden und auch eigenständig fotografierenden Architekten, der sich auf diesen Wegen intensiv mit der Visualisierung seiner Architektur auseinandergesetzt hat. Sie beschränkt sich nicht auf einen rein formalen Vergleich von verschiedenen Fotografien, sondern sucht den Zugang vom Bild als Objekt, stellt die Fotos in einen bauhistorischen Kontext, benennt die Hintergründe zu den Bauten und analysiert zudem Mendelsohns eigene Schriften und Fotografien.
Methodisch ist die Arbeit bemerkenswert, da hier Fotografien nicht wie in den meisten architektur- und fotografiegeschichtlichen Untersuchungen und fast allen bisherigen Publikationen zu Mendelsohn als scheinbar objektives Dokumentationsmaterial und damit als reine Illustrationen behandelt werden. Ganz im Gegenteil betrachtet Förster Fotografien als eigenständige kunsthistorische Objekte und somit als interpretationsfähige Medien, und - was entscheidend ist - daneben auch ihre zeittypische oder -untypische, subjektive, kritische oder affirmative Ausdrucksweise in der Rezeption.
Einführend untersucht Förster den Einfluss der Neuen Sachlichkeit auf die Architekturfotografie, die durch neue ästhetische Inszenierungen mit ungewohnten Perspektiven, fragmenthaften Ausschnitten oder Anschnitten und streng grafischen Rhythmen als typische Gestaltungsmittel oder mit gegenübergestellten Tag- und Nachtaufnahmen die Formqualitäten der neuen Architektur und die Präzision ihrer technischen Konstruktion sichtbar machte. Im zweiten Kapitel skizziert Förster die Biografie und Arbeitsweise Arthur Kösters. Sie kann nachweisen, dass er die Bauten meist unmittelbar nach ihrer Fertigstellung und damit vor einer möglichen Veränderung durch ihre Nutzer fotografierte. Da er viele Aufnahmen innerhalb extrem kurzer Zeitspannen aufgenommen hat, wie Förster belegen kann, muss er die Kamerastandpunkte, Blickrichtungen und Blickkompositionen bis ins Detail vorbereitet haben.
Die enge Zusammenarbeit von Köster und Mendelsohn sowie die Visualisierung des Baugedankens, der Funktion und Gestaltung eines jeden Bauwerks untersucht Förster im Hauptteil ihres Buches anhand von sechs fotografischen Serien (Einsteinturm, Pelzhaus Herpich, Deukon-Haus, das Stuttgarter Kaufhaus Schocken, Metallarbeiterhaus, Haus am Rupenhorn). Dabei zieht sie als Vergleichsparameter sowohl Mendelsohns eigene Fotos und Entwurfszeichnungen als auch Aufnahmen derselben Motive von anderen Fotografen, den publizistischen Kontext und die bildästhetischen Neuerungen der zeitgleichen künstlerischen Fotografie heran.
Beispielhaft hierfür stehen die Aufnahmen des Potsdamer Einsteinturms (1918-1922). Im detaillierten Vergleich mit zeitgleichen Aufnahmen Waldemar Titzenthalers arbeitet Förster heraus, dass Köster in seinen Fotos die komplexe Schnittstelle von eckigem Turm und runder Kuppel sowie die tief eingeschnittenen Fensternischen durch den gezielten Einsatz von Licht und Schatten und feinste Retuschen herausstellt. Mit dieser Modellierung durch Licht betonen seine Fotos die schon von Zeitgenossen hervorgehobene Plastizität der organisch geformten Architektur, die bei Mendelsohns markanten Tuschzeichnungen und seinen Modellen aus Ton und Gips, nicht aber bei zeitgenössischen Aufnahmen anderer Fotografen erkennbar wird. Durch Retuschen und die Wahl des Kamerastandpunktes erscheint der Einsteinturm schließlich monumentaler als in Wirklichkeit.
Als zweites Beispiel seien die wie eine filmische Kamerafahrt inszenierten Fotos von Mendelsohns eigenem Wohnhaus Am Rupenhorn (1928-1930) genannt. Auf einem imaginären Rundgang - Kösters größte fotografische Serie - nähert er sich dem Haus von der Straße und führt die Betrachter durch das ganze Haus bis in die privaten Schlafräume. Erstmals setzte er auch zahlreiche Detailaufnahmen ein, die architektonische Raffinessen und technische Innovationen zeigen. Anhand von unveröffentlichten Vergleichsaufnahmen zeigt Förster die akribische Inszenierung Kösters und seine Suche nach der idealen Rauminszenierung und der ausgewogenen Komposition der Details auf. Diese Fotos von Köster nutzte Mendelsohn 1932 für eine möglicherweise vorausschauend bereits dreisprachig angelegte Monografie "Neues Haus - Neue Welt" [3], die er auch später im Exil ab 1933 einsetzte, um neue Auftraggeber zu gewinnen.
Försters Ansatz, Architekturfotografie als interpretationsfähiges Medium zu betrachten, lädt zu einer Neubetrachtung auch anderer Architekturfotos ein. Ihre differenzierte anschauliche Sprache macht das durchweg hervorragend geschriebene Buch zu einem Lesevergnügen.
Anmerkungen:
[1] Michael Stöneberg: Arthur Köster: Architekturfotografie 1926-1933. Das Bild vom Neuen Bauen, Berlin 2009.
[2] Erich Mendelsohn: Amerika. Bilderbuch eines Architekten, Berlin 1926.
[3] Erich Mendelsohn: Neues Haus - Neue Welt, Berlin 1932.
Lucas Elmenhorst