Silke Mende: "Nicht rechts, nicht links, sondern vorn". Eine Geschichte der Gründungsgrünen (= Ordnungssysteme. Studien zur Ideengeschichte der Neuzeit; Bd. 33), München: Oldenbourg 2011, XII + 541 S., ISBN 978-3-486-59811-7, EUR 64,80
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Nun also gehörten sie selbst zu den "Etablierten" und erteilten Ratschläge über die Funktionsweise des Parlamentarismus: Als vor wenigen Wochen in der medialen Nachbereitung der Wahlen zum Berliner Senat die stellvertretende Vorsitzende der Bundestagsfraktion der Grünen, Bärbel Höhn, mit einem Vertreter der Piraten-Partei über die Mühen der politischen Ebene stritt, geschah das im Modus großzügiger Gönnerschaft. Schließlich wusste man ja, wovon man sprach, als es um die Kritik an den "verkrusteten Parteien und Parlamenten", an der "intransparenten Bürokratie" oder die Forderung nach neuen "Politikertypen" ging. Der "Lernprozess" gehört damit zu den Narrativen, die Teil der historischen Aneignungsgeschichte der grünen Bewegung sind; eine Geschichte, die erst langsam in das Blickfeld zeithistorischer Forschung kommt.
Silke Mende hat mir ihrer Arbeit über die Geschichte der Gründungsgrünen einen imposanten, materialreichen und äußerst umsichtig argumentierenden Beitrag zur Geschichte dieser ehemaligen "Anti-Parteien-Partei" vorgelegt, der sich erfolgreich darum bemüht, die Anregungen der sozialwissenschaftlichen Bewegungsforschung aufzunehmen und zugleich den "zweiten Blick" der zeithistorischen Forschung dafür nutzt, die Dominanz der bewegungseigenen Narrative zu dekonstruieren.
Sie verortet ihre Arbeit in der "Neuen Ideengeschichte" und fragt deshalb vor allem nach den "Denkstilen" ihrer Akteure, weniger nach der "sozialen Praxis" des Protests. Damit geht es in einem ersten Schritt vor allem um die unterschiedlichen, heterogenen intellektuellen Strömungen, die im Nachgang von 1968 die Gründungsgeschichte der Grünen bestimmten. "Undogmatische Linke" gehörten dazu genauso wie die "Spontis" um Joschka Fischer oder die verschworenen "demokratischen Zentralisten" aus den K-Gruppen. Nirgends konnte man zuvor so präzise wie bei Mende etwas über drei weitere wesentliche Gruppierungen lesen, deren Einfluss in den späten 1970er Jahren von erheblicher Bedeutung war: Dazu zählten "Konservative in grün" wie der ehemalige CDU-Bundestagsabgeordnete Herbert Gruhl. Mochte sein Habitus als öko-apokalyptischer Anzugträger in den Anfangsjahren der grünen Bewegung zwar für manchen Ex-Kommunarden etwas befremdlich wirken, gehörte sein Buch Ein Planet wird geplündert aus dem Jahr 1975 gleichwohl zu den zentralen Referenzwerken der Ökobewegung - wohl wegen seines düsteren Weltuntergangspathos. Gerade diese sehr spezifische Untergangsrhetorik sollte ein Fixpunkt grüner Weltsicht in den späten siebziger und frühen achtziger Jahre sein und ein Bindeglied zwischen den unterschiedlichen Strömungen werden.
Mende weist zudem auf eine weitere Gruppe konservativer Revolutionäre im "ökologischen Zeitalter" - wie August Haußleiter - hin, deren völkische Prägungen sie sehr präzise analysiert. Schließlich betont sie den oft unterschätzten Einfluss einer Gruppe, die sie als "antiautoritäre Anthroposophen" bezeichnet und deren Aushängeschild Joseph Beuys war. Dabei beschreibt sie in Anlehnung an neue Forschungen zu sozialen Bewegungen das unterschiedliche Framing, die verschiedenen Deutungs- und Lösungsangebote der allumfassend wahrgenommenen "Krise des Industriezeitalters" und geht den unterschiedlichen Netzwerken nach, in denen diese Ideen debattiert und kommuniziert wurden.
Deutlich wird dabei, wie sinnvoll es ist, die Gründungsgrünen nicht nur als Ausläufer der Protestbewegung von 1968 zu begreifen, sondern ihre intellektuellen Bezüge, ihre kulturpessimistische Fortschrittskritik (zumindest in den frühen achtziger Jahren) historisch stärker mit den älteren Debatten aus dem ersten Drittel des 20. Jahrhunderts in Verbindung zu bringen. Mende macht deutlich, dass dies komplexe Aneignungswege und Verflechtungen waren, und sie widerspricht damit auch einem allzu glatten Strukturbruch zwischen "neuen" und "alten" sozialen Bewegungen in den 1970er Jahren.
Im zweiten Teil ihrer Arbeit untersucht Mende die Schnittmengen diskursiver Annäherung der so unterschiedlichen Gruppierungen, die mit der ökologischen Frage seit den 1970er Jahren einen entscheidenden Mobilisierungs- und Integrationsschub erfuhren. Auch für linke Gruppen jenseits der SPD erhielt das Umweltthema eigenständiges Gewicht. Entfremdung, kapitalistische Ausbeutung, Staatskritik, "Krise": Das war eine Sprache, die - wenngleich mit unterschiedlichem Bedeutungsinhalt - linke und konservative Gruppierungen gemeinsam sprechen konnten, um ihrem Gefühl der Enttäuschung, ja ihrer existentiellen Verzweiflung über die "herrschenden Verhältnisse" Ausdruck zu verleihen.
Mende geht den unterschiedlichen diskursiven Strängen der um sich greifenden Fortschrittskritik feinsinnig nach und bettet sie zugleich in die Protestgeschichte der 1970er Jahre ein; denn auch das war ein zentrales Element der Gründungsgrünen: ihre regional sehr unterschiedlichen, aber für die politische Praxis doch eminent wichtigen Erfahrungen des Protests im Kampf gegen die großen Infrastrukturprojekte der 1970er und 1980er Jahre, allem voran die Kernenergiepolitik der beiden großen Parteien. Hatten Sozialdemokraten unterschiedlicher Generationen ihre Hoffnungen auf einen lenkenden, keynesianischen Wohlfahrtstaat gesetzt - und diesem vielfach auch den eigenen sozialen Aufstieg verdankt - , so galt der Staat in den alternativen und linken Debatten der 1970er Jahren vor allem als "Moloch", bürokratisches "Ungeheuer" und "hässliches Gesicht" des "Parteienstaates". In den Karikaturen des "Pflasterstrand" war der Staatsapparat keineswegs mehr - wie für viele Sozialdemokraten und christliche Arbeitnehmer - Instrument zur Beseitigung sozialer Ungleichheit, sondern ein unmenschliches Produkt "Technokraziens", dem seine eigentlichen Herren wie Helmut Schmidt schon lange nicht mehr gewachsen waren und das nur zerschlagen, nicht aber durch Wahlen reformiert werden konnte. Parlamentarismus- und Staatskritik gingen dabei Hand in Hand mit einer Wachstumskritik, die für politische Akteure unterschiedlicher Herkunft und Prägung attraktiv war. Die Diagnose der "Krise der Industriegesellschaft" und die Forderung nach einem Ausstieg aus der Massenkonsumgesellschaft gehörten unmittelbar zusammen, die "ökologische Krise" ließ sich mit der Krise der "Dritten Welt" und den Debatten über Überbevölkerung, kapitalistischer Ausbeutung und Arbeitslosigkeit verbinden - ein Ideenamalgam, das zumindest in der Gründungsphase der Grünen, wie Mende argumentiert, politisch sehr unterschiedliche Strömungen zusammenführte.
Für die Debatten um den Zäsurcharakter der 1970er Jahre leistet Mendes Studie einen wichtigen Beitrag, zeigt sie doch eindringlich, wie sehr "Unsicherheit" und "Angst" zu kollektiven Wahrnehmungsfolien wurden. Inwiefern das tatsächlich ein Beleg für ein Ende des "liberal consensus" ist, wird man wohl erst am Ende der gerade erst begonnenen Debatte sagen können, und auch, ob sich die Geschichte alternativer Bewegungen als Indiz für ein Ende der "Hochmoderne" in den 1970er Jahren lesen lässt. Silke Mende ist mit einer Antwort auf diese Frage in ihrem abschließenden Kapitel wohltuend zurückhaltend. Man könnte beispielsweise die Geschichte grün-alternativer (Sozial-)Staatskritik auch als Vorgeschichte jener Privatisierungswellen lesen, die schließlich seit den späten 1980er und 1990er Jahren die politische Agenda bestimmten. Ob man diese Phase dann besser als "hochmodern", "neoliberal" oder "postfordistisch" bezeichnet, ist keineswegs geklärt. Und offen ist auch die Frage, wie sich die Geschichte der Unsicherheit beispielsweise für jene Gruppen auswirkte, die nicht nur Angst vor dem Supergau, sondern zusätzlich auch vor dem Verlust ihres Arbeitsplatzes hatten - Wählerschichten, mit denen sich die Grünen als Mittelstandspartei traditionell schwer taten. Kein Zweifel: Silke Mendes Arbeit wird diese Kontroversen mitprägen.
Dietmar Süß