Gabriele Dischinger (Bearb.): Ottobeuren. Bau- und Ausstattungsgeschichte der Klosteranlage 1672-1802 (= Studien und Mitteilungen zur Geschichte des Bendediktinerordens und seiner Zweige; 47. Ergänzungsband), St. Ottilien: EOS Verlag 2011, 3 Bde., 1072 S., ISBN 978-3-8306-7467-2, EUR 248,00
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Fast sieben Kilogramm in drei großformatigen Ganzleinen-Bänden im Leinen-Schuber rechtzeitig zum 300. Jahrestag der Grundsteinlegung der barocken Abtei Ottobeuren am 5. Mai 1711 - das liegt von keinem anderen süddeutschen Kloster vor. Mit dieser gewichtigen Publikation setzt sich die herausgebende Bayerische Benediktinerakademie fürwahr ein Denkmal. Es basiert auf den außergewöhnlich reichen Beständen an Archivalien und Planzeichnungen, die sich in Ottobeuren, dem bedeutendsten Benediktinerstift zwischen Weingarten im Süden, Wiblingen im Norden, Ettal im Osten und Zwiefalten im Westen Süddeutschlands, erhalten haben. Seit langem bekannt und in Auszügen publiziert, sind nun die Pläne erstmals vollständig katalogisiert und in großen Farbabbildungen dokumentiert; dazu wurden ausführliche Exzerpte aus Archivalien und anderen Quellen zusammengestellt und kommentiert. Die Bearbeitung dieser Fülle an Materialien ist aus einem Forschungsprojekt hervorgegangen, das 1972 von Klaus Schwager (Universität Tübingen) initiiert wurde und anscheinend nicht unter einem glücklichen Stern stand. Nachdem lediglich ein paar Aufsätze erschienen waren, ergriff Gabriele Dischinger im Jahr 2004 schließlich die Initiative, ihren Beitrag, der die positivistische Grundlage des Gesamtprojekts bildet, hiermit selbständig vorzulegen.
Im Band mit den Quellen (631-1048) sind nach knappen Informationen zu den sechs Äbten, unter denen sich die Bau- und Ausstattungstätigkeit von 1672 bis 1802 hinzog, vor allem die chronikalischen Aufzeichnungen wichtig, deren Lektüre zum Teil gute Lateinkenntnisse erfordert. Besonders detailreiche Nachrichten zur Bautätigkeit finden sich in den schon oft zitierten Tagebüchern des Abtes Rupert Ness, die den Zeitraum von 1714 bis 1740 umfassen (688-776). Die umfangreichen Exzerpte aus Rechnungsbüchern (799-940) sind so großzügig gesetzt (warum nicht ebenfalls zweispaltig?), dass der Eindruck entsteht, das Gesamtwerk habe unbedingt über 1000 Seiten stark werden müssen.
Der Band mit den Planzeichnungen (313-628) bietet sich als Augenweide dar. Es handelt sich um ein Gesamtinventar der in Ottobeuren verwahrten 179 Blätter aus der Zeit zwischen 1708 und 1785, die in vorzüglicher Farbqualität häufig ganzseitig und gelegentlich zusätzlich mit großen Details abgebildet sind. Von ihnen beziehen sich 107 Nummern auf Kloster und Kirche, die übrigen auf Bauten in- und außerhalb des Klosterterritoriums sowie auf verschiedene andere Projekte. Darunter befinden sich auch einige bisher noch nicht publizierte Blätter, die aber meist von geringerer Bedeutung sind. Hinzu kommt ein Anhang mit den Bildquellen, die sich nicht in der Plansammlung des Klosters befinden. Alle Blätter werden akribisch katalogisiert, beschrieben und in den Kontext eingeordnet. So lesen sich die ausführlichen Texte zu den Entwürfen von Christoph Vogt, Kaspar Radmiller, Andrea Maini, Joseph Schmuzer, Simpert Kramer, Joseph Effner und dem ausführenden Architekten Johann Michael Fischer gleichsam als Kapitel der Bau- und Ausstattungsgeschichte der zwischen 1736 und 1766 errichteten Kirche.
Im ansprechend bebilderten Kommentar-Band wird dann die Geschichte von Bau- und Ausstattung als ausführliche und systematisch gegliederte, Regesten-artige Chronik präsentiert (9-238). Mit größter Sorgfalt sind die Informationen aus den Quellen und zu den Planzeichnungen durch die Sekundärliteratur und eigene Beobachtungen ergänzt. In der Menge des Materials finden sich auch zahlreiche über Ottobeuren hinausführende Hinweise, etwa zum Benediktinerkloster Neresheim, wo sich Johann Michael Fischer um die Nachfolge des 1753 verstorbenen Balthasar Neumanns bewarb. Solche Zusammenhänge werden durch zahllose Querverweise, durch den biografischen Anhang zum Konvent und zu den Künstlern sowie mit detaillierten Registern erschlossen.
Die drei Bände sind das Ergebnis einer herkulischen Arbeit der Forscherin, aber auch hinsichtlich der publizistischen Umsetzung und des verlegerischen Engagements. Freilich handelt es sich weniger um Bücher zum Durchlesen als zum Nachschlagen, und dies wäre in digitaler Form einfacher und würde eine weitere Verbreitung gewährleisten. Neben diesem neuen Monument verblasst die Aura des "Altmeisters" der Ottobeuren-Forschung Norbert Lieb, von dem immerhin 36 Publikationen (erschienen zwischen 1931 und 1992) in der knapp 700 Titel umfassenden Bibliografie stammen. [1] Es bleibt zu wünschen und zu hoffen, dass eine abschließende, konzise und pointierte Interpretation der hier vorgelegten Menge an Daten und Fakten das Projekt bekrönen wird. Als "Eine 'Summa' der Ideen" der süddeutschen Sakralarchitektur des Barock wurden Planung und Bau der Abteikirche Ottobeuren zuletzt in einem kurzen Kapitel von Bernhard Schütz behandelt. [2] Nun ist eine neue, umfassende Darstellung zu erwarten. Im Vorwort weist Gabriele Dischinger auf eine bevorstehende Veröffentlichung hin, die Klaus Schwager in einem kurzen Beitrag 2007 erwähnt. [3] Wann und wie auch immer diese Publikation erscheinen wird: Der Blick auf Ottobeuren und den Barock in Süddeutschland hat bereits neue Dimensionen erhalten.
Anmerkungen:
[1] Siehe vor allem den mehrfach aufgelegten Band des Hirmer Verlages: Norbert Lieb: Barockkirchen zwischen Donau und Alpen, München 1953.
[2] Bernhard Schütz: Die kirchliche Barockarchitektur in Bayern und Oberschwaben 1580-1780, München 2000, 139-146.
[3] Klaus Schwager: Wechselseitige Beziehungen zwischen Architektur und Ausstattung bei der Planung der Klosterkirche Ottobeuren durch Johann Michael Fischer. Zur Ensemblevorstellung des Architekten und den Entwürfen Joseph Anton Feuchtmayers, in: Architektur und Figur. Das Zusammenspiel der Künste. Festschrift für Stefan Kummer zum 60. Geburtstag, hgg. von Nicole Riegel / Damian Dombrowski unter Mitarbeit von Severin Josef Hansbauer, München 2007, 357-372, hier 368, Anmerkung 2.
Jörg Martin Merz