Rezension über:

Frank Uekötter: Am Ende der Gewissheiten. Die ökologische Frage im 21. Jahrhundert, Frankfurt/M.: Campus 2011, 301 S., einige s/w-Abb., ISBN 978-3-593-39533-3, EUR 24,90
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Rezension von:
Franz-Josef Brüggemeier
Historisches Seminar, Albert-Ludwigs-Universität, Freiburg/Brsg.
Redaktionelle Betreuung:
Nils Freytag
Empfohlene Zitierweise:
Franz-Josef Brüggemeier: Rezension von: Frank Uekötter: Am Ende der Gewissheiten. Die ökologische Frage im 21. Jahrhundert, Frankfurt/M.: Campus 2011, in: sehepunkte 12 (2012), Nr. 7/8 [15.07.2012], URL: https://www.sehepunkte.de
/2012/07/21022.html


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Frank Uekötter: Am Ende der Gewissheiten

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Die vorliegende Monographie möchte mehrere und zugleich anspruchsvolle Aufgaben erfüllen. Sie will die Geschichte der deutschen Umweltbewegung von ihren frühen Erfolgen bis zu den aktuellen Herausforderungen und Widersprüchen darstellen. Zusätzlich will Uekötter zeigen, dass wir die Umwelt neu denken müssen und schließlich will er davon ausgehend zwölf Thesen für ein ökologisches 21. Jahrhundert vorstellen. Diese umfassende Aufgabenstellung ist für ihn erforderlich, da sich die Umweltbewegung in einer tiefen Krise befinde. Deren Entstehung möchte er erklären und Wege aufzeigen, um diese Krise zu überwinden und Lösungen für die ökologischen Fragen des 21. Jahrhunderts zu finden.

Eine historische Herangehensweise, so Uekötter, sei unverzichtbar, um die Entstehung der Krise zu verstehen und wirksame Lösungen zu entwickeln. Entsprechend liefert er nach der Einleitung eine kurze Geschichte der deutschen Umweltbewegung, die etwa 100 Seiten umfasst und schon durch den Umfang einen zentralen Bestandteil seiner Darstellung ausmacht. Daran anschließend stellt er acht Fallbeispiele vor, die in besonderer Weise ein Verständnis der aktuellen Krise erlauben. Und schließlich bietet er die erwähnten Thesen an, die auf den historischen Erfahrungen aufbauen und Auswege aufzeigen sollen.

Über einen derart explizit historischen Beitrag zur aktuellen Umweltdebatte freut sich selbstverständlich jede(r) Historiker/in, zumal wenn sie selbst Umweltgeschichte betreiben. Uekötter besitzt dafür gute Voraussetzungen, da er zahlreiche Veröffentlichungen zur Umweltgeschichte vorgelegt hat und - zuletzt durch seine Tätigkeit am Rachel Carson Center - einen guten Überblick über die internationale Debatte besitzt. Diese Vorarbeiten und Kenntnisse zeigen sich immer wieder, so in der Skizzierung der Geschichte der deutschen Umweltbewegungen, die auf knappem Raum einen guten Überblick bietet. Oder in den Fallstudien, die sehr unterschiedliche Bereiche bearbeiten und zwar vor allem deutsche Debatten behandeln, aber mehrfach Vergleiche zu anderen Ländern bieten und insbesondere im Abschnitt über die Klimadebatte darüber hinausgehen.

Von den zahlreichen Befunden und Argumenten der Untersuchung seien nur einige hervorgehoben, darunter die These einer gewissen Staatsnähe der deutschen Umweltbewegung, die Uekötter zufolge bereits im Kaiserreich einsetzte und bis heute fortwirkt. Vor allem jedoch bemängelt er, dass diese Bewegung an vertrauten Positionen, Strukturen und Vorgehensweisen festhalte. Diese seien überwiegend in deren Blütezeit der 1970er und 1980er entstanden und hätten sich vielfach bewährt. Inzwischen trügen sie jedoch wesentlich zur Krise bei, da die Umweltbewegung an lieb gewordenen Feindbildern und Erklärungen (Waldsterben, Gentechnik, Atomenergie) festhalte oder auf überkommene, oftmals technische Lösungsversuche setze. Bei vergleichsweise 'einfachen' Problemen wie dem Sauren Regen oder dem Ozonloch hätten diese Ansätze zu Erfolgen geführt, für komplexere Sachverhalte wie Feinstäube und vor allem die Klimadebatte hingegen seien sie nicht mehr hilfreich. Vor allem die damit verbundene Vorstellung, durch klare Zielvorgaben Erfolge zu erzielen, erweise sich inzwischen als fatal, etwa in der Klimadebatte. Diese zeige auch ein weiteres Manko: das Vertrauen auf große Lösungen, bei deren Scheitern - wie in Kopenhagen - keine Alternative bereit stehe.

Generell kommt Uekötter zu dem Ergebnis, die bisherige Umweltbewegung und -debatte sei zu sehr von Gewissheiten bestimmt gewesen. Gewissheiten bei der Analyse der Probleme und Gewissheiten bei den Lösungsvorschlägen. Daran halte die Umweltbewegung fest, und hierin sieht er den zentralen Grund der Krise. Deshalb plädiert er für ein Ende der Gewissheiten (die faktisch ohnehin nicht mehr bestünden) und rät der Umweltbewegung, globaler, bunter, vernetzter und weniger dogmatisch zu werden sowie auf kleinere, lokale Lösungen zu setzen.

Diese Argumente klingen plausibel, sind aber nur teilweise neu und werden seit vielen Jahren in den deutschen und internationalen Debatten diskutiert. Vielleicht nicht breit genug, und vielleicht sind sie in der deutschen Umweltbewegung noch nicht bei allen angekommen. Damit ist eines der Probleme der Untersuchung angesprochen: Es wird nicht klar, was Uekötter mit Umweltbewegung und Umweltdebatten meint. Fraglos gibt es Gruppen und Personen, die an vertrauten Positionen festhalten und bei denen die von ihm benannten Verhärtungen bestehen. Doch diese stehen nicht für die Umweltbewegung oder gar die Umweltdebatten generell, die sich - so weit ich es überblicke - in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten durchweg durch sehr unterschiedliche Positionen ausgezeichnet haben.

Ebenfalls unklar bleibt, worin die Krise besteht. Dazu finden sich keine systematischen Ausführungen. Vermutlich bezieht sich der Begriff auf die Klimadebatte und -politik, die sich tatsächlich in einer schwierigen Phase befinden. Doch ansonsten fällt es mir schwer, von einer allgemeinen Krise der Umweltbewegung oder Umweltdebatte zu sprechen, wenn ich etwa an die Energiewende denke, an die Intensität und Qualität der Forschung zu Umweltfragen, an die vielen Institutionen, die sich damit befassen, oder an die breite Akzeptanz von Umweltthemen. Nebenbei bemerkt leuchtet die These von der allgemeinen Krise auch deshalb nicht ein, weil Uekötter zufolge in den 1980er Jahren eine ökologische Revolution stattgefunden hat - eine etwas überraschende Feststellung, sollte dieser Begriff ernst gemeint sein. Ich jedenfalls habe diese Revolution nicht bemerkt.

Ebenfalls schwer zu erkennen ist, an wen sich die Darstellung richtet. Für diejenigen, die sich mit der Umweltgeschichte und / oder als Zeitungsleser mit den aktuellen Umweltdebatten befassen, bietet sie wenig Neues - erweckt allerdings oft den Eindruck, Tabus zu brechen, zumal der Verfasser es darauf anlegt, seine Leser zu provozieren. Daran ist nichts auszusetzen. Provokationen können vielmehr ein sehr effektives Mittel sein, eine Diskussion anzuregen. Dazu sollten sie aber sorgfältig dosiert werden und eine gute Grundlage besitzen. Das ist in der Darstellung nicht immer der Fall. Das gilt etwa für die Aussage, die staatlichen Verwaltungen seien, abgesehen vom Atomkonflikt, der Umweltbewegung mit verdächtig offenen Armen entgegen geschritten. (111) Mehr noch, die Ökologisierung der Bundesrepublik sei ganz wesentlich vom Eigeninteresse der Verwaltungen vorangetrieben worden (145) - zwei Feststellungen, die schwer zu verstehen sind. Fraglos hat die Umweltbewegung in der sozial-liberalen Koalition, einzelnen Ministerien oder Behörden Unterstützung gefunden - sonst wäre sie nicht so erfolgreich gewesen. Doch weder haben Verwaltungen sie pauschal mit offenen Armen begrüßt noch waren vor allem sie es, die die Ökologisierung wesentlich vorantrieben.

Ähnlich problematisch sind die Ausführungen im achten Fallbeispiel, das die Bemühungen im nördlichen Ruhrgebiet behandelt, das Emschersystem umzubauen. Hiervon ausgehend möchte Uekötter die Probleme grüner Großprojekte herausarbeiten und kommt zu erstaunlichen Aussagen. Das beginnt mit der Behauptung, im nördlichen Ruhrgebiet habe zuvor beim Umgang mit Abwässern eine durchaus leistungsfähige Infrastruktur bestanden, an deren Funktionsfähigkeit kein Zweifel bestehen könne. (218, 224) Wer weiß, dass die Emscher und ihre Zuflüsse offene Abwasserkanäle waren und teilweise noch sind, kann nur den Kopf schütteln und diese Aussage eigentlich nicht ernst nehmen. In Uekötters Darstellung wurde zudem das Projekt nur verwirklicht, weil es um Milliarden an Subventionen ging, weil die im Ruhrgebiet typische Subventionsmentalität herrschte, weil ein politisches Kartell dahinter stand, weil Planer ihre Phantasien auslebten und weil endlich wieder ein Großprojekt durchsetzt werden sollte: "Man nehme ein grünes Mäntelchen, eine üppige Kultur- und Eventförderung, würze ordentlich mit Subventionen und vertraue darauf, dass Umweltverbände nicht den Mut haben, ein ökologisches Renommierprojekt zu stoppen." (225f.)

Diese Aussagen lassen den Leser ratlos zurück. Dahinter mag die Lust an Provokation stehen, doch im Ergebnis sind sie oberflächlich, weithin falsch und besitzen eine diffamierende Stoßrichtung: Das Emschersystem, um es zu wiederholen, war eine Katastrophe; der Umbau wird nur zum kleineren Teil durch Subventionen finanziert, überwiegend hingegen durch die Abwassergebühren der Anwohner; die Planungen sind das Ergebnis jahrelanger Debatten und Kontroversen; die daran Beteiligten wissen sehr wohl, dass sie ein ehrgeiziges Ziel verfolgen, und ihnen ist ebenso bewusst, dass sie dieses allenfalls nach langen Bemühungen erreichen. Für Uekötter hingegen steht das Scheitern, die triste Bilanz, jetzt schon fest.

Diese Eindeutigkeit im Urteil findet sich immer wieder - und steht im erstaunlichen Widerspruch zur zentralen Aufforderung des Verfassers, die vertrauten Gewissheiten aufzugeben. Da stört die zuspitzende Rhetorik des Autors eher, als dass sie zum Nachdenken anregt. So unterstellt er Akteuren immer wieder falsche Gewissheiten, konstatiert, sie seien noch nicht in der Wissensgesellschaft angekommen (239), oder spricht von 'dämlichen' historischen Analogien (245). An anderer Stelle stellt Uekötter mit Erstaunen fest, wie wenig Lerneffekte sich nach fast zwei Jahrzehnten internationaler Klimadiplomatie erkennen ließen, und lässt in diesem Zusammenhang am Instrument der Emissionszertifikate kein gutes Haar. Beide Aussagen überzeugen nicht. Ich zumindest kenne sehr intensive Debatten über die Vor- und Nachteile der internationalen Klimadiplomatie und bin beeindruckt von deren Niveau. An den Emissionszertifikaten wiederum gibt es tatsächlich viel zu kritisieren. Doch auch dazu findet weltweit eine sehr ausführliche Debatte statt. Über diese wird der Leser jedoch nur unzureichend informiert. Kennt er lediglich das vorliegende Buch, kann er nicht verstehen, dass jemand noch für dieses Instrument eintritt - für das es bei allen Problemen weiterhin gute Argumente gibt.

Zudem ist zu unterscheiden zwischen Problemen bei der Anwendung der Zertifikate und dem generellen Ansatz, Marktelemente in der Umweltpolitik einzuführen. Es ist bekannt, dass bei Umweltbelastungen die Externalisierung von Kosten ein großes Problem darstellt. Daher wird seit langem diskutiert, Marktelemente einzuführen. Im konkreten Fall bedeutet das, Märkte zu schaffen bzw. zu simulieren, da diese tatsächlich nicht bestehen. Diese Überlegungen und Ansätze sind für die kommende Umweltpolitik von großer Bedeutung, werden jedoch nicht näher behandelt. Ähnliches gilt für andere Ansätze und Fragen: Welche Rolle soll der Staat in der Umweltpolitik spielen? In Deutschland offensichtlich weiterhin eine große, wie die Energiewende zeigt; auch international, etwa in den USA oder Afrika, wird eine größere Rolle des Staates gefordert. Wie sieht es mit Abgaben und Grenzwerten aus? Welche Rolle können Technologie und Wissenschaft spielen? Was ist mit 'Property Rights' oder mit dem Faktor 4, für den Ernst von Weizsäcker und viele andere sich seit Jahren einsetzen? Auch dazu erfährt der Leser allenfalls gelegentlich Hinweise, hingegen keine ausführliche oder gar systematische Erörterung - die angesichts des hohen Anspruchs der vorliegenden Darstellung jedoch erforderlich sind.

Im Ergebnis liegt eine Untersuchung vor, die durch großen Kenntnisreichtum einerseits und Vereinfachungen andererseits geprägt ist. Sie enthält weite informative Teile, behandelt eine Vielzahl von Aspekten und kommt zu zahlreichen bedenkenswerten Argumenten, aber auch zu problematischen Aussagen. Um diese einschätzen zu können, kommen als Leser vor allem Personen infrage, die sich gut auskennen und mit der Lust an der Provokation umgehen können, die oftmals mit dem Autor durchgeht. Das ist schade, da ein ansonsten interessantes Buch darunter leidet.

Franz-Josef Brüggemeier