Arne Karsten: Geschichte Venedigs (= C.H. Beck Wissen; 2756), München: C.H.Beck 2012, 128 S., 12 s/w-Abb., 2 Kt., ISBN 978-3-406-63815-2, EUR 8,95
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C.H.Beck verlegt in seiner Reihe "Wissen" Taschenbücher, die kurze Darstellungen zu bestimmten Themen bieten, in die sie gut lesbar einführen möchten. Nun ist auch die Geschichte Venedigs erschienen. Ihr Verfasser, Arne Karsten, hat beim selben Verlag bereits eine "Kleine Geschichte Venedigs" vorgelegt [1], deren Umfang aber noch gut das Doppelte des neueren Bändchens umfasst. Der Autor muss die Kunst der Beschränkung also eingehend geübt haben, wenn er sich nun auf nur rund 120 Seiten anheischig macht, "die Geschichte Venedigs in ihren wesentlichen Grundzügen zu skizzieren" (8).
In seiner Einleitung verspricht er denn auch Beachtliches zu leisten, nämlich nicht weniger als nach den Gründen für die Besiedelung der Lagune, nach den Voraussetzungen für den Erfolg Venedigs und nach den Ursachen für den Untergang der Republik zu fragen sowie das weitere Schicksals der Stadt bis in die unmittelbare Gegenwart zu analysieren. Und dabei sollen jeweils auch noch "die Zusammenhänge zwischen politischen und religiösen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen, künstlerischen und kulturellen Entwicklungen in den Blick" (8-9) genommen werden.
Das ist viel. Und so verlässt sich der Autor angesichts dieses Vorhabens auf Altbewährtes. Nämlich auf eine chronologische Erzählung, die er anhand bestimmter Ereignisse periodisiert und bei der militärische Macht und wirtschaftliche Stärke zum Gradmesser der Entwicklung werden: Der 4. Kreuzzug 1204, die Niederlage Venedigs in der Schlacht bei Agnadello 1509, das Ende der Republik unter dem Druck Napoleons 1797. Das sind die Meilensteine, anhand derer Karsten die venezianische Geschichte in vier Abschnitte teilt. Sie bestimmen die Gliederung des Buches: Der "Aufstieg" bis 1204 (12-33), die "Glanzzeit" 1204-1509 (34-69), der "Niedergang" 1509-1797 (70-100), und ein unter "Kunst und Kommerz" subsummiertes Nachspiel für alle folgenden Jahrhunderte bis in die Gegenwart (101-121).
Zu jedem der vier Kapitel gibt es fünf Unterkapitel, die einzelne Aspekte besonders hervorheben, etwa die herrschaftslegitimierende Funktion des Heiligen Markus "Eine Stadt und ihr Heiliger" (18-21), die Organisation des Fernhandels als Grundlage von Macht und Wohlstand im Mittelalter "Der große Reichtum" (34-40) oder das lange Ringen der Republik mit dem osmanischen Reich "Krieg im Osten" (90-94).
Die Geschichte Venedigs wird als jene der Republik geschildert, und ihre Grundzüge sind diejenigen von Entstehen, Blüte und Verfall. Was nach 1797 kommt, kann demnach nur noch als Nachleben beschrieben werden. Dies ist natürlich nur eine Möglichkeit, die Geschichte Venedigs zu erzählen. Ein Modell. Und ein problembeladenes dazu. Man fragt sich: War die Stadt denn wirklich fast 4 Jahrhunderte lang im Niedergang begriffen? Oder auch: Ist die geschilderte "kulturelle Hochblüte" (82-89) nur ein Ausdruck dieses Verfalls?
Diese Problematik ist nicht neu und scheint dem Autor durchaus bewusst zu sein, etwa wenn er entgegen seiner Einteilung "die Glanzzeit Venedigs am Ende des 16. Jahrhunderts" verortet (104). Dass er für seine Darstellung dennoch die vorliegende Form gewählt hat, die sich als praktikabel erweist, ist verständlich und dem Anspruch des Buches auch angemessen. Und doch: In der Einleitung skizziert Karsten Venedig als Stadt, deren bestimmendes Wesensmerkmal ihre Andersartigkeit gegenüber allen anderen Städten ist. Aufgrund dieser - zum Teil wohl auch nur vermuteten - Andersartigkeit war Venedig berühmt, wurde bewundert, geliebt und gehasst, missachtet und studiert. Es ist diese Andersartigkeit, an der sich über Jahrhunderte Venezianer und Fremde, Freunde und Gegner, Stadtplaner und Künstler, Kaufleute und Strategen, Reisende und viele andere abarbeiteten.
Vielleicht hätte gerade die kleine Heranführung an die "Geschichte Venedigs" die Möglichkeit geboten, die Geschichte Venedigs als Geschichte dieser Andersartigkeit zu schreiben. Nur einmal scheint dies noch auf, wenn die "Gelassenheit [der Venezianer] im Umgang mit fremden Kulturen, auch fremden Glaubensvorstellungen" (55) thematisiert wird, die schon früh Bewunderung erregte und mit Begriffen von "Toleranz" und "Liberalität" benannt wurde, freilich in durchaus abweichender Definition vom heutigen Verständnis, wie der Autor kenntnisreich darzulegen weiß (54-62).
Doch gilt es nicht zu bewerten, was nicht ist. Die vorgelegte "Geschichte Venedigs" ist ein rascher Parforceritt, bei dem es dem Autor nicht nur gelingt, den Leser auf dem Pferd zu halten, sondern auch in zum Teil beeindruckender Dichte auf Wesentliches am Weg hinzuweisen. Einige Zeilen zum venezianischen Schiffbau im Arsenal, verbunden mit einer Schilderung zum Wandel in der Seekriegsführung (78-80), ein paar Zahlen zu Venedigs Gewerbestruktur (80), ein paar Bemerkungen zu Grabmälern in venezianischen Kirchen, gefolgt von kurzen Erläuterungen zu den Bruderschaften (84), zwei Seiten über venezianische Malerei (86-87), drei zur musikalischen Tradition (87-89).
Dass diese rasche Abfolge bei Karsten keine reine Aneinanderreihung bildet, sondern eins aus dem andern hervorgeht, macht die besondere Qualität der Darstellung aus. Alles liest sich flüssig, ist sprachlich ansprechend und informativ geschrieben; fremdsprachige Begriffe und Bezeichnungen werden gleich im Text erläutert. Wer sich der Lektüre aufmerksam widmet, der bekommt einen guten Ein- und Überblick über die Historie der Stadt, orientiert an den in der Einleitung formulierten Leitfragen.
Als besonderes Verdienst darf sicher gelten, dass zahlreiche Aspekte, die in den letzten Jahren vermehrt die Aufmerksamkeit der Forschung genossen haben, in die Darstellung eingeflossen sind. Die aktuelle Literaturliste führt denn auch jeden Interessierten weiter und tröstet über das Fehlen eines wissenschaftlichen Apparates hinweg, der dem Format allerdings auch nicht angemessen wäre. Lediglich in einigen "Zweifelsfällen" hätte man sich Belege gewünscht, so etwa wenn der Fürstentitel des "Serenissimus" mit "Allerheiterster" statt dem üblichen "Durchlauchtigster" übersetzt wird (40) oder wenn Karsten vom Spott der Humanisten an Venedigs Latein spricht, die sich darüber mokierten, dass der in der Stadt allgegenwärtige Gruß des "pax tibi Marce Evangelista meus" [2] richtigerweise "mi evangelista" heißen müsse (20).
Dessen ungeachtet bleibt festzuhalten: Wer sich der Geschichte Venedigs mit einer kurzweiligen Lektüre nähern will, dem sei dieses Buch empfohlen, das seinen angemessenen Platz im Seminarapparat ebenso findet wie im Reisegepäck.
Anmerkungen:
[1] Karsten, Arne: Kleine Geschichte Venedigs, München 2008.
[2] "Friede sei mit Dir, Marcus, mein Evangelist".
Daniel Leis