Christian Mauder: Gelehrte Krieger. Die Mamluken als Träger arabischsprachiger Bildung nach al-Ṣafadī, al-Maqrīzī und weiteren Quellen (= Arabistische Texte und Studien; 18), Hildesheim: Olms 2012, 234 S., ISBN 978-3-487-14852-6, EUR 38,00
Inhaltsverzeichnis dieses Buches
Buch im KVK suchen
Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.
Reza Aslan: Kein Gott außer Gott. Der Glaube der Muslime von Muhammad bis zur Gegenwart. Aus dem Englischen von Rita Seuß, München: C.H.Beck 2006
Manning Marable: Malcolm X. A Life of Reinvention, New York: Penguin Press 2011
Michael Curtis: Orientalism and Islam. European Thinkers on Oriental Despotism in the Middle East and India, Cambridge: Cambridge University Press 2009
Matthias Vogt: Figures de califes entre histoire et fiction. Al-Walīd b. Yazīd et Amīn dans la représentation de l'historiographie arabe de l'époque ʿabbāside, Würzburg: Ergon 2006
Barbara Pusch (Hg.): Die neue muslimische Frau. Standpunkte & Analysen, Würzburg: Ergon 2001
Dagmar Glass: Der Muqtataf und seine Öffentlichkeit. Aufklärung, Räsonnement und Meinungsstreit in der frühen arabischen Zeitschriftenkommunikation, Würzburg: Ergon 2004
Denise Klein (ed.): The Crimean Khanate between East and West (15th-18th Century), Wiesbaden: Harrassowitz 2012
Anja Pistor-Hatam / Antje Richter (Hgg.): Bettler, Prostituierte, Paria. Randgruppen in asiatischen Gesellschaften, Schenefeld: EB-Verlag 2008
Es ist schon sehr bemerkenswert, dass bisher nicht der Versuch gemacht worden ist, die außergewöhnlich reichhaltige biographische Literatur aus der Mamlukenzeit einmal systematisch auf Angaben zum Bildungsstand der Mamluken selbst hin durchzusehen. Obgleich vor allem Ulrich Haarmann in zahlreichen Aufsätzen gezeigt hat, dass man sich von der stereotypen Vorstellung von den "unzivilisierten Türken" tunlichst distanzieren sollte, hat die Forschung bislang nur ein sehr unscharfes Bild der in der Regel turkstämmigen Herrschaftselite gezeichnet. Insofern kommt dieses Buch, eine an der Universität Göttingen angefertigte Magisterabeit, gerade recht. Der Verfasser stellt nämlich die Mamluken als Träger arabischsprachiger Bildung in den Mittelpunkt seiner Betrachtungen. Die von ihm formulierten Grundfragen lauten: 1. Wie gestalteten sich die Grundausbildung der Mamluken und ihre weiteren Bildungsaktivitäten? 2. Wie und in welchem Ausmaße beschäftigten sich gelehrte Mamluken über ihre Grundausbildung hinaus mit zivil-religiösem, d.h. nicht primär wissenschaftlichem Wissen? 3. Auf welche Weise partizipierten sie am wissenschaftlichen Diskurs der Gelehrten ihrer Zeit? 4. Welche Gründe sprachen für einen Mamluken dafür, sich Wissen in arabischer Sprache anzueignen und was hinderte ihn daran? 5. Wie ist die Tatsache, dass Mamluken über zivile, vor allem religiöse Bildung verfügten, in den geistes- und sozialgeschichtlichen Kontext des islamischen Spätmittelalters einzuordnen? (11) Da es im Rahmen einer solchen Qualifikationsschrift schwerlich möglich ist, sämtliche biographischen Nachschlagewerke aus 250 Jahren auszuwerten, hat sich der Autor sinnvollerweise auf folgende vier Quellen konzentriert: auf al-Safadis (gest. 1363) "A'yan al-asr wa-a'wan al-nasr" sowie auf al-Maqrizis (gest. 1442) Werke "K. al-Muqaffa l-kabir", "Durar al-uqud al-farida fi taragim al-a'yan al-mufida" und "K. al-Mawa'iz wa-l-i'tibar fi dikr al-hitat wa-l-atar." Ausschlaggebend war die Tatsache, dass sich in diesen Büchern sehr viele Biogramme von Zeitgenossen befinden. Mauder betrachtet dabei nur die arabischsprachigen Bildungsaktivitäten von Militärsklaven im engeren Sinne (keine awlad al-nas), die während der Herrschaft der Mamluken und innerhalb des durch sie unterworfenen bzw. umkämpften Gebietes verstorben sind. Insgesamt stehen ihm etwas mehr als 7000 kürzere und längere Lebensbeschreibungen zur Verfügung.
Die Diskussion des Forschungsstandes zeigt deutlich das Desiderat einer näheren sozialen Bestimmung der Gruppe der eigentlichen Mamluken auf. Die Hypothese, dass sich viele Angehörige dieser Schicht der Aneignung religiösen Wissens widmeten, schließt bestens an den von Jonathan Berkey überzeugend vertretenen Befund der im spätmittelalterlichen Ägypten erkennbaren Entwicklung hin zu einer breiten Aneignung von ilm in der Bevölkerung an. In einem "Quellen und Methodik" überschriebenen Kapitel informiert der Verfasser dann zunächst über einige Grundzüge der mamlukenzeitlichen Historiographie, insbesondere über die inner-mamlukologische Debatte zur "Literarisierung der inneren Form" und "Popularisierung der Geschichtsschreibung" (Ulrich Haarmann) und über die Unterscheidungen und Charakteristika von Hitat-Werken und biographischen Lexika. Wichtig ist der Abschnitt "Zur Darstellung der Mamluken in der historischen Literatur", denn hier wird noch einmal deutlich, wie stark die arabischen Gelehrten selbst den anti-mamlukischen Diskurs geprägt haben. Es folgen für das Verständnis hilfreiche Exkurse zum Leben und zu den Werken der beiden Autoren al-Safadi und al-Maqrizi und einige Überlegungen zu den Begriffen "Mamluk" und "gelehrt". Mauder kommt zu folgender Definition: Unter einem "gelehrten Mamluken" versteht er "einen Militärsklaven, der unter Nutzung der arabischen Sprache als Medium über solch ein Maß an ilm verfügte oder sich mit einem ilm - im Sinne einer anerkannten Wissenschaftsdisziplin - in einer solchen Intensität auseinandergesetzt hatte, dass dies seinen Biographen - ihrerseits ulamā - relevant genug erschien, um es in seiner Lebensbeschreibung festzuhalten. (69)
Bei der Analyse seines Materials ist der Verfasser in vier Schritten vorgegangen: (1) Unter sorgfältiger Berücksichtigung von laqab, ism, nasab und nisba kann er von den 7000 Eintragungen ca. 1200 Personen aussortieren, die auf keinen Fall Mamluken sind; (2) ein weiteres Selektionskriterium sind der zeitliche Rahmen (1250-1517) und der geographische Fokus; (3) nun identifiziert der Verfasser alle "eindeutigen" Mamluken, wobei "eindeutig" in diesem Fall heißt, dass die Person im Text direkt als Mamluk oder als Mitglied einer Gruppe von Mamluken des gleichen Herren bezeichnet wird oder ein Herr jemanden, der ein militärisches Amt ausübt, freigelassen hat. Nach einem weiteren Abgleich der Informationen mit zehn weiteren biographischen Lexika und sechs Chroniken bleiben insgesamt 257 Fälle übrig; (4) schließlich erfolgt eine strenge Überprüfung der im dritten Schritt aufgrund der genannten Kriterien ausgeschlossenen Personen. Noch einmal können 224 Männer auf den Positivstapel gelegt werden, die Mauder als "Angehörige des mamlukischen Milieus" bezeichnet und stets gesondert behandelt. Von diesen 481 Personen sind 58 (= 12,1 %) gelehrte Mamluken (37 "eindeutige" Mamluken, 21 "Angehörige des mamlukischen Milieurs"). Ein wirklich sehr erstaunliches Ergebnis! Die vertretenen Wissenschaften verteilen sich folgendermaßen: prophetische Überlieferungen (23), Recht (15), schöngeistige Literatur (14), Koran (9), Sprachwissenschaften (7), Natur- und Grenzwissenschaften (6), Sufismus (5) und Geschichte (5). Da sich ein Mamluk natürlich in mehreren Disziplinen auszeichnen konnte, beläuft sich die Gesamtzahl hier auf mehr als 58. Beliebt waren offenbar vor allem die Hadith-Wissenschaften, wohl auch aufgrund des allgemeinen Trends, dass sich breitere Bevölkerungskreise mit dieser Materie beschäftigten. Bekanntestes Beispiel ist hier sicherlich der Statthalten von Syrien Sayf al-Din Tankiz al-Husami al-Nasiri (gest. 1340). Interessant und ebenfalls wohl ein Beleg für die Popularisierung des Wissens im mamlukenzeitlichen Ägypten sind die Aktivitäten einiger Mamluken auf dem Gebiet des adab. Sogar einige Schriftsteller sind zu verzeichnen, insbesondere natürlich Ali b. Abd Allah al-Guzuli l-Baha'i (gest. 1412-13), ein guter Bekannter von al-Maqrizi. Der prominenteste Gelehrte unter den Mamluken stellt sicherlich der Historiker Rukn al-Din Baybars al-Dawadari al-Mansuri (gest. 1325) dar. Alles in allem hat der Verfasser ausgezeichnet zeigen können, dass nicht nur die Mamluken des Sultans während der ganzen Geschichte des Mamlukenreiches die Möglichkeit hatten, eine solide Grundausbildung in zivilen und religiösen Fächern zu erhalten, sondern dass generell viele Mamluken weiterreichende Kenntnisse in den verschiedenen Wissenschaftsbereichen besaßen.
In einem letzten Teil seiner Arbeit fragt Mauder nach den Einflussfaktoren, Motivationen und Hemmnissen mamlukischer Bildung. Zu den Faktoren, die einen Mamluken davon abhielten, sich weiteres Wissen anzueignen, zählt er neben institutionellen Gründen wie Dienst, Pflichten, Training und dem zum Teil ganz bewusst betriebenen Ausschluss aus Sufizirkeln oder Medresen die Sprachbarriere und das in der Regel angespannte Verhältnis zwischen einheimischen Gelehrten und fremdstämmigen Machthabern. Die gesellschaftliche Kluft zwischen Mamluken und Untertanen, die sich in der unterschiedlichen Sprache, der Kleidung, dem Rechtsstatus, in den Namen, in der Herkunft und in der Sozialisation manifestierte, wurde von den Ulema stets gezielt aufrecht erhalten. Auf diese Weise erhofften sie, den Zugriff auf die religiösen Stiftungen, die ihre materielle Basis bildeten, zu verstetigen und ihr Ansehen unter der Bevölkerung nicht zu gefährden. Auf der anderen Seite gab es aber ebenso gute Gründe, warum ein Mamluk sich der Erlernung religiösen Wissens zuwenden sollte: So benötigten sie oftmals vertiefte Kenntnisse, um ihren Aufgaben in Staatsführung und Verwaltung gerecht zu werden. Ferner sollten auch religiöse Motive und die Aussicht auf Prestige und Legitimation nicht unterschätzt werden.
Christian Mauder hat eine Arbeit vorgelegt, die in jeder Hinsicht erfreulich ist und die man mit großem Gewinn liest. Das Fazit dieser gründlich recherchierten, methodisch sehr sauberen und wohlstrukturierten Studie lautet: "Etwa jede achte Person in diesen Nachschlagewerken, die eindeutig oder mit hoher Wahrscheinlichkeit als Mamluk identifiziert werden kann, befasste sich in erwähnenswerten Maße mit Wissenschaft und Bildung." (174) Die Mamluken sind bei Lichte betrachtet weit davon entfernt, bildungsfeindliche Barbaren zu sein. Sie entsprechen keineswegs dem negativen und klischeehaften Bild, das in dem arabischen Schrifttum von ihnen gemalt wird.
Stephan Conermann