Volker Kruse / Barrelmeyer Uwe: Max Weber. Eine Einführung (= UTB; 3637), Stuttgart: UTB 2012, 155 S., ISBN 978-3-8252-3637-3, EUR 17,99
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Max Weber gehört zweifellos zu den Klassikern der Soziologie und damit zum universitären Kanon. Angesichts der bevorstehenden Weber-Jahre - 2014 jährt sich sein Geburtstag zum 150. Mal und 2020 kehrt sein Todestag zum 100. Mal wieder - werden Studierende eines geistes- oder sozialwissenschaftlichen Faches endgültig kaum daran vorbeikommen, sich Kenntnisse über Max Webers Werk, sein Denken und seine Wirkung anzueignen. Wie sehr sich diese Beschäftigung lohnt, sollte spätestens nach Lektüre der vorliegenden Einführung von Volker Kruse und Uwe Barrelmeyer klar geworden sein!
Studierende (und andere Interessierte ohne Vorkenntnisse) haben schon fast die sprichwörtliche Qual der Wahl, wollen sie sich anhand einer Einführung über Max Weber orientieren. Neben dem "Standardwerk" von Dirk Käsler sind in den letzten Jahren weitere derartige "Einstiegshilfen" erschienen.[1] Die nun von Volker Kruse und Uwe Barrelmeyer vorgelegte Einführung zeichnet sich durch eine konsequente Orientierung an den Bedürfnissen und am Bildungshorizont der Zielgruppe aus. Die beiden Autoren, Professor an der Fakultät für Soziologie der Universität Bielefeld der eine, Studiendirektor und Oberstufenkoordinator an einem nordrhein-westfälischen Gymnasium der andere, wissen um die Hürde, die den Zugang zu Max Webers Werk heute erschwert: "Weber war ein Kind des Deutschen Reichs und seiner Wissenschaftskultur - eine Welt, die längst untergegangen ist." (8)
Von dieser Prämisse ausgehend werden in einem ersten Kapitel zunächst die zum Verständnis von Max Webers Werk wesentlichen Grundzüge von Politik, Wirtschaft und Gesellschaft des Wilhelminischen Kaiserreichs aufgezeigt und dessen Untergang im Ersten Weltkrieg nachgezeichnet. Überaus anschaulich wird im Anschluss daran die Wissenschaftslandschaft umrissen, die Max Weber als Student der Jurisprudenz sowie der Geschichte, Nationalökonomie und Philosophie an den Universitäten Heidelberg, Berlin und Göttingen erkundet hat, bevor er sie als Professor in Freiburg i.Br. sowie in Heidelberg und schließlich in München mitgestaltete und mit seinem Konzept einer verstehenden Soziologie revolutionierte.
Obwohl durch jahrelange Krankheit gehandikapt, hinterließ Max Weber trotzdem ein umfangreiches und weitgespanntes Werk. Zur - durchaus wörtlich gemeinten -Veranschaulichung sei auf die zahlreichen, bislang erschienenen Bände der Max Weber Gesamtausgabe hingewiesen.
Das Œuvre reicht von den Qualifikationsarbeiten (wie wir heute sagen würden) über die empirischen Untersuchungen für den Verein für Socialpolitik (nicht: Sozialpolitik, wie gleich im Inhaltsverzeichnis fälschlicherweise buchstabiert) und die religionsgeschichtlichen Studien bis zur posthum veröffentlichten Mammutarbeit "Wirtschaft und Gesellschaft". Nicht zu vergessen: die zahlreichen tagespolitischen publizistischen Beiträge. Vielleicht lässt schon diese Aufzählung erahnen, welchen wissenschaftlichen Torso Max Weber hinterließ. Diesen an oft verstreuten und entlegenen Orten sicherzustellen, zu überliefern und zu erschließen, war und ist eine Kärrnerarbeit (nachzulesen im abschließenden Kapitel 7).
Max Weber, ein von Jugend an scharf und analytisch denkender Kopf, stürzte sich mit Impetus und Leidenschaft in die kontroverse Debatte des sogenannten Methodenstreites, das wissenschaftliche "Schisma" seiner Zeit. Wie und womit es ihm gelang, eine Brücke zwischen den verfeindeten Lagern zu schlagen - hier die Verteidiger des "einfühlenden" Historismus, dort die Verfechter eines auf Theoriegebäude setzenden Wissenschaftsverständnisses -, wird im folgenden Kapitel fesselnd und einleuchtend dargelegt. Breiten Raum nehmen dabei vier für Max Webers Wissenschaftsverständnis bezeichnende Elemente ein: 1. dessen spezifische (und bekanntermaßen höchst umstrittene aber auch missverstandene) Forderung der Wertfreiheit von Wissenschaft, 2. die Unterscheidung zwischen "Gesetzeswissenschaften" und "Wirklichkeitswissenschaften", 3. der Stellenwert von historisch-kausaler Erklärung sowie 4. Webers mit Begriffen wie dem "Idealtypus" bestückter methodischer Instrumentenkoffer.
Max Webers Konzept einer historischen Sozialwissenschaft wird zur Schnur auf die Kruse/Barrelmeyer in den folgenden vier Kapiteln die ihres Erachtens für das Zielpublikum wesentlichen wissenschaftlichen Perlen fädeln. Oder prosaischer ausgedrückt: Die Autoren beleuchten eingehender jene Texte und Themen, die in universitären Lehrveranstaltungen üblicherweise behandelt werden.
Als da sind (in sehr pointierter Form):
1. Das noch heute wohl bekannteste und viel zitierte Werk "Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus", in dem "Weber nicht die ökonomischen Strukturen, sondern die handelnden Menschen ins Zentrum der Analyse [stellt]" und auf diese Weise jene charakteristische Bewusstseinsform extrahiert, die er - sich auf seinen Wegbegleiter Werner Sombart beziehend - "kapitalistischer Geist" nennt (61).
2. Webers Entwurf einer Soziologie, die "bildlich gesprochen [...] ein Zimmer im Haus der historischen Sozialwissenschaften [bezieht.]" (77)
3. "Wirtschaft und Gesellschaft" mit der Entwicklung soziologischer Grundbegriffe als "eines logisch in sich konsistenten Systems von Idealtypen." (87)
4. "Webers Diagnose der Moderne", die, wie Kruse/Barrelmeyer hervorheben, in der Erkenntnis gipfelt, dass "der moderne Kapitalismus [...] für den späten Weber 'nur' eine Teilerscheinung des okzidentalen Rationalismus [ist]." (111)
Dank wiederum prägnanter Darstellungsweise gelingt es den Autoren ein zweites Hindernis abzubauen, das gerade Studierenden häufig den Zugang zu Max Weber erschwert: Sein Werk gilt nicht nur als unvollendet und unübersichtlich, sondern auch als schwer lesbar. Einem Bonmot zufolge soll Max Weber übrigens auf seine zuweilen schnodderige Art selbst geäußert haben, er pfeife auf den Stil und spucke seine Gedanken aus. [2]
Max Weber war ein begnadeter Hochschullehrer. Zwar klagte er noch kurz vor seinem Tod, nicht für den Katheder geboren zu sein. [3] Dabei füllte er spielend große Hörsäle und zog nicht wenige unter seinen Studenten und Studentinnen [4] persönlich in den Bann. Sie schätzten wohl, dass er nicht nur ein ebenso scharfsinniger wie unkonventioneller Denker war, sondern auch ein Herz und Ohr für ihre Nöte hatte. Mit einem Vortrag über "Wissenschaft als Beruf" gab er der akademischen Jugend einen noch heute überaus lesenswerten Leitfaden an die Hand. [5] Die Faszination, die er ausübte, gehört eigentlich zur in Kapitel 7 dargelegten Wirkungsgeschichte von Max Weber und seinem Werk. Diese Faszination könnte darüber hinaus ein Aufhänger sein, um heutige Studierende für diesen Klassiker der Soziologie (und wirkmächtigen Ideengeber über das engere Fachgebiet hinaus) zu gewinnen.
Einerlei, ob die Beschäftigung aus eigenem Antrieb erfolgt oder sich aus dem Sachzwang des Curriculums ergibt: Mit der besprochenen Einführung von Kruse und Barrelmeyer kann - nein: muss - der Zugang zu Max Webers Werk gelingen.
Anmerkungen:
[1] Dirk Kaesler: Max Weber. Eine Einführung in Leben, Werk und Wirkung, 3., aktualisierte Auflage, Frankfurt am Main 2003, sowie: Michael Bayer / Gabriele Mordt: Einführung in das Werk Max Webers (= Studienskripten zur Soziologie), Wiesbaden 2008; Gregor Fitzi: Max Weber (= Campus-Einführungen), Frankfurt am Main 2008; Volker Heins: Max Weber zur Einführung, 4. Aufl., Hamburg 2010; Hans-Peter Müller: Max Weber. Einführung in sein Werk. Köln 2007.
[2] Vgl. Hermann Glockner: Heidelberger Bilderbuch. Bonn 1969, 36 und 106.
[3] Vgl. die Briefe an seine Frau Marianne Weber vom 7. Mai und 28. Juni 1918 sowie an seine Schwester Lili Schäfer vom 19. Dezember 1919, in: Max Weber: Briefe 1918-1920, hgg. von Gerd Krumeich / M. Rainer Lepsius in Zusammenarbeit mit Uta Hinz / Sibylle Oßwald-Bargende / Manfred Schön (Max-Weber-Gesamtausgabe, Abteilung II, Band 10), Tübingen 2012, 144, 166 und 868.
[4] Damals war, was mittlerweile oft vergessen wird, das Universitätsstudium für Frauen noch keine Selbstverständlichkeit und wurde von manchem Professorenkollegen Max Webers nur nolens volens akzeptiert, wenn nicht sogar torpediert.
[5] In der gedruckten Form ist die am 7. November 1917 gehaltene Rede nachzulesen in: Max Weber: Wissenschaft als Beruf 1917/1919 - Politik als Beruf 1919, hgg. von Wolfgang J. Mommsen / Wolfgang Schluchter in Zusammenarbeit mit Birgitt Morgenbrod (Max-Weber-Gesamtausgabe, Abteilung I, Band 17), Tübingen 1992.
Sybille Oßwald-Bargende